Hildegard Burjan - Politik und Leben für die Menschlichkeit   

erstellt am
18  02. 10

"kreuz und quer"-Dokumentation im Parlament präsentiert
Wien (pk) - Hildegard Burjan, christlichsoziale Politikerin, vom 4. März 1919 bis zum 9. November 1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung und Gründerin der "Caritas Socialis" soll noch in diesem Jahr selig gesprochen werden. Der ORF widmet dieser ungewöhnlichen Frau eine "kreuz und quer"-Dokumentation, die am 17.02. im Sitzungssaal des Nationalrats präsentiert wurde.

Die Dokumentation "Hildegard Burjan – Ein Leben für die Menschlichkeit" wurde von Anita Lackenberger und Gerhard Mader gestaltet. Sie beleuchtet das Leben und Wirken Hildegard Burjans sowie ihr Erbe, die Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis (CS). Diese besteht bis heute und leistet unverzichtbare soziale, auf dem Gebiet der Hospizarbeit sogar bahnbrechende Dienste.

Caritas und Justitia
Für Hildegard Burjan erübrigte sich soziales Engagement nicht allein im Geben von Almosen, sondern ihr ging es darum, innovative Antworten auf die Fragen der Zeit zu geben, betonte die Generalleiterin der CS-Schwesterngemeinschaft, Maria Judith Tappeiner. Dem Leitspruch Burjans, "die Zeichen der Zeit erkennen", sei die Caritas Socialis besonders verpflichtet.

Fritz Neugebauer, der Zweite Präsident des Nationalrats, bezeichnete die Dokumentation als ein "berührendes zeithistorisches Dokument". Hildegard Burjan gebe auch heutigen PolitikerInnen mit auf den Weg, dass es um Zuwendung und um Menschlichkeit gehe und dass man Bleibendes schaffen könne. Das Parlament sei für die Präsentation des Films deshalb der richtige Ort, denn hier habe Burjan versucht, ihre politischen Visionen umzusetzen. Manche von ihnen harrten aber noch immer der Realisierung, wie ihre Forderung "gleicher Lohn für gleiche Arbeit", bemerkte Neugebauer.

Als einen bedeutenden Aspekt der Persönlichkeit Burjans nannte Gerhard Klein, der Leiter der ORF-TV-Religion, die Tatsache, dass es in ihrem Glaubensverständnis nicht allein um die Caritas gegangen sei, sondern um die Justitia, die Gerechtigkeit, und das sei etwas völlig Neues gewesen. Die Wurzeln für diese Haltung könnten in ihrer liberalen jüdischen Erziehung liegen, meinte er. Hildegard Burjan sei damit auch eine Wegbereiterin für ein neues Verständnis von Theologie und Lehramt.

Klein wies auch auf die Zerrissenheit der Person Burjans durch ihr Leben in zwei Welten hin, in jener der gehobenen Gesellschaft und in jener des Elends, auf die Spannungen und Verwerfungen, in denen sie lebte und in denen sie ihren Glauben bewahrte. Sie habe mit Widersprüchen, Spannungen und Konflikten umgehen können, sagte auch die CS-Generalleiterin Maria Judith Tappeiner. Burjan habe weder polarisiert noch vereinfacht, sie habe Konflikte nicht als Störfaktor angesehen, sondern sei bemüht gewesen, mit ihnen authentisch umzugehen. Hildegard Burjan habe um der Sache willen Parteigrenzen überwunden.

Die Dokumentation entstand als Koproduktion von Produktion West und ORF mit Unterstützung des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur, des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend und der Stadt Wien. Ausgestrahlt wird das Porträt laut ORF rund um den Termin der Seligsprechung, der für heuer erwartet wird. Das Verfahren dazu wurde bereits 1963 von Kardinal Franz König eingeleitet.

ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz würdigte "kreuz und quer" als eine der erfolgreichsten Religionssendungen in Europa. Es gebe auch wenige öffentlich-rechtliche Sender, die dem Thema Religion so viel Raum geben wie der ORF, unterstrich er.

Präsident Neugebauer konnte unter den zahlreichen Gästen auch den Präsidenten des Bundesrats Peter Mitterer, ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf, die ehemalige Zweite Präsidentin des Nationalrats Marga Hubinek, Bischof Maximilian Aichern, Weihbischof Helmut Krätzl sowie die ehemalige Nationalbankpräsidentin Maria Schaumayer und die Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofs Brigitte Bierlein begrüßen.

Hildegard Burjan – Gewissen des Parlaments und der Gesellschaft
Hildegard Burjan (1883–1933) war eine der ersten acht Frauen, die nach der Einführung des Frauenwahlrechts zu Mitgliedern der Konstituierenden Nationalversammlung gewählt wurden. Auch wenn sie nur kurze Zeit dem Parlament angehörte, galt sie schon bald als "Gewissen des Parlaments". Das war insbesondere auf Ihr soziales Engagement zurückzuführen, aber auch auf ihr Bemühen, damit Brücken zu den SozialdemokratInnen zu schlagen.

Die tief religiöse und kirchentreue Hildegard Burjan wollte dem Elend großer gesellschaftlicher Schichten nicht tatenlos zuschauen. Engstirnigkeit zählte nie zu ihren Eigenschaften und so schloss sie auch nie ihre Augen vor den Schattenseiten der Gesellschaft, wie Jugendkriminalität, Verwahrlosung und Prostitution. Burjan erkannte die Zeichen des gesellschaftlichen Wandels und versuchte, zielgerichtet gegenzusteuern und Hilfsmaßnahmen zu setzen, sowohl auf der politischen Ebene als auch im Bereich der Zivilgesellschaft. In der Person von Bundeskanzler Ignaz Seipel und in Kardinal Friedrich Gustav Piffl fand sie mächtige Unterstützer ihrer Ideen.

Nach Beendigung ihrer parlamentarischen Tätigkeit widmete sich Hildegard Burjan der Gründung, dem Aufbau und der Leitung der Caritas Socialis. Die Schwesterngemeinschaft setzte sich als "Hilfstrupp Gottes" zunächst vor allem für die Resozialisierung geschlechtskranker Mädchen und für verwahrloste Kinder ein. Sie schützte Mädchen auf Bahnhöfen vor Zuhältern und legte mit "Ausspeisungsstätten" für Bedürftige den Grundstein für die Einrichtung "Essen auf Rädern".

Die Intensität und Beharrlichkeit, mit der Hildegard Burjan ihre Ziele verfolgte, vermitteln oft den Eindruck einer Getriebenen. Sie schien zu spüren, dass ihr selbst wenig Zeit blieb, und sie versuchte auch andere zu überzeugen, dass Hilfe angesichts der großen Not keinen Aufschub erlaubte.

Ihr Engagement sowohl als Parlamentarierin als auch als Privatperson galt insbesondere der Not und Benachteiligung von Frauen, vor allem der Heimarbeiterinnen und Dienstboten. Sie trat aber auch für die Aufnahme von Frauen in staatliche Ämter und Betriebe sowie für deren Gleichbehandlung ein – Stichwort "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" - und sie machte sich für die Ausbildung von Mädchen sowie für den Mutterschutz stark.

Burjans sicheres Gespür für die Zeichen der Zeit erwies sich auch in ihrer Einschätzung des aufkeimenden Nationalsozialismus. Sie warnte davor, dass diese Bewegung totalitär ist und bis zum Äußersten gehen wird.
     
zurück