"Vorläufiges Missverständnis"   

erstellt am
15  04. 10

Goldenes Verdienstzeichen für Robert Menasse
Wien (rk) - Kritik und deren Widerlegung, dazu jede Menge tote philosophische Hunde und am Boden liegende, widerständige Vögel: Robert Menasse, der Vormittag des 15.04. im Rathaus das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien durch Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny überreicht bekam und Anerkennung als "vorläufiges Missverständnis" definierte, machte für die Anwesenden in seiner dialektisch angelegten Dankesrede klar, dass die Auszeichnung nicht primär seinem literarischen Schaffen, sondern dessen anerkannten intellektuellen Einmischung gilt. Auch die Germanistin und Literaturkritikerin Daniela Strigl ("Ihr gehört längst schon das Verdienstzeichen in Platin", Menasse) hob in ihrer werkgenauen Laudatio Menasses Gespür für die längst tot geglaubte Hegelsche Dialektik hervor, die durch ihn wieder in literarischen Rang gesetzt wurde. Ebenso wie sie daran erinnerte, dass Menasse, neben seinem literarischen Schaffen, das bereits sämtliche Romanformen durchdekliniert habe, vor allem auch ein "Meister der Repräsentation" sei. Als Schriftsteller und Essayist sei er nicht nur "der natürliche Feind jeder Floskel", auch die Schlussfolgerungen seiner früheren Essays seien bis heute "erstaunlich haltbar". Ähnliches merkte auch Mailath-Pokorny an, der an die vielen von Menasse "ausgefochtenen Sträuße mit der Sozialdemokratie" erinnerte. Für ihn sei Menasse ein unbestechlicher Kritiker, wie auch ein scharfzüngiger Intellektueller, der für Wien und das Land nicht wegzudenken sei. "Menasse fordert nicht nur seine Leser, er fordert immer auch sich selbst."

Und der Vogel? In Menasses Dankesrede kam die Fabel zwischen einer Katze und einem am Boden liegenden Vogel vor, der seine beiden Füße gegen den Himmel streckt. Auf die Frage, warum er dies mache, antwortete der Vogel, dass der Himmel herabzustürzen drohe. Daraufhin die Katze, ob er denn glaube, mit seinen dünnen Füßen den Himmel aufhalten zu können. Der Vogel: "Irgendetwas muss man doch tun." Menasse, der für sich das Bild übernahm: Zumindest ein Bein würde er gegen den Himmel halten, das andere bräuchte er, um aufzustampfen, sprich: auch zukünftig gehört zu werden.

Robert Menasse wurde am 21. Juni 1954 in Wien geboren. Er studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft in Wien, Salzburg und Messina und promovierte 1980 bei Wendelin Schmidt-Dengler mit einer Arbeit über den Typus des Außenseiters im Literaturbetrieb am Beispiel Hermann Schürrers. Seine erste Erzählung "Nägelbeißen" wurde 1973 in der Zeitschrift "Neue Wege" veröffentlicht. 1981 bis 1988 lehrte Menasse als Lektor und Gastdozent am Institut für Literaturtheorie in São Paulo österreichische Literatur. Dort hielt er vor allem Lehrveranstaltungen über philosophische und ästhetische Theorien ab, u. a. über Hegel, Lukács, Benjamin und Adorno.

Seit seiner Rückkehr aus Brasilien lebt Robert Menasse als freier Schriftsteller, Übersetzer und kulturkritischer Essayist in Wien. Zu den wichtigsten literarischen Werken zählen die Romane "Selige Zeiten, brüchige Welt" (1994) und "Schubumkehr" (1997) - die beiden Texte bilden gemeinsam mit der Nachschrift "Phänomenologie der Entgeisterung" die in Brasilien begonnene "Trilogie der Entgeisterung". Von Menasses kulturpublizistischen Arbeiten sind die österreichkritischen Essaysammlungen "Das Land ohne Eigenschaften" (1993) und "Erklär mir Österreich" (2000) genannt. Zuletzt ist von Menasse dessen erster Erzählband "Ich kann jeder sagen - Erzählungen vom Ende der Nachkriegsordnung" (2009) erschienen. Aktuell arbeitet er an einem Zukunftsroman, der sich mit der EU beschäftigt.

Für sein literarisches und essayistisches Schaffen erhielt Menasse eine Reihe von Preisen und Auszeichnungen, u. a. den Heimito von Doderer-Preis (1991), den Hugo-Ball-Preis (1996), den Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik (1998) und den Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg (2002). 2003 wurde ihm der Erich Fried-Preis zugedacht.
 
zurück