Mittelfristige Prognose der österreichischen Wirtschaft bis 2014
Wien (wifo) - Nach der schwersten Rezession seit den 1930er-Jahren wird das Bruttoinlandsprodukt
in Österreich von 2010 bis 2014 real um durchschnittlich 1,8% pro Jahr zunehmen. Aufgrund der Nachwirkungen
der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise wird das Wachstum jährlich um knapp ¾ Prozentpunkte geringer
ausfallen als im Durchschnitt des letzten Jahrzehnts vor der Wirtschaftskrise 2008/09. Der Wachstumsvorsprung gegenüber
dem Durchschnitt des Euro-Raumes verringert sich deutlich, auch weil die Dynamik der Exporte nach Ostmitteleuropa
schwach bleiben dürfte und der Finanzsektor weiterhin fragil ist. Vor allem auf den Arbeitsmarkt und die öffentlichen
Haushalte wirkt die Rezession noch länger nach, die Inflation wird dagegen niedrig bleiben. Ab dem Jahr 2011
werden Maßnahmen zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte die gesamtwirtschaftliche Nachfrage dämpfen,
aber eine Senkung des Budgetdefizits bewirken.
Die internationale Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise löste in Österreich Ende 2008 die schwerste Rezession
seit den 1930er-Jahren aus. Wie die empirische Evidenz zeigt, erholt sich die Wirtschaft nach einer Finanzmarktkrise
und einer weltweiten Rezession nur sehr langsam. Getragen von der sehr expansiven Geld- und Fiskalpolitik in den
großen Wirtschaftsräumen trat Mitte 2009 eine Trendwende ein; ab 2010 wird mit einer Erholung gerechnet.
Die österreichische Wirtschaft wird von 2010 bis 2014 mit +1,8% pro Jahr um ¾ Prozentpunkte langsamer
expandieren als in den 10 Jahren vor der Wirtschaftskrise 2009 (+2½% p. a.)1). Selbst in den besten Jahren
des Prognosezeitraumes (2012 bis 2014) wird das BIP-Wachstum nicht an diesen Durchschnittswert heranreichen. Die
Weltwirtschaft wird die Folgen der Finanzmarktkrise nur allmählich überwinden, die Vergabe von Risikokapital
für Unternehmen sowie die Kreditversorgung des privaten Sektors zur Finanzierung von Ausrüstungs- und
Bauinvestitionen und Konsum bleiben restriktiv. Das Wachstum des Potentialoutputs wird nicht mehr so hoch sein
wie in der Vergangenheit. Der Wachstumsvorsprung Österreichs gegenüber dem Durchschnitt des Euro-Raumes
wird geringer, nicht zuletzt da die Exporte nach Ostmitteleuropa an Dynamik verlieren dürften.
Die österreichische Wirtschaftspolitik wirkte den Auswirkungen der internationalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise
mit einer vorgezogenen Steuerreform, zwei Konjunktur- und zwei Arbeitsmarktpaketen entgegen. Da manche der größeren
Bauprojekte 2009 noch nicht umgesetzt werden konnten, sollte ihre Wirkung im Jahr 2010 zum Tragen kommen und damit
den Aufschwung unterstützen. Die österreichische Wirtschaft profitierte auch von den Konjunkturbelebungsmaßnahmen,
die im Rahmen des "European Economic Recovery Plan (EERP)" von den EU-Nachbarländern und den anderen
bedeutenden Handelspartnern (Schweiz und USA) getätigt wurden. Diese Rückwirkungen sind nach WIFO-Schätzungen
in etwa gleich hoch wie jene Maßnahmen, die die österreichische Bundesregierung (einschließlich
staatsnaher Unternehmen) selbst getätigt hat.
Die durch Sonderfaktoren und wirtschaftspolitische Maßnahmen begünstigte Entwicklung der verfügbaren
realen Haushaltseinkommen (Steuerreform, niedrige Inflation, hohe Lohnabschlüsse im Jahr 2008, Ausweitung
der Transfereinkommen) ermöglichte im Jahr 2009 in Österreich, im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern
des Euro-Raumes, eine Zunahme des privaten Konsums (+½%). Jedoch floss ein größerer Teil des
Einkommensanstiegs als in den letzten Jahren in die Ersparnisse. Für den Prognosezeitraum 2010/2014 wird mit
einem Konsumwachstum von 1% gerechnet, das um knapp ½ Prozentpunkt niedriger ist als in der Fünfjahresperiode
vor der Krise. Dabei wird unterstellt, dass die Sparquote der privaten Haushalte wieder kontinuierlich zurückgeht.
Der reale Außenbeitrag wird im Prognosezeitraum dem Wirtschaftswachstum Impulse geben. Der Exportprognose
liegt die Einschätzung zugrunde, dass die Weltwirtschaft die realwirtschaftlichen Folgen der Finanzmarktkrise
allmählich überwindet und im Jahr 2010, getragen von den weltweiten Konjunkturprogrammen und niedrigen
Zinssätzen, eine Erholung einsetzt. Die Belebung des Welthandels bewirkt eine Zunahme der österreichischen
Exporte um durchschnittlich 5½% pro Jahr, um knapp 1 Prozentpunkt weniger als in den zehn Jahren vor der
Krise. Das Anspringen der Exportkonjunktur wird im Jahr 2010 aufgrund der sehr geringen Kapazitätsauslastung
noch keine Belebung der Investitionstätigkeit auslösen. Über den gesamten Prognosezeitraum sollten
die Investitionen um durchschnittlich 2% p. a. zunehmen. Rezessionsbedingt erreichte die Arbeitslosigkeit 2009
das höchste Niveau seit Mitte der 1950er-Jahre. Die Ausweitung der Möglichkeiten zur Inanspruchnahme
von Kurzarbeit, Schulungen und Bildungskarenz bremste den Anstieg der Arbeitslosenzahl im Jahr 2009 zwar um etwa
13.000, die Arbeitslosigkeit wird aber eine zentrale wirtschaftspolitische Herausforderung der kommenden Jahre
bleiben. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen dürfte von 2008 bis 2014 um gut 90.000 auf über 300.000
steigen. Im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2014 dürfte die Arbeitslosenquote (laut AMS-Definition) 8,1% erreichen.
Im Falle einer ungünstigeren Entwicklung der Wirtschaft würde die Arbeitslosigkeit jedoch noch stärker
wachsen. Die Beschäftigung wird in den Jahren 2010 bis 2014 um 0,4% pro Jahr zunehmen, die Vollzeitbeschäftigung
dürfte aber erst gegen Ende der Prognoseperiode stärker ausgeweitet werden.
Der freie Zustrom von Fachkräften aus den neuen EU-Ländern seit dem Jahr 2009 und das Ende der Übergangsfristen
im Jahr 2011 werden die Pendler- und Zuwanderungsströme erhöhen. In erster Linie hängt das Ausmaß
dieser Wanderungsbewegungen aber von der heimischen Nachfrage nach Arbeitskräften ab.
Die Dämpfung der Staatseinnahmen durch die Krise und die Steuerreform sowie die rezessionsbedingte Ausweitung
der Staatsausgaben werden das Defizit der öffentlichen Haushalte 2010 auf 5¼% des BIP steigen lassen.
Neben der Verbesserung durch die Konjunkturerholung müssen Maßnahmen zur Budgetkonsolidierung ergriffen
werden, falls die Defizitquote bis zum Jahr 2014 wieder auf unter 3% des BIP gesenkt werden soll.
Nach dem Preisverfall von Mitte 2008 bis ins I. Quartal 2009 kehrte sich der Trend auf den internationalen Rohstoffmärkten
um. Auch in den kommenden Jahren werden die Rohölund Rohstoffpreise anziehen. Die Prognose nimmt einen Anstieg
des Rohölpreises mit der Erholung der Weltkonjunktur von 60 $ je Barrel im Jahr 2009 auf 100 $ im Jahr 2014
an. Von inländischen Faktoren werden in den kommenden Jahren kaum inflationäre Effekte ausgehen. Im Zeitraum
2010 bis 2014 dürfte die Inflationsrate in Österreich durchschnittlich 1½% betragen.
Die in der vorliegenden Prognose unterstellte Erholung der Wirtschaft hängt wesentlich von der Verbesserung
der internationalen Konjunktur ab. Sollte sich diese nicht im erwarteten Ausmaß einstellen, würde das
auch die Belebung in Österreich beeinträchtigen. Ebenso ist die Stabilisierung der Finanzmärkte
und des Bankensystems noch fragil. Das starke Engagement der österreichischen Banken in Ostmitteleuropa und
Südosteuropa birgt hier noch beträchtliche Risken.
1) Die Wachstumsprognose für die Jahre 2010 und 2011 entspricht der kurzfristigen WIFO-Prognose
vom Dezember 2009. Für die folgenden Jahre wurden mittelfristige Trends geschätzt. |