Spindelegger: Österreich und Europa: Liebe auf den zweiten Blick?   

erstellt am
21 01. 10

Die Ortstafelfrage und der Westbalkan sowie Donau- und Schwarzmeerraum waren die Schwerpunkte der Grundsatzrede des Außenministers zur österreichischen EU-Politik
Wien (bmeia) - "Österreich ist gefragt. In Europa und weit darüber hinaus. Wir brauchen uns nicht zu verstecken, vor niemandem. Unser Beitrag wird geschätzt“, so Außenminister Spindelegger in seiner Rede zu den Schwerpunkten der österreichischen EU-Politik, die der Außenminister am 21.01. an der Wirtschaftsuniversität Wien vor mehr als 250 geladenen Gästen hielt. Dabei ging er auf die Schwerpunkte Österreichs Außenpolitik für das kommende Jahr ein. Etwa die künftigen Herausforderungen der EU durch den neuen Vertrag von Lissabon, das Ziel, bis zum Ende der Dekade den Westbalkan in der EU zu integrieren, die Donau- und Schwarzmeerinitiative, das Ziel, in der Frage der Kärntner Ortstafeln noch heuer zu einer Einigung zu kommen und das Bemühen um eine nachhaltige Lösung für Österreichs Uni-Zugang.

Außenminister Spindelegger betonte in seiner Rede die Bedeutung des Lissabon Vertrages und die Rolle der Außenminister: „Jetzt ist der Vertrag in Kraft, und wir stehen in Europa vor einem Paradigmenwechsel: Wir haben neue Regeln, neue Institutionen und neue Köpfe an der Spitze dieser Institutionen. Noch ist die Neuaufstellung Europas aber nicht völlig abgeschlossen“, so Spindelegger weiter. Denn es gäbe da und dort noch einige Ungereimtheiten und Reibungsverluste. Spindelegger warf in diesem Zusammenhang einige zentrale Fragen auf: „Der Europäische Rat hat nun, mit Herman Van Rompuy, einen für zweieinhalb Jahre bestellten Präsidenten. Aber verträgt es sich da, dass seine Mitglieder, die Regierungschefs, gerade jetzt versuchen, nur mehr im kleinsten Kreis zu tagen? Ganz ohne Link zu ihrem Vorbereitungsgremium und ohne Außenminister ? Wie wird sich die Zusammenarbeit zwischen den Institutionen gestalten? Übergibt man dem neuen Auswärtigen Dienst nicht zu viele Kompetenzen?“ Viele Fragen seien noch offen und Österreich sei entschlossen, auch hier einen wichtigen Beitrag zu leisten. „Dieser wird wesentlich im Außenministerium formuliert werden“ so Spindelegger weiter und ergänzend: „Es wird auch in Zukunft eine klare rot-weiß-rote Außen- und Europapolitik geben.“

Spindelegger unterstrich weiters die Bedeutung des Themas Hochschulzugang. Er verwies auf die Bedeutung der Subsidiarität innerhalb Europas und auf die Notwendigkeit, einer tragfähigen europäischen Lösung, so dass Österreich auch weiterhin die Regelung des Uni-Zugangs selber bestimmen kann: „Die Diskussion um den Hochschulzugang macht nur allzu deutlich, dass die Subsidiarität keine akademische Frage ist. Ohne den Grundsatz der freien Wahl des Studienorts in Frage zu stellen – aber der Ansturm von Studenten aus Deutschland in einigen Studienbereichen schafft massive Probleme für unsere Universitäten“. Weiters ging Spindelegger der Frage nach, ob es wirklich so sein müsse, dass die Europäische Union einen Mitgliedstaat zwinge, Zugangsbeschränkungen, wie den Numerus Clausus, zu übernehmen. „Die Freizügigkeit der Studenten darf nicht dazu missbraucht werden, um die Grundsätze des nationalen Bildungssystems in Frage zu stellen“. Hier sei politisches Augenmaß und gerade auch von den EU-Institutionen die Bereitschaft zu differenzierten Lösungen gefordert. „Es ist im eigenen Interesse der neuen Kommission hier eine Lösung zu entwickeln, die die Freiräume der Nationalstaaten respektiert. Wenn dies nicht gelingt, werden wir eine klare Grenzziehung und Absicherung der österreichischen Wahlfreiheit direkt in den EU-Verträgen überlegen müssen“, so Spindelegger weiter.

Der Außenminister unterstrich die Bedeutung der lokalen Ebene im europäischen Einigungsprozess. Länder und Gemeinden seien jene Stellen, an die sich die Bürger als erste wenden, wenn sie Sorgen und Anliegen an Europa haben. „Europa darf nicht nur dem Europaminister ein Anliegen sein. Es wird uns nicht gelingen, die EU in Österreich verständlicher zu machen, wenn sich Länder und Gemeinden systematisch ihrer Verantwortung entziehen.“ Der Außenminister hatte daher vorgeschlagen, in den österreichischen Gemeinderäten eigene EU-Beauftragte zu etablieren. Sie würden als Ansprechpartner vor Ort zur Verfügung stehen, Erstinformationen geben und Fragen weiterleiten. „Ich freue mich daher, dass dieser Vorschlag in vielen Städten und Gemeinden so positiv aufgenommen wurde“, so Spindelegger weiter.

„Der Vertrag von Lissabon bringt unter anderem auch ein klares Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft“, so der Außenminister. Als Beispiele in diesem Zusammenhang nannte Spindelegger die spezifischen europäischen Werte wie Solidarität, Nachhaltigkeit und den Schutz der Umwelt. „Europa wird als kleiner, ressourcenarmer Kontinent im globalen Wettbewerb nur bestehen, wenn es seine spezifischen Stärken optimal nutzt – sein Humankapital, die gute Ausbildung und Kreativität seiner Menschen“. Nachhaltiges Wachstum könne nur über Innovation, Forschung, Bildung, Ausbildung und Wissen erreicht werden. „Das sind die wahren Zukunftsthemen“. In diesem Zusammenhang verwies der Außenminister auf die Wirtschaftskrise und die damit im Zusammenhang stehenden Herausforderungen für die Politik: “Wir erleben derzeit die schlimmste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg“. Der Wohlstand in Europa sei zwar da, aber er vermehre sich nicht in die Breite. „Der Mittelstand wird kleiner. Da müssen wir gegensteuern“, so Spindelegger weiter. Diese Krise müsse auch als Chance begriffen werden und das System hin zu einer menschlicheren Marktwirtschaft verändert werden. Hier liege eine Möglichkeit, aktiv an einem menschlicheren System zu arbeiten. Dabei verwies Spindelegger auf die Diskussion in Österreich und eventuelle Auswege wie etwa ein Zeitwertkonto oder die Mitarbeiterbeteiligung: „Zeitwertkonten sind eine innovative Maßnahme. Die angesparte Zeit aus geleisteten Überstunden ließe sich hier für Kinderbetreuung, Weiterbildung oder längeren Urlaub aufbrauchen. Nicht nur Manager, sondern alle Mitarbeiter in erfolgreichen Unternehmen sollen Boni bekommen. Die Beteiligung aller am Gewinn ist ein Gebot von Leistungsgerechtigkeit“ betonte Spindelegger.

Die Möglichkeit, durch Leistung aufzusteigen, sich selbst zu entfalten sei bislang Europas Markenzeichen gewesen, so der Außenminister ergänzend: „Das muss so bleiben. Die Möglichkeit, durch eine gute Ausbildung, Einsatz und Kreativität aufzusteigen und ein erfolgreiches Mitglied der Leistungsgesellschaft zu werden, ist für mich ein zentraler Bestandteil des Lebensmodells Europa.“

Einen zentralen Stellenwert nehmen für den Außenminister die Beziehungen zu den Nachbarstaaten ein. Obwohl sich insbesondere durch dem Fall des Eisernen Vorhangs enorme Chancen für Österreich aufgetan hätten, müsse Österreich noch einige Hausaufgaben erledigen. „Eine exportorientierte Volkswirtschaft im Herzen Europas, wie es Österreich ist, ist auf eine stabile, prosperierende Nachbarschaft angewiesen. Auf offene Grenzen. Auf Austausch und freundschaftliche Beziehungen zu allen unseren Partnern“. Als „unerledigte Hausaufgabe“ nannte Spindelegger die Ortstafelfrage. Österreich könne in Europa nur dann ein gewichtiger und glaubwürdiger Akteur sein, wenn es selbst seine internationalen Verpflichtungen einhalte: „Zu diesen Verpflichtungen gehört es, den Schutz von ethnischen Minderheiten ohne Vorurteile und Vorbehalte zu respektieren. Die völkerrechtlichen Verpflichtungen des Schutzes slowenischer und kroatischer Minderheiten in Artikel 7 des Staatsvertrags von Wien ist in einem Punkt bis heute nicht ganz erfüllt, nämlich in der Frage zweisprachiger Ortstafeln in Kärnten.“ Der Verfassungsgerichtshof sei seit Jahren mit Beschwerden von Einzelpersonen und Anträgen der Volksanwaltschaft befasst, die Entscheidungen überraschen niemanden mehr. „Die Zeit ist längst reif für eine Lösung der Ortstafelfrage durch eine verfassungsgesetzliche Regelung“, hob der Außenminister hervor. „Im Jahr 2006 war man auf der Basis eines Vorschlages des damaligen Bundeskanzlers nahe daran“. Dieser Vorschlag wäre ein guter Ausgangspunkt für eine neue Initiative: „Es stünde der Republik Österreich gut an, wenn am Nationalfeiertag des Jahres 2010, 55 Jahre nach dem Staatsvertrag, der Welt und den europäischen Nachbarn die Erledigung dieser Hausaufgabe vermeldet werden könnte“. Voraussetzung dafür sei freilich, dass der dafür zuständige Bundeskanzler bis zum Sommer einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten würde. „Es wird nicht reichen, die Verantwortung dafür allein auf Kärnten abzuwälzen. Aber auch in Kärnten sind die politisch Verantwortlichen aufgefordert, endlich Mut zu fassen und den Schritt ins 21. Jahrhundert zu wagen“, betonte der Außenminister.

In weiterer Folge ging Spindelegger näher auf den Balkan ein und unterstrich Österreichs führende Rolle als „Anwalt dieser Region“ und das Interesse Österreichs, die Länder des Westbalkans rasch in die EU zu führen. „Die Vorzeichen stehen gut, dass 2010 zum „Westbalkan-Jahr“ für die EU wird. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und der Deblockade der Verhandlungen mit Kroatien hat die EU die Hände frei und kann die Heranführung der Region wieder an die Spitze der EU-Agenda stellen“, so der Außenminister. Österreich werde seine Partner am Balkan auf ihrem Weg nach Europa jedenfalls auch weiter konsequent unterstützen. Dabei gab Spindelegger eine klare Vorstellung des Endziels aus seiner Sicht: „Meine Vision für Europa: Bis 2020 werden wir alle Westbalkanstaaten in die EU aufnehmen.“

In weiterer Folge skizzierte Außenminister Spindelegger Österreichs Zukunftschancen in zwei für Europa wesentlichen Regionen, den Donau- und den Schwarzmeerraum. So sei es etwa gelungen beim Europäischen Rat im Juni 2009 die Kommission zu beauftragen, bis Ende 2010 eine EU-Strategie für den Donauraum auszuarbeiten. „Der Grundstein für eine effizientere und besser koordinierte Donauraumpolitik ist damit gelegt. Der nun eingeleitete Prozess wird gegen Jahresende 2010 in einem Vorschlag der Kommission münden“, so Spindelegger. Es sei ihm wichtig, dass Österreich auch die Perspektiven seiner Wirtschaft in den Ländern des Schwarzen Meeres zu einer Priorität mache. Deshalb sei die Union gefordert, sich mit den Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres auseinanderzusetzen. „Die Region spielt auch eine immer wichtigere Rolle in unserer Energieversorgung. Die Gaskrisen der letzten Jahre haben die Frage nach unserer Versorgungssicherheit dramatisch unterstrichen“, so der Außenminister. Gerade in der sensiblen Schwarzmeer-Region müsse aber unser Engagement über das rein Wirtschaftliche hinausgehen. „Der Schwarzmeerraum ist von Bedeutung für die nachhaltige Stabilität unseres gesamten Kontinents“. Es sei daher nur logisch, dass Österreich seine Präsenz in der Region weiter ausbaue. „Noch heuer werde ich eine neue österreichische Botschaft in Baku eröffnen“, so Spindelegger weiter.

„Gehen wir die österreichische Europa- und Außenpolitik für das 21. Jahrhundert mit Selbstvertrauen und Mut an. Wie kaum ein anderes Land hat Österreich aus der europäischen Einigung Nutzen gezogen – wirtschaftlich, politisch, kulturell, menschlich. Eine gewisse Skepsis bleibt. Aber vielleicht ist das Verhältnis der Österreicher zur EU ja Liebe auf den zweiten Blick“, so Außenminister Spindelegger abschließend.
     
Informationen: http://www.bmeia.gv.at    
     
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