Gesundheitsausschuss: Nationaler Aktionsplan Ernährung am Prüfstand   

erstellt am
15  04. 10

ExpertInnen fordern Einbeziehung der Bewegung in den "NAP.e"
Wien (pk) - Der geplante "Nationale Aktionsplan Ernährung" nimmt langsam konkrete Gestalt an. Nach der Präsentation eines ersten Entwurfs durch Gesundheitsminister Alois Stöger Ende Jänner standen die Pläne des Gesundheitsressorts am 14.04. bei einer Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss des Nationalrats am Prüfstand. Dabei gab es für die bisher vorliegenden Vorschläge großteils Lob, aber auch einzelne kritische Anmerkungen. So vermissten etliche ExpertInnen und Abgeordnete die Berücksichtigung von Bewegung im Aktionsplan, da Bewegung ihrer Ansicht nach gemeinsam mit der Ernährung eine wichtige Rolle bei der Vermeidung und Reduktion von Übergewicht spielt. Auch bei der Frage der Finanzierung und der Priorisierung werden noch offene Fragen gesehen.

Gesundheitsminister Stöger wies darauf hin, dass noch zwei Wochen lang Stellungnahmen zum Konsultationsentwurf abgegeben werden können. Ende des Jahres will er dann den fertigen Aktionsplan, kurz NAP.e genannt, veröffentlichen. Basis für die Diskussion im Ausschuss bildete ein gemeinsamer Entschließungsantrag der Koalitionsparteien, der auf eine rasche Vorlage des Aktionsplans abzielt und vom Ausschuss einstimmig angenommen wurde.

Eingeleitet wurde die Expertenanhörung mit einer Fragerunde durch die Abgeordneten. Die VertreterInnen der einzelnen Fraktionen wollten von den ExpertInnen unter anderem wissen, warum Österreich aus ihrer Sicht einen Nationalen Aktionsplan Ernährung brauche, welche Schwerpunkte gesetzt werden sollten, wie das Ernährungsverhalten von Kindern und Jugendlichen beeinflusst werden könne und wie man es generell schaffe, Menschen zu motivieren, ihren Lebensstil zu ändern. Konkrete Fragen betrafen außerdem die mögliche Beschränkung des Salzgehalts in Lebensmitteln, die Forcierung von gesunden Lebensmitteln in Schulbuffets, die Einbeziehung der Hormontherapie und von Nahrungsergänzungsmitteln in den Aktionsplan und mögliche Aktivitäten im Bereich der "Verhältnisprävention".

So gab Abgeordneter Karl Öllinger (G) etwa zu bedenken, dass der Softdrink-Konsum in Schulen automatisch zurückgehen würde, wenn es keine Getränkeautomaten gäbe, ein Umstand, den auch SPÖ-Gesundheitssprecherin Sabine Oberhauser ansprach. Öllinger wies außerdem darauf hin, dass sich gerade Personen mit niedrigem Einkommen verhältnismäßig ungesund ernährten. Abgeordneter Norbert Hofer (F) trat für Werbebeschränkungen in Bezug auf Lebensmittel ein. Mehrfach angesprochen wurde auch das von der EU ko-finanzierte "Schulfruchtprogramm", das Volkschulkinder verstärkt mit Obst versorgen soll.

Kritisch hinterfragten mehrere Abgeordnete, warum das Thema Bewegung nicht integrierter Bestandteil des Aktionsplans sei. Gesunde Ernährung müsse immer in Kombination mit Bewegung gesehen werden, betonten etwa Abgeordnete Claudia Durchschlag (V) und Abgeordnete Ursula Haubner (B). Haubner erkundigte sich außerdem danach, warum die österreichische Ernährungspyramide von der europäischen Ernährungspyramide, die auch mäßigen Alkoholkonsum einbeziehe und Getreideprodukte vor Obst und Gemüse reihe, abweiche. Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber (G) gab zu bedenken, dass das Ernährungsverhalten auch stark von der Schule und vom Kindergarten geprägt werde und sprach sich für eine entsprechende Fokussierung des Aktionsplans aus.

Ingrid Kiefer, Leiterin des Kompetenzzentrums Ernährung & Prävention der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), hielt fest, dass Österreich mit seinem NAP.e mehr oder weniger Schlusslicht in Europa sei. In anderen europäischen Staaten seien derartige Initiativen bereits weiter fortgeschritten, skizzierte sie. Sozialmedizinerin Anita Rieder, Expertin für Präventionsfragen, sieht in diesem Faktum allerdings keinen Nachteil, da, wie sie meinte, man von den anderen Staaten lernen und sich an internationalen Vorzeigebeispielen orientieren könne. Für wichtig erachtet Rieder eine Prioritätensetzung, wobei sie etwa das Schulfruchtprogramm als positives Beispiel nannte, da es im Sinne der Verhältnisprävention soziale Ungleichheiten ausgleiche.

Generell wies Rieder darauf hin, dass mit gezielten Aktivitäten sehr wohl Erfolge erzielt werden könnten, wie das Beispiel Finnland zeige. Dort konnte die Sterblichkeit ihr zufolge durch ein die gesamte Bevölkerung einbeziehendes Programm innerhalb von 10 Jahren tatsächlich reduziert werden. Die Weglassung von Alkohol in der österreichischen Ernährungspyramide begründete Rieder damit, dass mäßiger Alkoholkonsum zwar im Herz-Kreislauf-Bereich positive Auswirkungen haben möge, man könne Alkohol angesichts seiner negativen Effekte auf die Krebsprävention allerdings nicht empfehlen.

AGES-Vertreterin Kiefer hob die Notwendigkeit hervor, bereits im Kleinkindbereich einen Grundstock für gesunde Ernährung zu legen. Dass die österreichische Ernährungspyramide von der europäischen Ernährungspyramide abweicht, hat ihr zufolge den Grund darin, dass ein hoher Getreideanteil in der Ernährung angesichts des verbreiteten Bewegungsmangels eine zu hohe Energiezufuhr bewirke und Übergewicht begünstige. Generell sei sie froh, dass man sich in Österreich endlich auf eine gemeinsame Pyramide einigen habe können, sagte Kiefer.

Peter Frigo, Facharzt für Frauenheilkunde und Leiter der Hormonambulanz am AKH, wies darauf hin, dass das Brustkrebsrisiko unter anderem durch Übergewicht, Alkoholkonsum und Rauchen steige, wobei Übergewicht der wesentlichste dieser Faktoren sei. Er sprach sich dafür aus, Krankenhäuser als Vorzeigebetriebe für gesunde Ernährung zu etablieren, und bedauerte in diesem Zusammenhang, dass eine von ihm gestartete Initiative am AKH letztendlich am Geldmangel gescheitert sei. Zum Thema Hormontherapie hielt Frigo fest, es scheine so zu sein, dass Wachstumshormone gerade bei älteren Menschen ab 50 aufgrund von Anti- Aging- und Präventionswirkungen interessant sein dürften.

Michael Blass, Geschäftsführer des Fachverbandes der Nahrungs- und Genussmittelindustrie der Wirtschaftskammer Österreich, meinte, es sei höchste Zeit für die Erarbeitung eines Nationalen Aktionsplans Ernährung. Der österreichische Aktionsplan passe relativ gut zu den Aktivitäten in anderen Ländern, erklärte er, habe allerdings einen "großen Pferdefuß": er beschäftige sich nur mit Ernährung und lasse andere wichtige Gesundheitsfaktoren wie Bewegung unter den Tisch fallen. Übergewicht habe nicht nur mit Ernährung zu tun, bekräftigte er.

Die mehrfache Kritik von Abgeordneten an stark zuckerhaltigen Getränken wertete Blass als populistisch. Es gebe keinen Zusammenhang zwischen Zuckerverzehr und Body-Mass-Index, unterstrich er. Auch bei der Beschränkung der Lebensmittelwerbung in Europa geht man ihm zufolge zu weit, er fürchtet ein weitgehendes Kommunikationsverbot für Lebensmittel. Die Lebensmittel-Ampel bezeichnete Blass als "Irrlicht", weil sie komplexen Zusammenhängen nicht gerecht werde und Lebensmittel bloß in gute und schlechte unterteile. Zudem kritisierte Blass die österreichische Transfettsäure-Verordnung.

Auch Josef Brunmair, Facharzt für innere Medizin und Sportmediziner, vertrat die Auffassung, dass ein Aktionsplan, der sich auf gesunde Ernährung beschränke, zu wenig sei. Es gehe um eine Änderung des gesamten Lebensstils, also auch um mehr Bewegung, meinte er. Seine Grundformel sei: 30% weniger essen und 70% mehr Bewegung. Auch Entspannung und Regeneration auf mentaler Ebene seien wichtige Gesundheitselemente.

Aufgrund von Studien evident ist für Brunmair, dass übergewichtige Menschen früher sterben und länger krank seien. Seiner Meinung nach könnte man Menschen daher mit der Verlockung auf ein höheres Alter zu gesunder Ernährung motivieren. 1 Euro Investition in die Gesundheitsvorsorge erspart ihm zufolge außerdem 3 Euro in der "Reparaturmedizin", vorausgesetzt man setze richtige und nachhaltige Aktivitäten.

Kurt Widhalm, Spezialist für Ernährungsmedizin im Bereich Kinder- und Jugendheilkunde, führte aus, die Leute wüssten meist ganz genau, was gesund sei, dennoch würden sie sich anders ernähren. Gerade in Sachen Ernährung gehe es aber um Eigenverantwortung, betonte er. Wie die Ordnung auf der Ernährungspyramide genau aussieht, ist ihm zufolge grundsätzlich irrelevant, es solle daraus nur ersichtlich sein, was man mehr und was man weniger essen solle. Die Einbeziehung von Bewegung in den Aktionsplan wäre ihm sehr recht, sagte Widhalm, schließlich seien Bewegung und Ernährung untrennbare duale Prinzipien.

Um ein besseres Lebensmittelangebot an Schulen zu erreichen, sieht Widhalm die Notwendigkeit, vom Schulwart bis zum Direktor alle einzubeziehen. Allerdings bringt es seiner Ansicht nach nichts, an Schulbuffets "nur Radieschen und Gurken" anzubieten, da es auch untergewichtige Kinder gebe und eine Verbannung von Produkten wie Milchschnitten aus der Schulkantine generell kontraproduktiv wäre. Kritik übte Widhalm am österreichischen Ernährungsbericht, der seiner Darstellung nach auf einer unzureichenden Datenlage basiere.

Humanbiologin Karin Kaiblinger, Geschäftsführerin einer Consulting-Firma mit dem Schwerpunkt gesunde Ernährung und Schulverpflegung, wies darauf hin, dass sogar VolksschülerInnen meist schon wüssten, welche Lebensmittel ungesund seien. Bei der Konsumation von Softdrinks gibt es ihr zufolge große Unterschiede zwischen Buben und Mädchen, wobei Schüler oft bis zu eineinhalb Liter Eistee am Tag trinken würden. Es gäbe einen direkten Zusammenhang zwischen Softdrink-Konsum und Fettleibigkeit, widersprach Kaiblinger Lebensmittelindustrie-Vertreter Blass.

Für Kaiblinger ist es notwendig, die Schulen bei der Umstellung auf gesunde Ernährung zu unterstützen, wobei sie es als ein Problem erachtet, dass Schulgemeinschaftsausschüsse keinen Einfluss auf das Angebot des Schulbuffets hätten, da der Buffet-Betreiber meist mit dem Landesschulrat einen Vertrag habe. Als positives Schulprojekt hob sie das Schulfruchtprogramm hervor, wobei eine flächendeckende Umsetzung ihrer Berechnung nach 25 € bis 30 € pro Kind und Schuljahr kosten würde.

Sektionsleiterin Edith Klauser vom Lebensministerium machte geltend, dass der vorliegende Entwurf für einen Nationalen Aktionsplan Ernährung noch ergänzt werden könne. Sie persönlich wertete die Aufnahme eines Bekenntnisses zur Versorgung der Bevölkerung mit frischen, natürlichen und regionalen Produkten in das Programm für wichtig. Außerdem geht es ihrer Auffassung nach um die Vernetzung von Kampagnen. Am Schulfruchtprogramm nehmen ihr zufolge derzeit in einer Pilotphase 390 Volksschulen mit 80.000 SchülerInnen teil, mit dem Schulmilchprogramm würden 83.000 Kinder in 3.200 Schulen erreicht. Es gebe auch ein Projekt zur gesunden Schuljause, das man verbindlich machen könnte.

Karin Schindler, Ernährungswissenschafterin und vor allem mit schwerst übergewichtigen DiabetikerInnen befasst, begrüßte aus Sicht einer Praktikerin den Aktionsplan und sprach das Thema Verhältnisprävention an. Sie wisse aus der Praxis, dass die Ernährung nicht geändert werde, wenn die Verhältnisse nicht danach seien, meinte sie. Gesundheitskompetenz sei sehr eng mit Bildung verknüpft, Patienten mit niedrigem Bildungsniveau und niedrigem sozio-ökonomischen Status sowie Menschen mit Migrationshintergrund hätten oft eingeschränkten Zugang zu Gesundheits- und Ernährungsinformation.

Schindler begrüßte die Fokussierung des Aktionsplans auf Kinder und Jugendliche, sprach sich gleichzeitig aber auch für eine Fokussierung auf alte Menschen aus. Gerade hier gebe es häufig Mangelernährung, und zwar unabhängig vom Gewicht der Betroffenen, skizzierte sie.

Gesundheitsminister Alois Stöger wertete es als wichtiges Anliegen, das Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung zu steigern. Seiner Ansicht nach bedarf es nicht nur Verhaltensänderungen, sondern auch Verhältnisänderungen. Grundsätzlich gab er aber zu bedenken, dass gesunde Ernährung nicht unbedingt eine Frage des Geldes sei.

Zum Konsultationsentwurf für den Nationalen Aktionsplan Ernährung können dem Minister zufolge alle interessierten Gruppen noch bis Ende April Stellung nehmen. Die Rückmeldungen werden dann in Form von Workshops bearbeitet, bis Jahresende solle der endgültige NAP.e vorliegen.

Was die Transfettsäure-Verordnung betrifft, "kämpft" Österreich laut Stöger noch mit der Europäischen Kommission. Er zeigte sich aber zuversichtlich, dass die Verordnung halten werde. Eine verbindliche Beschränkung des Salzgehalts in Lebensmitteln erachtet der Minister für nicht möglich, weil dieses in zu vielen Rezepturen enthalten sei.
 
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