Schweizerisch-Finnisches Forschungsteam klärt Struktur einer wichtigen Ansatzstelle für
Krebsmedikamente
Villingen (idw) - Um wachsen zu können, muss ein Krebstumor von Blut- und Lymphgefässen
durchzogen sein, die ihn mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen und durch die der in der Zelle entstehende
Abfall entsorgt werden kann. Um sich diese Versorgung zu sichern, senden Tumore Botenstoffe aus, die umliegende
Gefässe veranlassen, sich zu verzweigen und in den Tumor hineinzuwachsen. Einen wichtigen Schritt zum besseren
Verständnis der molekularen Vorgänge bei der Gefässbildung in Tumoren haben nun Forschende des Paul
Scherrer Instituts und des Biomedicum in Helsinki, Finnland gemacht. Sie haben die Struktur der Bindungsstelle
aufgeklärt, an der sich ein Botenstoffmolekül mit dem entsprechenden Rezeptor auf der Zelloberfläche
verbindet. Durch diese Verbindung wird das Wachstum der Lymphgefässe angeregt. Dieses Wissen kann in der Zukunft
für die weitere Entwicklung neuer Medikamente verwendet werden, die diese Rezeptoren gezielt blockieren. So
können diese Mittel das Wachstum der Gefässe verhindern und den Tumor aushungern. Die Ergebnisse erscheinen
in der Woche vom 18. Januar in der Online- Ausgabe der Zeitschrift der Amerikanischen Akademie der Wissenschaften
(PNAS - Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America).
Vor ca. 20 Jahren hat der amerikanische Mediziner Judah Folkman eine neuartige Tumortherapie vorgeschlagen, bei
der durch gezielte Blockierung des Wachstums der Tumorblutgefässe der Tumor ausgehungert und so indirekt an
seiner Ausbreitung gehindert würde. Ein auf diesem Konzept bestehender Therapieansatz wurde in der Zwischenzeit
entwickelt und wird in der Klinik angewendet. Um dieses Verfahren optimieren zu können, ist es wichtig, die
genauen molekularen Vorgänge zu verstehen, die hinter der Bildung der Gefässe stehen. Dazu haben die
Forschenden aus der Schweiz und aus Finnland nun einen entscheidenden Beitrag geleistet.
Moleküle, die für das Wachstum von Gefässen verantwortlich sind, werden von Fachleuten mit der Abkürzung
VEGF (vascular endothelial growth factor) bezeichnet. Das untersuchte Molekül, das das Wachstum von Lymphgefässen
anregt, heisst VEGF-C. Ein VEGF-Molekül ist biochemisch gesehen ein Protein, also ein hochkomplexes Biomolekül
bestehend aus tausenden von Atomen. Es wird aktiv, in dem es sich mit dem Ende eines anderen Proteins (dem Rezeptor),
verbindet, das in der Membran einer lebenden Zelle eingebaut ist. Die Bindung von VEGF an den Rezeptor bewirkt
eine Veränderung der Struktur dieses Membranproteins und die daraus folgende Strukturänderung wirkt sich
innert Sekunden auch auf der Innenseite der Zellmembran aus und löst dort chemische Reaktionen aus, die zur
Veränderung der Zellen führen. Im hier untersuchten Fall wird die Zelle angeregt, sich zu teilen und
so am Wachstum neuer Blut- und Lymphgefässe teilzuhaben.
Damit die Kombination von Signalmolekül und Rezeptor richtig funktioniert, müssen beide die richtige
einmalige Molekülstruktur haben - das heisst tausende von Atomen müssen korrekt im dreidimensionalen
Raum angeordnet sein. Um diese Struktur im Detail zu bestimmen, haben die Forschenden die Moleküle an der
Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS des Paul Scherrer Instituts untersucht. Dieser Teilchenbeschleuniger mit 288
Metern Umfang erzeugt besonders intensives Röntgenlicht, mit dem unter anderem die Struktur komplexer Proteine
aufgeklärt werden kann. Dazu wird das Verfahren der Proteinkristallographie genutzt, bei dem viele solcher
Moleküle in einer regelmässigen Form angeordnet (kristallisiert) und anschliessend mit dem Röntgenlicht
durchstrahlt werden. Dabei wird ein Teil des Lichtes in bestimmte Richtungen abgelenkt. Aus diesen Ablenkrichtungen
können die Forschenden dann die detaillierte Struktur des Proteins bestimmen.
Das am PSI laufende Projekt, das zur Publikation in PNAS führte, wird vom PSI, vom Schweizerischen Nationalfonds
SNF und der Schweizerischen Krebsliga unterstützt.
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der
nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Festkörperforschung
und Materialwissenschaften, Elementarteilchenphysik, Biologie und Medizin, Energie- und Umweltforschung. Mit 1300
Mitarbeitenden und einem Jahresbudget von rund 260 Mio. CHF ist es das grösste Forschungsinstitut der Schweiz.
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