Richter "streiken" einmal im Monat  

erstellt am
22  02. 10

Personalnot in der Justiz gefährdet Großverfahren
Causa Hypo: Forderung der Politik nach Aufklärung durch Justiz derzeit nicht erfüllbar! – Neue Großverfahren für die Justiz ohne personelle Ressourcen
Wien (richtervereinigung) - Wieder fordern Politik und Öffentlichkeit die judizielle Aufarbeitung eines großen Wirtschaftskomplexes. Dies ist im Hinblick auf die zuletzt ausgelöste Krisensituation, die ausgehend von einer Kärntner Bank auf ganz Österreich überzuschwappen drohte, verständlich.

Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter weist jedoch mit Nachdruck darauf hin, dass es der Justiz an der dafür nötigen personellen Ausstattung fehlt.

Die Ergebnisse einer Untersuchung eines weltweit führenden Beratungsunternehmens bestätigen der Justiz in Österreich einen Fehlbestand von aktuell 43 Staatsanwälten und 187 Richtern. Zusätzlich werden zumindest weitere 200 Kanzleimitarbeiter dringend benötigt.

Während die „Zulieferbetriebe“, wie zB Polizei (siehe zuletzt „SOKO Ost“, nunnmehr „SOKO Hypo“) und Finanzmarktaufsicht aufgestockt wurden, weigert sich die Politik beharrlich, die sich schon logisch daraus ergebende Notwendigkeit, auch die Justizkapazitäten zu verstärken, anzuerkennen und danach zu handeln. Dies führt zu einer Flaschenhalssituation in der Justiz, wobei bereits jetzt der Dienstbetrieb nur durch unbezahlte Überstunden aller Mitarbeiter aufrechterhalten werden kann.

Angestrengte Massenverfahren tausender durch die Finanzkrise geschädigter Anleger (Stichwort AMIS, Meinl, AWD oder AvW uva) legen aktuell nahezu den gesamten Gerichtsbetrieb lahm, weshalb keine freien Kapazitäten zur effektiven Aufarbeitung eines weiteren Großverfahrens zur Verfügung stehen.

Nicht nur die Sanierung des Bankensystems sondern auch die Aufrechterhaltung einer effektiven Rechtspflege sollten dem Staat Budgetmittel wert sein, wobei dafür ohnedies deutlich weniger aufzuwenden wäre.

Dass eine solche dringende Aufstockungsnotwendigkeit besteht, wurde zuletzt auch wieder von der Bundesministerin für Justiz betont.

An alle politischen Verantwortungsträger, insbesondere dem Bundesminister für Finanzen DI Josef Pröll und der Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek ergeht die Forderung nach sofortiger Aufstockung der fehlenden Planstellen, um einen effektiven Gerichtsbetrieb zu gewährleisten.

Geschieht dies trotz der evidenten Herausforderungen, die gerade die Wirtschaftskrise mit sich bringt, nicht, könnte der Eindruck entstehen, dass die Politik an gründlicher Aufklärung und rascher Lösung der Ursachen und Folgen dieser Krise nicht interessiert ist.
     
Maßnahmen aufgrund der Personalsituation in der österreichischen Justiz

Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter, die Bundesvertretung Richter und Staatsanwälte in der GÖD und der Verein österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte haben heute in einer Presseaussendung Maßnahmen angekündigt, da die politisch Verantwortlichen die Lage der prekären Planstellensituation verkennen.

Sehr geehrte Frau Redakteurin, sehr geehrter Herr Redakteur,

die Standesvertretungen der Richter und Staatsanwälte haben am 14. 1. 2010 mit der Frau Bundesministerin für Justiz Verhandlungen über die Behebung der drückenden Personalnot bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften geführt. Dabei wurde das Ergebnis der Untersuchung eines unabhängigen Wirtschaftsberatungsunternehmens (PAR II), das einen aktuellen Fehlbestand von 230 Richtern und Staatsanwälten ergab, übereinstimmend anerkannt. Zusätzlich fehlen zumindest 200 Kanzleibedienstete und Schreibkräfte. Die Frau Bundesministerin für Justiz berichtete, dass es gelungen sei, eine Zusage des Bundesministers für Finanzen zur Aufstockung des Justizbudgets zur Bearbeitung der anhängigen komplexen Wirtschaftsstrafsachen zu erwirken, sodass zusätzlich 35 Planstellen für Staatsanwälte und Kanzleipersonal im Laufe des Jahres 2010 zur Verfügung stehen. Dies habe mit dem allgemeinen Bedarf an Planstellen im Justizressort laut PAR II nichts zu tun. Trotz ihrer Bemühungen lägen keine Zusagen des Bundeskanzlers, des Bundesministers für Finanzen und der Beamtenministerin zur Aufstockung von Planstellen zur Abdeckung des eklatanten Fehlbestandes vor.

Mehrfache Warnungen der Standesvertretungen der Richter und Staatsanwälte, dass in einem solchen Fall die zügige Abwicklung der anhängigen Verfahren nicht in der von der Bevölkerung und den Medien verlangten Weise gewährleistet werden kann, hat die Politik bislang völlig ignoriert. Um langfristig die Rechtsprechung in ihrer bisherigen Qualität und damit den Wirtschaftsstandort zu sichern, sehen sich die Standesvertretungen gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen.

In einem ersten Schritt wurden verhandlungsfreie Wochen beschlossen. Das bedeutet, dass zur notwendigen sorgfältigen Prüfung jeder einzelnen Entscheidung eine Woche pro Monat keine Verhandlungen stattfinden werden.
Bundeskanzler Faymann, Finanzminister Pröll und Beamtenministerin Heinisch-Hosek werden aufgefordert, die von der Justizministerin Bandion-Ortner und den Standesvertretungen dringend eingeforderten, fehlenden Planstellen, insbesondere bei den Gerichten, zur Verfügung zu stellen.

Mag. Werner Zinkl, Dr. Klaus Schröder, Dr. Wolfgang Swoboda

 

Bandion-Ortner will weitere Gespräche
Wien (bmj) - In Interviews mit mehreren Tageszeitungen und dem ORF zeigt Ministerin Bandion-Ortner zwar „Verständnis“ für die Richter und Staatsanwälte, verweist aber gleichzeitig auf die schwierige Gesamtsituation Österreichs. „Ich kann anbieten, dass ich die Gespräche mit Vizekanzler und Bundeskanzler fortsetze. Wir haben ja auch ein Konzept vorgelegt, nach dem wir für die Verwaltung 200 Beamte von Post und Telekom wollen. Außerdem wird es 70 zusätzliche Planstellen geben, davon 35 für Richter und Staatsanwälte. Und das in Zeiten wie diesen, wo kein Ressort etwas dazubekommt. Ich muss schon um Verständnis für die Gesamtsituation Österreichs ersuchen“, so die Ministerin gegenüber der „Tiroler Tageszeitung“.

Gegenüber „Österreich“ sagte Bandion-Ortner, es habe sich nach Jahren Personalnot einiges aufgestaut, weshalb sie „bis zu einem gewissen Grad“ auch Verständnis für ihre ehemaligen Kollegen hat: „Wichtig ist aber, dass die Bürger nicht negativ betroffen sind. Es ist kein Streik, die Richter arbeiten halt Akten auf und formulieren Urteile.“

In „Österreich“ und gegenüber der ZiB2 sagte die Ministerin außerdem: „Ich will, dass sich alle an einen Tisch setzen und das ausreden. Dass die Richter den Erfolg von 70 zusätzlichen Dienstposten klein reden ist auch nicht in Ordnung. In Zeiten wie diesen sind auch 35 zusätzliche Planstellen, plus 35 für Assistenzdienste, durchaus viel, und sie helfen uns wirklich, vor allem in den großen Wirtschaftscausen.“

 

  Steinhauser: Verständnis für die Maßnahmen der RichterInnen
Grüne: Justizministerin muss rasch handeln
Wien (grüne) - "Ich habe volles Verständnis dafür, dass die RichterInnen ein erstes Zeichen setzen", reagiert der Justizsprecher der Grünen, Albert Steinhauser auf die Ankündigung der RichterInnen, nunmehr eine Woche pro Monat keine Verhandlungen abzuhalten. Das trifft zwar zweifelsohne die Rechtsschutzsuchenden, die jetzt mit einer längeren Verfahrensdauer zu rechnen haben, die Verantwortung dafür trägt jedoch Justizministerin Bandion-Ortner. Es ist auch im Sinn der Rechtsschutzsuchenden, wenn die RichterInnen jetzt eine bessere Ausstattung der Justiz erkämpfen.

Steinhauser erwartet sich ein rasches Handeln der Justizministerin: "Bandion-Ortner muss jetzt zeigen, wie viel Gewicht sie in der Regierung hat und zusätzliche Planstellen für die Justiz ausverhandeln." Steinhauser warnt aber auch davor, dass Probleme nicht gelöst werden, wenn beispielsweise Planstellen vom Strafvollzug zu den Gerichten umverteilt werden. "Diese 'Loch zu-Loch auf-Politik' der Justizministerin würde die Probleme nur verlagern", schließt Steinhauser.

 

UGöD: Solidarität mit Justiz-KollegInnen
Für ein Konjunkturpaket Bildung, Soziales und öffentlicher Dienst!
Wien (ögb) -Personalabbau bzw. Nichtnachbesetzung von Dienstposten gefährdet die Qualität der öffentlichen Dienste, nicht nur im Justizbereich. Im Frühjahr führte eine verfehlte restriktive Budgetpolitk zu Kampfmaßnahmen der LehrerInnen, die von allen öffentlich Bediensteten unterstützt worden sind. Nun sind es die RichterInnen. StaatsanwältInnen und das Kanzleipersonal, welche die Solidarität der übrigen öffentlich Dienste und des ÖGB brauchen. Der demokratische Rechtsstaat braucht eine unabhängige Justiz, die ohne Druck von außen und auch ohne unzumutbaren Arbeits- und Zeitdruck arbeiten kann. Das dazu notwendige Personal zu budgetieren, ist Aufgabe von Finanzminister und Bundesregierung.

Die Unabhängigen GewerkschafterInnen in der GÖD (UGöD) unterstützen die Forderung der Gewerkschaft der Richter und Staatsanwälte und der Gewerkschaft des Justizpersonals nach zusätzlichen 230 RichterInnen und StaatsanwältInnen und nach mindestens 200 zusätzlichen Dienstposten für Beamte und Vertragsbedienstete.

Die UGöD fordert Finanzminister Pröll auf, die fehlenden Budgetmittel umgehend bereitzustellen und bei der beginnenden Arbeit am kommenden Budget den Personalbedarf der öffentlichen Dienste ausreichend zu bedecken. Umschichtungen von Personal in Zusammenhang mit einer Verwaltungsreform einschließlich Schulverwaltungsreform sind dabei zu berücksichtigen, sie können aber den bestehenden vielfach dramatischen Personalmangel nicht beheben. Nicht nur in der Justiz, auch in den Bereichen Bildung, Universitäten, Soziales und Gesundheit fehlt es an Ressourcen und Personal. Bankenpakete dürfen nicht durch Sparpakete für den öffentlichen Dienst und durch Sozialabbau finanziert werden. Ein Konjunkturpaket Bildung, Soziales und öffentlicher Dienst ist eine Zukunftsinvestition, die nachhaltig Arbeitsplätze schafft.

Die Unabhängigen GewerkschafterInnen erwarten vom Vorsitzenden der Gewerkschaft öffentlicher Dienst Kollegen Neugebauer die rasche Einberufung der GÖD-Bundeskonferenz (Zentralvorstand) zur solidarischen Unterstützung der Kampfmaßnahmen der Justiz-KollegInnen und zur Beratung gemeinsamer Maßnahmen für die ausreichende Finanzierung der öffentlichen Dienste im nächsten Budget der Bundesregierung.
     

Wir übernehmen hier Stellungnahmen aller im Parlament vertretenen Parteien –
sofern vorhanden! Die Reihenfolge der Beiträge richtet sich in der Regel nach deren
Mandatsstärke im Parlament bzw. nach der Hierarchie der Personen. Die Redaktion

 
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