Gibt es einen Zusammenhang zwischen Bauchfett und suchtartigem Essverhalten?   

erstellt am
08  04. 10

Forscher der Med Uni Graz finden bei übergewichtigen Jugendlichen mit erhöhten Insulinspiegeln nach Präsentation von Bildern mit hochkalorischen Nahrungsmitteln verstärkte Aktivität in Langzeitgedächtniszentren
Graz (medunigraz) - Können Trivialfaktoren wie erhöhter Fastfood-Konsum und Bewegungsmangel wirklich das ganze Ausmaß der weltweiten Fettsuchtepidemie erklären? Viele Indizien sprechen dafür, dass bei der Entwicklung von chronischem Übergewicht auch suchtähnliche Verhaltensmuster eine große Rolle spielen. Ein Forschungsteam des Klinischen Instituts für medizinische und chemische Labordiagnostik der Medizinischen Universität Graz fand nun mittels funktioneller Kernspintomographie einen möglichen Mechanismus, der dem Craving (Verlangen eines Suchtkranken) zu Grunde liegen könnte: bei Jugendlichen mit stammbetonter Fettsucht reagierte der Hippocampus, ein Hirnzentrum, das unter anderem für die Speicherung von Gedächtnisinhalten zuständig ist, besonders stark auf optische Nahrungsreize. Eine ganz wichtige Rolle bei diesen prägungsähnlichen Prozessen scheint das Hormon Insulin zu spielen.

Lösen Nahrungsreize bei Übergewichtigen besonders starke Reaktionen in bestimmten Hirnarealen aus? Um diese Frage zu beantworten, führten die Wissenschaftler unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Harald Mangge eine aufwendige Studie an übergewichtigen Jugendlichen und normalgewichtigen Altersgenossen durch: Sie präsentierten den halbnüchternen Probanden während einer Kernspintomographie (MRI) standardisierte Fotos mit hoch- und niederkalorischen Nahrungsmitteln sowie neutralen Inhalten und maßen dabei die neuronale Aktivität im Gehirn. Besonderes Augenmerk wurde auf Hirnzentren gelegt, die mit Suchtverhalten in Verbindung gebracht werden. Zusätzlich wurden auch anthropometrische, verhaltenspsychologische und labordiagnostische Daten erhoben.

Die Auswertung der Ergebnisse, die in Kooperation mit Ass.-Prof. PD Dr. Sandra Wallner- Liebmann, Institut für Pathophysiologie und Immunologie und DI Dr. Gernot Reishofer, Mag. Karl Koschutnig, Klinische Abteilung für Neuroradiologie, Universitätsklinik für Radiologie, durchgeführt wurde, zeigte, dass die übergewichtigen Jugendlichen tatsächlich anders auf die visuellen Nahrungsreize reagierten: Abhängig von der Höhe des Nüchterninsulinspiegels fand sich bei ihnen nach Stimulation mit Bildern hochkalorischer Nahrungsmittel eine besonders starke Aktivität im Bereich des Hippocampus. Ein besonders interessanter Aspekt war, dass für diese Korrelation nicht der Body Mass Index (BMI) oder der prozentuelle Körperfettanteil entscheidend war, sondern das Ausmaß des intraabdominellen (innerhalb des Bauchraums gelegen) Fetts. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Personen mit vermehrtem Bauchfett besonders stark zu einer beginnenden Insulinresistenz neigen, die durch eine verstärkte Insulinproduktion ausgeglichen werden muss. Während Suchtverhalten bisher primär mit Botenstoffen wie Dopamin in Zusammenhang gebracht wurde, weist der starke Zusammenhang zwischen Hippocampusaktivierung und Nüchterninsulinwerten in der vorliegenden Studie darauf hin, dass bei diesem Prozess offenbar auch Insulin eine entscheidende Rolle spielt. Dazu passt, dass der Hippocampus eine Region mit einer hohen Dichte von Insulinrezeptoren ist. "Insulin scheint die Speicherung von hochkalorischen Nahrungsreizen solcherart zu beeinflussen, dass bei neuerlicher visueller Stimulation ein besonders starker Reiz ausgeübt wird", so Prof. Mangge. "Dies kann zu suchtartigen Essverhalten von vor allem stark fett- und zuckerhaltigen Nahrungsmittel führen." Sollten sich die Ergebnisse in weiteren Studien bestätigen, könnte das auch therapeutische Implikationen haben: Zum einen müsste bei einem metabolischen Risikotyp mit frühzeitig im Leben einsetzender Fettansammlung im Bauchraum vermehrt auf Anzeichen suchtartigen Essverhaltens geachtet werden. Denkbar ist zudem, dass übergewichtige Patienten durch therapeutische Maßnahmen, bei denen hochkalorische Nahrungsreize einseitig thematisiert werden, noch stärker in ein Suchtverhalten hineingetrieben werden. Die Ergebnisse könnten aber auch Grundlagen für die Entwicklung von neuen pharmakologischen Therapieansätzen bei Adipositas liefern, mit denen die dringend notwendige Lebensstilmodifikation ergänzt werden kann.
     
Informationen: http://www.medunigraz.at    
     
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