Wien (tu) - Die Forschungsgruppe "Höhere Geodäsie" am
Institut für Geodäsie und Geophysik der Technischen Universität (TU) Wien hat seit dem Erdbeben
in Chile im Februar 2010 an globalen Vermessungen mitgearbeitet. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Drehgeschwindigkeit
der Erde geringfügig langsamer geworden ist und die Tage um 0,3 Mikrosekunden länger wurden.
Verschiebung und Deformation der Kontinentalplatten deutlich erkennbar
Am 27. Februar 2010 zerstörte eines der stärksten Erdbeben der letzten Jahrzehnte (Magnitude
8,8) große Teile der drittgrößten chilenischen Stadt Concepción und deren Umland. Experten
am Institut für Geodäsie und Geophysik der TU Wien haben an zentraler Stelle zu den wichtigen geodätischen
Messungen beigetragen, die vor und nach dem Erdbeben durchgeführt wurden. Hochpräzise geowissenschaftliche
Messungen spielen in der Geodäsie (Vermessung der Erde) eine wichtige Rolle, um Naturkatastrophen zu beobachten
und deren Ursachen zu untersuchen. Die Messungen erlauben es, die Deformationen der Erdkruste und die Verschiebung
der Kontinentalplatten mit sehr hoher Genauigkeit zu bestimmen. Die GPS-Station in Concepción, die während
und nach dem Erdbeben störungsfrei weitergelaufen ist, hat eine Verschiebung um beinahe 3 Meter in westlicher
Richtung gemessen (siehe Bild 2). Den sogenannten Verschiebungsvektoren auf dieser Abbildung ist zu entnehmen,
dass die gesamte südamerikanische Platte nicht nur nach Westen "gewandert" ist, sondern "auseinandergezogen"
wurde.
"Beobachtungen mit dem Radioteleskop in Concepción werden mittels des Verfahrens der Very Long Baseline
Interferometry (VLBI) weitere wichtige Aussagen zur Plattenbewegung liefern." vermutet Dr. Johannes Böhm,
Leiter der VLBI-Gruppe am Institut für Geodäsie und Geophysik. Bild 3 zeigt das Radioteleskop, das zum
Glück durch das Erdbeben kaum in Mitleidenschaft gezogen wurde und die Arbeitsgruppe der TU Wien. Aktuelle
Ergebnisse der VLBI-Auswertungen am Institut bestätigen jetzt die erwähnte Verschiebung um ungefähr
3 Meter in Richtung Westen und 0,65 Meter in südlicher Richtung.
Auswirkung auf die Rotation der Erde: die Tage werden länger
Experten erwarten, dass das Erdbeben auch die Rotation der Erde beeinflusst hat. Die durch das Beben verursachten
Massenverlagerungen innerhalb der Erdkruste wirken sich sowohl auf die Drehgeschwindigkeit der Erde aus, als auch
auf die Richtung der Rotationsachse, wo sie zur Polbewegung beitragen. Mit Informationen über die Stärke
des Erdbebens und die dadurch hervorgerufenen Deformationen wurde inzwischen am Institut für Geodäsie
und Geophysik die Auswirkung auf die Erdrotation berechnet.
Erste Ergebnisse zeigen, dass die Drehgeschwindigkeit der Erde geringfügig langsamer geworden ist und die
Tage um 0,3 Mikrosekunden länger wurden. Die Polbewegung wird in den kommenden Monaten um ca. 2,6 Millibogensekunden,
das entspricht 7 cm an der Erdoberfläche, anders verlaufen, als ohne Einwirkung des Erdbebens in Chile. Prof.
Harald Schuh, Vorstand des Instituts für Geodäsie und Geophysik der TU Wien und Präsident der Kommission
19 "Rotation der Erde" innerhalb der Internationalen Astronomischen Union (IAU) bestätigt, "dass
Aussagen, die eine "sprungartige" Verlagerung der Erdrotationsachse vermuten ließen, demnach nicht
korrekt sind."
Derzeit werden Beobachtungen analysiert, die mit globalen Satelliten- Systemen wie dem amerikanischen GPS oder
dem russischen Glonass und auch mit dem Verfahren der VLBI durchgeführt wurden, um die Wirkung des Erdbebens
auf die Erdrotation zu bestätigen. "Dies ist nicht so einfach, da es neben Erdbeben noch zahlreiche andere
Einflüsse auf die Erdrotation gibt, z.B. starke Windströmungen oder die Meeresgezeiten", betont
Dr. Tobias Nilsson, der für die entsprechenden Arbeiten am Simulationsmodell zuständig ist. Die Forschungsarbeiten
der Geodäten dienen dazu, mittels moderner Messverfahren der Geodäsie die Vorhersage bzw. Möglichkeiten
zur kurzfristigen Warnung vor Naturkatastrophen zu verbessern. |