Innsbrucker Physiker schicken Atome auf die Wanderschaft
Innsbruck (universität) - Eine Zufallsbewegung mit bis zu 23 Schritten haben Physiker um Christian
Roos und Rainer Blatt vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie
der Wissenschaften in einem Quantensystem realisiert. Es ist das erste Mal, dass ein solcher Quantenzufallsprozess
mit gefangenen Ionen in diesem Detail demonstriert wurde.
Ein Wanderer muss sich an jeder Wegkreuzung für einen der möglichen Wege entscheiden. Die Summe dieser
Entscheidungen führt ihn schließlich an sein Ziel. Hat der Wanderer seine Landkarte verloren, muss er
die Entscheidungen zufällig treffen und mehr oder weniger lange nach seinem Ziel suchen. Die Wissenschaft
spricht dann von einer Zufallsbewegung. Solchen Bewegungen („random walks“) begegnet man in Mathematik und Physik
ständig. So hat etwa der schottische Botaniker Robert Brown 1827 entdeckt, dass Pollenkörner auf Wassertropfen
unregelmäßig zuckende Bewegungen machen. Ursache dafür sind die zufälligen Bewegungen der
Wassermoleküle – ein Phänomen, das die Wissenschaft heute Brown’sche Molekularbewegung nennt. Ein anderes
Beispiel ist das Galton-Brett, mit dem Schulkindern die Binomialverteilung veranschaulicht wird. Hier werden Kugeln
über ein Brett voll Nägeln gerollt. An jedem Nagel muss sich eine Kugel entscheiden, ob sie links oder
rechts vom Nagel vorbeirollt.
Atom macht „Quantenspaziergang“
Dieses Prinzip der Zufallsbewegung haben die Innsbrucker Forscher nun in die Quantenwelt übertragen
und ein Atom zum „quantum walk“ animiert: „Wir fangen ein einzelnes geladenes Atom in einer elektromagnetischen
Ionenfalle und kühlen es in seinen Grundzustand“, erklärt Christian Roos vom Institut für Quantenoptik
und Quanteninformation (IQOQI). „Dann bringen wir das Teilchen in eine quantenmechanische Überlagerung aus
zwei inneren Zuständen und schicken das Atom auf Wanderschaft.“ Die beiden inneren Zustände entsprechen
der Entscheidung des Wanderers, nach links oder nach rechts zu gehen. Anders als der Wanderer muss sich das Atom
aber nicht wirklich entscheiden, wohin es gehen will. Denn durch die Überlagerung der beiden Zustände
liegen beide Möglichkeiten gleichzeitig vor. „Abhängig vom inneren Zustand bewegen wir das Ion dann nach
links und rechts“, erläutert Christian Roos. „ Dabei werden die Bewegungszustände des Ions mit seinen
inneren Zuständen verschränkt.“ Nach jedem Schritt verändern die Experimentalphysiker mit einem
Radiofrequenzpuls die Überlagerung der inneren Zustände und bewegen – je nach Ergebnis – das Ion erneut
nach links und rechts. Bis zu 23 Mal können sie diesen vom Zufall gesteuerten Vorgang wiederholen und so Daten
darüber sammeln, wie sich Quantenzufallsprozesse verhalten. Durch die Verwendung eines zweiten Ions haben
die Wissenschaftler das Experiment auch noch erweitert: Dann erhält das wandernde Ion eine dritte Möglichkeit,
es kann sich dann entscheiden zwischen links gehen, rechts gehen und einfach stehen bleiben.
Phänomene der Natur besser verstehen
Die statistische Auswertung von zahlreichen solchen Durchläufen bestätigt, dass sich Quantenzufallsprozesse
anders verhalten als klassische Zufallsbewegungen. Während sich zum Beispiel beim Galton-Brett die Kugeln
statistisch nur langsam vom Ausgangspunkt wegbewegen, zeigen Quantenteilchen einen regelrechten Fluchtreflex auf
ihren Irrfahrten. Sie entfernen sich statistisch sehr rasch von ihrem Ursprung.
Anwendung finden solche Experimente, die in ähnlicher Weise auch in Bonn, München und Erlangen mit Atomen,
Ionen und Photonen durchgeführt worden sind, einerseits bei der Untersuchung von Naturphänomenen. So
vermutet die Forschung zum Beispiel, dass der Energietransport in Pflanzen durch solche Quantenzufallsprozesse
sehr viel effizienter als auf klassische Weise funktioniert. Andererseits gilt ein solches Quantenzufallsregime
auch als mögliches Modell für einen Quantencomputer, auf dem universelle Probleme gelöst werden
können. So könnte etwa die Leistungsfähigkeit von Suchalgorithmen durch die gleichzeitige Wahl von
allen möglichen Wegen dramatisch gesteigert werden.
Unterstützt wurden die Forscher bei diesem Experiment vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und
der Europäischen Kommission.
Publikation: Realization of a quantum walk with one and two trapped ions. Zähringer F, Kirchmair G, Gerritsma
R, Solano E, Blatt R, Roos CF. Phys. Rev. Lett. 104, 100503 (2010) http://dx.doi.org/10.1103/PhysRevLett.104.100503 |