Mathematische Modelle ersetzen die Teststrecke   

erstellt am
18 01. 10

Das neue Christian-Doppler-Labor für modellbasierte Kalibriermethoden an der Technischen Universität (TU) Wien setzt auf Entwicklung und Einsatz neuer, mathematischer Modelle für die Optimierung von Automotive-Antriebssystemen und deren Versuchsplanung.
Wien (tu) - Mobilität der Zukunft muss umweltverträglich und effizient sein. Aus diesem Grund fordert die Gesetzgebung weltweit immer strengere Abgasnormen bei gleichzeitiger Reduktion des Kraftstoffverbrauchs. In der Automobilindustrie führt dies zu einer rasant steigenden Nachfrage nach alternativen Antriebssystemen sowie nach effizienten und robusten Werkzeugen für deren Optimierung. Die Entwicklungen verfolgen dabei hauptsächlich eine noch weitergehende Verbesserung der Verbrennungskraftmaschine und eine Kombination mit hybridelektrischen Antriebskomponenten. Während früher das Gaspedal über einen einfachen Seilzug mit einer Drosselklappe verbunden war, sind heute komplexe regelungstechnische Vorgänge notwendig, um ein Fahrzeug unter Einhaltung aller gesetzlichen Vorschriften in Bewegung zu setzen.

Laborstart
Mit Jänner 2010 hat das neue Christian Doppler (CD) Labor für modellbasierte Kalibriermethoden seine Arbeit aufgenommen. Unter der Leitung von Univ. Prof. Dr. Stefan Jakubek wird sich das CD-Labor der Entwicklung von neuen und integrierten Methoden zur modellbasierten Kalibrierung von Automotive-Antriebssystemen widmen. Diese Kooperation zwischen dem Institut für Mechanik und Mechatronik an der TU Wien und der AVL List GmbH, dem weltweit größten privaten und unabhängigen Unternehmen für die Entwicklung von Antriebssystemen mit Verbrennungsmotoren, umfasst einerseits die Entwicklung von neuen Methoden für die modellbasierte Kalibrierung durch entsprechende Grundlagenforschung im Bereich der nichtlinearen Systemidentifikation und andererseits die zugehörige Versuchsplanung (Design of Experiments - DoE). Das siebenjährige Projekt wird von der Christian Doppler Forschungsgesellschaft gefördert, die anwendungsorientierte Forschung auf höchstem Niveau an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Wissenschaft unterstützt.

Perfektes Zusammenspiel
Die Kalibrierung von elektronischen Steuergeräten (ECUs) stellt eine der größten Herausforderungen der Automobilindustrie dar: Einerseits bei der optimalen Parametrierung von Regel- und Steueralgorithmen in Teilkomponenten, wie zum Beispiel Verbrennungsmotor oder Management der Traktionsbatterie bei Hybridfahrzeugen und andererseits bei der Optimierung des Zusammenspiels aller dieser Komponenten im Gesamtfahrzeug durch Hybridsteuergeräte. Typische Beispiele sind die Optimierung von ECU-Kennfeldern, die Reglerbedatung sowie die Kalibrierung von Abgasnachbehandlungs- oder Batteriemanagementsystemen. Aktuelle ECUs beinhalten eine Vielzahl von Funktionen, welche zum Beispiel motorische Größen regeln bzw. nicht messbare Größen vorhersagen. Diese Funktionen sind über eine sehr große Anzahl von Parametern, in Form von Skalarwerten, Kennfeldern und Kennlinien, zu parametrieren. Eine aktuelle ECU hat mehrere zehntausend solcher Größen. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass der herkömmliche Zugang der manuellen Parametrierung aufgrund der enormen Komplexität der Aufgabe in Zukunft nicht mehr bewältigbar sein wird.

Modelle: virtuell und ökonomisch
Die Forschungsvorhaben zielen auf die Entwicklung von modellbasierten Verfahren zur automatisierten Kalibrierung von Automotive-Antriebssystemen (Verbrennungsmotoren, Antriebsstränge, Hybrid Komponenten) ab. Bei diesen Methoden wird die real vorhandene Komponente durch ein geeignetes mathematisches Modell ersetzt, sodass Optimierung und Kalibrierung virtuell bzw. simulationsgestützt durchgeführt werden können. Eine ausschließlich physikalische Beschreibung ist hier aus Gründen der Komplexität und den damit verbundenen Zeit- und Kostenaufwänden wirtschaftlich nicht möglich, weshalb vermehrt datengetriebene Modellierungsverfahren eingesetzt werden. Dabei kommen Algorithmen der nichtlinearen Systemidentifikation zum Einsatz, die durch die Forschungsgruppe von Prof. Jakubek am Institut für Mechanik und Mechatronik entwickelt werden. Diese bilden aus Messdaten ein nichtlineares dynamisches mathematisches Modell das in der Lage ist, bestimmte innermotorische Vorgänge wie z.B. NOx-Emissionen genauest möglich zu simulieren. Dadurch können in Folge Steuergerätefunktionen, die diese Vorgänge beeinflussen, parametriert und optimiert werden.

Das finale Ziel der Kooperation zwischen AVL List GmbH und dem Institut für Mechanik und Mechatronik ist es, hochintegrierte modellbasierte Kalibriermethoden kommerziell einsetzbar zu machen. Diese werden nicht nur dem wachsenden Zeit- und Kostendruck der Automobilindustrie gerecht, sondern ermöglichen auch einen systematischen Lösungszugang, der mit der steigenden Komplexität zukünftiger Antriebssysteme mitwachsen kann.
     
Informationen: http://www.cdg.ac.at    
     
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