Augenschmaus – Vom Essen im Stillleben   

erstellt am
09  02. 10

Von 10. Februar bis 30. Mai 2010 Bank Austria Kunstforum
Wien (bankaustria-kunstforum) -
Die Ausstellung "Augenschmaus - Vom Essen im Stillleben" ist einem zentralen Thema des Stilllebens gewidmet: der Verknüpfung von Kunst und Leben in der Darstellung von Essen und Trinken. In ihrem Versprechen umfassender Sinnlichkeit üben Stillleben bis heute, in Zeiten der totalen Verfügbarkeit fast aller Dinge, eine ungebrochene Faszination aus. In der Gegenüberstellung von 90 Werken aus verschiedenen Kunstlandschaften und Epochen wird die gewandelte Alltagskultur des Essens und Trinkens vom 16. Jahrhundert bis heute thematisiert.

Sechs "Erzählungen" beleuchten die vielfältigen Bedeutungsebenen des Stilllebens: Das Objekt als Subjekt - Die Geburt des Stilllebens; Vanitas - Allegorien von Leben und Tod; Nahrung zwischen Existenzgrundlage und Konsumobjekt; Table/Tableau und der weiblich codierte Raum des Stilllebens; Fleisch und die Grenzen der Darstellbarkeit von Essbarem; und die Jahrhunderte durchziehend: das Stillleben als malerisches Experimentierfeld.

"Kulinarische" Stillleben verkörpern die Ernährungsgewohnheiten, kultischen Rituale und Diskurse aus der Welt ihrer Entstehungszeit, in denen sich gleichermaßen existenzielle Grundbedürfnisse wie auch transzendentale Bestrebungen des Menschen widerspiegeln. Ausgehend von Giuseppe Arcimboldos Kompositköpfen und Pieter Aertsens Küchenstücken wird die simultane Entstehung des Stilllebens südlich und nördlich der Alpen in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts nachvollzogen: Der Wandel vom Beiwerk einer (religiösen) Bilderzählung hin zu einer autonomen Bildgattung, die ihren Fokus auf die illusionistische Darstellung alltäglicher Dinge richtet.

Die Ausstellung verfolgt den spektakulären Höhenflug des Genres im 17. Jahrhundert in ganz Europa, mit einem Schwerpunkt auf den "hyper-realistischen" Stillleben des "Goldenen Zeitalters" der Niederlande: Im prosperierenden Klima der jungen Republik kommt es zur Entstehung eines Kunstmarkts für den privaten bürgerlichen Raum und zu einem regelrechten Bilderboom. Einzelne Stilllebentypen bilden sich aus, zu sehen sind etwa "Gedeckte Tische" von Willem Claesz. Heda, Dessertstillleben von Clara Peeters, Prunkstillleben von Willem Kalf oder Jagdstücke von Frans Snyders. Der niederländische Terminus stilleven taucht erstmals 1650 auf und bezeichnet ein still gestelltes Objektmodell (still unbewegt, leven Modell).

Trotz seiner allgemeinen Beliebtheit wird das Stillleben ab dem 17. Jahrhundert - unter dem Vorwurf des Rein-Handwerklichen sowie der inhaltlichen Bedeutungslosigkeit - in der akademischen Gattungshierarchie auf die unterste Stufe verwiesen. Gerade seine Außenseiterposition im akademischen Kanon hatte zur Folge, dass es zu einem weitgehend "unbehelligten" Ort malerischer Experimente werden konnte, wie im 18. Jahrhundert Jean-Siméon Chardin oder Anne Vallayer-Coster vor Augen führen. Chardins Darstellungen schlichter Alltagsdinge, die sich von der mimetischen Wiedergabe der Realität lösen und das Interesse vom Dargestellten auf die Darstellungsweise verlagern, machen ihn zum zentralen Vorläufer der Malerei der Moderne.

"Der Tag wird kommen, da eine einzige selbständig gemalte Karotte eine gewaltige Revolution verursachen wird", lässt Emile Zola den Maler Lantier in seinem Künstlerroman L'Œuvre (1886) sagen. Mit Paul Cézanne wird das Stillleben zum experimentellen Medium par excellence - seine Äpfel sind beispielhaft dafür. Im 20. Jahrhundert spielt es eine programmatische Rolle für künstlerische Neuerungen, für die Cézannes autonome Bildschöpfungen den unumgänglichen Ausgangspunkt bilden. Die Ausstellung führt dies an einem breiten Spektrum von KünstlerInnen vor Augen: Pablo Picasso und Georges Braque, die die kubistische Revolution auf dem "Rücken" der Dinge vollziehen - Vincent van Gogh, Oskar Kokoschka oder Paula Modersohn-Becker; zudem Giorgio Morandi mit seinen meditativen Krügen oder Andy Warhol mit seinen ikonenhaften Suppendosen.

Über Jahrhunderte hinweg galt das Stillleben aufgrund seines Fokus auf die häusliche, "materiell-konkrete" Lebenssphäre als "feminines" Genre. Für viele Malerinnen, denen der Zugang zur Akademie bzw. das Aktstudium versperrt blieb, wurde es zum Reservat privater Kunstausübung, die im Windschatten des öffentlich-repräsentativen Künstlertums stattfand. Dies macht die Geschichte der Stilllebenmalerei gerade auch zu einer Geschichte der Produktion und Rezeption von Künstlerinnen, wie die Ausstellung erstmals, anhand herausragender Werke von Fede Galizia, Louise Moillon, Clara Peeters, Anne Vallayer-Coster, Berthe Morisot, Paula Modersohn-Becker oder Maria Lassnig, umfassend darstellt. In den 1970er Jahren entlarven Künstlerinnen wie Martha Rosler traditionelle Zuschreibungen der Frau als Kochende, Ernährende oder als "kulinarisiertes" Sexualobjekt und demonstrieren, wie das Visuelle an der Konstruktion von Geschlechterdifferenzen beteiligt ist.

Die Transformation der Nahrung vom Sujet der Malerei zum eigentlichen künstlerischen Material setzt in der Eat Art mit Daniel Spoerri oder Dieter Roth ein, die auf eine bedingungslose Verbindung von Kunst und (kulinarischen) Alltagserfahrungen zielt.

Mit ausgewählten Positionen von Zoe Leonard, Damien Hirst, Harun Farocki oder Sam-Taylor Wood werden außerdem zeitgenössische Ausdrucksformen präsentiert, die sich auf die Stilllebentradition beziehen, aber gleichzeitig aktuelle kulturelle Praktiken und Diskurse rund ums Essen aufnehmen und diese vorantreiben.
     
Informationen: http://www.bankaustria-kunstforum.at    
     
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