ExpertInnen fordern Einbeziehung der Bewegung in den "NAP.e"
Wien (pk) - Der geplante "Nationale Aktionsplan Ernährung" nimmt langsam konkrete
Gestalt an. Nach der Präsentation eines ersten Entwurfs durch Gesundheitsminister Alois Stöger Ende Jänner
standen die Pläne des Gesundheitsressorts am 14.04. bei einer Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss
des Nationalrats am Prüfstand. Dabei gab es für die bisher vorliegenden Vorschläge großteils
Lob, aber auch einzelne kritische Anmerkungen. So vermissten etliche ExpertInnen und Abgeordnete die Berücksichtigung
von Bewegung im Aktionsplan, da Bewegung ihrer Ansicht nach gemeinsam mit der Ernährung eine wichtige Rolle
bei der Vermeidung und Reduktion von Übergewicht spielt. Auch bei der Frage der Finanzierung und der Priorisierung
werden noch offene Fragen gesehen.
Gesundheitsminister Stöger wies darauf hin, dass noch zwei Wochen lang Stellungnahmen zum Konsultationsentwurf
abgegeben werden können. Ende des Jahres will er dann den fertigen Aktionsplan, kurz NAP.e genannt, veröffentlichen.
Basis für die Diskussion im Ausschuss bildete ein gemeinsamer Entschließungsantrag der Koalitionsparteien,
der auf eine rasche Vorlage des Aktionsplans abzielt und vom Ausschuss einstimmig angenommen wurde.
Eingeleitet wurde die Expertenanhörung mit einer Fragerunde durch die Abgeordneten. Die VertreterInnen der
einzelnen Fraktionen wollten von den ExpertInnen unter anderem wissen, warum Österreich aus ihrer Sicht einen
Nationalen Aktionsplan Ernährung brauche, welche Schwerpunkte gesetzt werden sollten, wie das Ernährungsverhalten
von Kindern und Jugendlichen beeinflusst werden könne und wie man es generell schaffe, Menschen zu motivieren,
ihren Lebensstil zu ändern. Konkrete Fragen betrafen außerdem die mögliche Beschränkung des
Salzgehalts in Lebensmitteln, die Forcierung von gesunden Lebensmitteln in Schulbuffets, die Einbeziehung der Hormontherapie
und von Nahrungsergänzungsmitteln in den Aktionsplan und mögliche Aktivitäten im Bereich der "Verhältnisprävention".
So gab Abgeordneter Karl Öllinger (G) etwa zu bedenken, dass der Softdrink-Konsum in Schulen automatisch zurückgehen
würde, wenn es keine Getränkeautomaten gäbe, ein Umstand, den auch SPÖ-Gesundheitssprecherin
Sabine Oberhauser ansprach. Öllinger wies außerdem darauf hin, dass sich gerade Personen mit niedrigem
Einkommen verhältnismäßig ungesund ernährten. Abgeordneter Norbert Hofer (F) trat für
Werbebeschränkungen in Bezug auf Lebensmittel ein. Mehrfach angesprochen wurde auch das von der EU ko-finanzierte
"Schulfruchtprogramm", das Volkschulkinder verstärkt mit Obst versorgen soll.
Kritisch hinterfragten mehrere Abgeordnete, warum das Thema Bewegung nicht integrierter Bestandteil des Aktionsplans
sei. Gesunde Ernährung müsse immer in Kombination mit Bewegung gesehen werden, betonten etwa Abgeordnete
Claudia Durchschlag (V) und Abgeordnete Ursula Haubner (B). Haubner erkundigte sich außerdem danach, warum
die österreichische Ernährungspyramide von der europäischen Ernährungspyramide, die auch mäßigen
Alkoholkonsum einbeziehe und Getreideprodukte vor Obst und Gemüse reihe, abweiche. Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber
(G) gab zu bedenken, dass das Ernährungsverhalten auch stark von der Schule und vom Kindergarten geprägt
werde und sprach sich für eine entsprechende Fokussierung des Aktionsplans aus.
Ingrid Kiefer, Leiterin des Kompetenzzentrums Ernährung & Prävention der Österreichischen Agentur
für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), hielt fest, dass Österreich mit seinem NAP.e mehr
oder weniger Schlusslicht in Europa sei. In anderen europäischen Staaten seien derartige Initiativen bereits
weiter fortgeschritten, skizzierte sie. Sozialmedizinerin Anita Rieder, Expertin für Präventionsfragen,
sieht in diesem Faktum allerdings keinen Nachteil, da, wie sie meinte, man von den anderen Staaten lernen und sich
an internationalen Vorzeigebeispielen orientieren könne. Für wichtig erachtet Rieder eine Prioritätensetzung,
wobei sie etwa das Schulfruchtprogramm als positives Beispiel nannte, da es im Sinne der Verhältnisprävention
soziale Ungleichheiten ausgleiche.
Generell wies Rieder darauf hin, dass mit gezielten Aktivitäten sehr wohl Erfolge erzielt werden könnten,
wie das Beispiel Finnland zeige. Dort konnte die Sterblichkeit ihr zufolge durch ein die gesamte Bevölkerung
einbeziehendes Programm innerhalb von 10 Jahren tatsächlich reduziert werden. Die Weglassung von Alkohol in
der österreichischen Ernährungspyramide begründete Rieder damit, dass mäßiger Alkoholkonsum
zwar im Herz-Kreislauf-Bereich positive Auswirkungen haben möge, man könne Alkohol angesichts seiner
negativen Effekte auf die Krebsprävention allerdings nicht empfehlen.
AGES-Vertreterin Kiefer hob die Notwendigkeit hervor, bereits im Kleinkindbereich einen Grundstock für gesunde
Ernährung zu legen. Dass die österreichische Ernährungspyramide von der europäischen Ernährungspyramide
abweicht, hat ihr zufolge den Grund darin, dass ein hoher Getreideanteil in der Ernährung angesichts des verbreiteten
Bewegungsmangels eine zu hohe Energiezufuhr bewirke und Übergewicht begünstige. Generell sei sie froh,
dass man sich in Österreich endlich auf eine gemeinsame Pyramide einigen habe können, sagte Kiefer.
Peter Frigo, Facharzt für Frauenheilkunde und Leiter der Hormonambulanz am AKH, wies darauf hin, dass das
Brustkrebsrisiko unter anderem durch Übergewicht, Alkoholkonsum und Rauchen steige, wobei Übergewicht
der wesentlichste dieser Faktoren sei. Er sprach sich dafür aus, Krankenhäuser als Vorzeigebetriebe für
gesunde Ernährung zu etablieren, und bedauerte in diesem Zusammenhang, dass eine von ihm gestartete Initiative
am AKH letztendlich am Geldmangel gescheitert sei. Zum Thema Hormontherapie hielt Frigo fest, es scheine so zu
sein, dass Wachstumshormone gerade bei älteren Menschen ab 50 aufgrund von Anti- Aging- und Präventionswirkungen
interessant sein dürften.
Michael Blass, Geschäftsführer des Fachverbandes der Nahrungs- und Genussmittelindustrie der Wirtschaftskammer
Österreich, meinte, es sei höchste Zeit für die Erarbeitung eines Nationalen Aktionsplans Ernährung.
Der österreichische Aktionsplan passe relativ gut zu den Aktivitäten in anderen Ländern, erklärte
er, habe allerdings einen "großen Pferdefuß": er beschäftige sich nur mit Ernährung
und lasse andere wichtige Gesundheitsfaktoren wie Bewegung unter den Tisch fallen. Übergewicht habe nicht
nur mit Ernährung zu tun, bekräftigte er.
Die mehrfache Kritik von Abgeordneten an stark zuckerhaltigen Getränken wertete Blass als populistisch. Es
gebe keinen Zusammenhang zwischen Zuckerverzehr und Body-Mass-Index, unterstrich er. Auch bei der Beschränkung
der Lebensmittelwerbung in Europa geht man ihm zufolge zu weit, er fürchtet ein weitgehendes Kommunikationsverbot
für Lebensmittel. Die Lebensmittel-Ampel bezeichnete Blass als "Irrlicht", weil sie komplexen Zusammenhängen
nicht gerecht werde und Lebensmittel bloß in gute und schlechte unterteile. Zudem kritisierte Blass die österreichische
Transfettsäure-Verordnung.
Auch Josef Brunmair, Facharzt für innere Medizin und Sportmediziner, vertrat die Auffassung, dass ein Aktionsplan,
der sich auf gesunde Ernährung beschränke, zu wenig sei. Es gehe um eine Änderung des gesamten Lebensstils,
also auch um mehr Bewegung, meinte er. Seine Grundformel sei: 30% weniger essen und 70% mehr Bewegung. Auch Entspannung
und Regeneration auf mentaler Ebene seien wichtige Gesundheitselemente.
Aufgrund von Studien evident ist für Brunmair, dass übergewichtige Menschen früher sterben und länger
krank seien. Seiner Meinung nach könnte man Menschen daher mit der Verlockung auf ein höheres Alter zu
gesunder Ernährung motivieren. 1 Euro Investition in die Gesundheitsvorsorge erspart ihm zufolge außerdem
3 Euro in der "Reparaturmedizin", vorausgesetzt man setze richtige und nachhaltige Aktivitäten.
Kurt Widhalm, Spezialist für Ernährungsmedizin im Bereich Kinder- und Jugendheilkunde, führte aus,
die Leute wüssten meist ganz genau, was gesund sei, dennoch würden sie sich anders ernähren. Gerade
in Sachen Ernährung gehe es aber um Eigenverantwortung, betonte er. Wie die Ordnung auf der Ernährungspyramide
genau aussieht, ist ihm zufolge grundsätzlich irrelevant, es solle daraus nur ersichtlich sein, was man mehr
und was man weniger essen solle. Die Einbeziehung von Bewegung in den Aktionsplan wäre ihm sehr recht, sagte
Widhalm, schließlich seien Bewegung und Ernährung untrennbare duale Prinzipien.
Um ein besseres Lebensmittelangebot an Schulen zu erreichen, sieht Widhalm die Notwendigkeit, vom Schulwart bis
zum Direktor alle einzubeziehen. Allerdings bringt es seiner Ansicht nach nichts, an Schulbuffets "nur Radieschen
und Gurken" anzubieten, da es auch untergewichtige Kinder gebe und eine Verbannung von Produkten wie Milchschnitten
aus der Schulkantine generell kontraproduktiv wäre. Kritik übte Widhalm am österreichischen Ernährungsbericht,
der seiner Darstellung nach auf einer unzureichenden Datenlage basiere.
Humanbiologin Karin Kaiblinger, Geschäftsführerin einer Consulting-Firma mit dem Schwerpunkt gesunde
Ernährung und Schulverpflegung, wies darauf hin, dass sogar VolksschülerInnen meist schon wüssten,
welche Lebensmittel ungesund seien. Bei der Konsumation von Softdrinks gibt es ihr zufolge große Unterschiede
zwischen Buben und Mädchen, wobei Schüler oft bis zu eineinhalb Liter Eistee am Tag trinken würden.
Es gäbe einen direkten Zusammenhang zwischen Softdrink-Konsum und Fettleibigkeit, widersprach Kaiblinger Lebensmittelindustrie-Vertreter
Blass.
Für Kaiblinger ist es notwendig, die Schulen bei der Umstellung auf gesunde Ernährung zu unterstützen,
wobei sie es als ein Problem erachtet, dass Schulgemeinschaftsausschüsse keinen Einfluss auf das Angebot des
Schulbuffets hätten, da der Buffet-Betreiber meist mit dem Landesschulrat einen Vertrag habe. Als positives
Schulprojekt hob sie das Schulfruchtprogramm hervor, wobei eine flächendeckende Umsetzung ihrer Berechnung
nach 25 € bis 30 € pro Kind und Schuljahr kosten würde.
Sektionsleiterin Edith Klauser vom Lebensministerium machte geltend, dass der vorliegende Entwurf für einen
Nationalen Aktionsplan Ernährung noch ergänzt werden könne. Sie persönlich wertete die Aufnahme
eines Bekenntnisses zur Versorgung der Bevölkerung mit frischen, natürlichen und regionalen Produkten
in das Programm für wichtig. Außerdem geht es ihrer Auffassung nach um die Vernetzung von Kampagnen.
Am Schulfruchtprogramm nehmen ihr zufolge derzeit in einer Pilotphase 390 Volksschulen mit 80.000 SchülerInnen
teil, mit dem Schulmilchprogramm würden 83.000 Kinder in 3.200 Schulen erreicht. Es gebe auch ein Projekt
zur gesunden Schuljause, das man verbindlich machen könnte.
Karin Schindler, Ernährungswissenschafterin und vor allem mit schwerst übergewichtigen DiabetikerInnen
befasst, begrüßte aus Sicht einer Praktikerin den Aktionsplan und sprach das Thema Verhältnisprävention
an. Sie wisse aus der Praxis, dass die Ernährung nicht geändert werde, wenn die Verhältnisse nicht
danach seien, meinte sie. Gesundheitskompetenz sei sehr eng mit Bildung verknüpft, Patienten mit niedrigem
Bildungsniveau und niedrigem sozio-ökonomischen Status sowie Menschen mit Migrationshintergrund hätten
oft eingeschränkten Zugang zu Gesundheits- und Ernährungsinformation.
Schindler begrüßte die Fokussierung des Aktionsplans auf Kinder und Jugendliche, sprach sich gleichzeitig
aber auch für eine Fokussierung auf alte Menschen aus. Gerade hier gebe es häufig Mangelernährung,
und zwar unabhängig vom Gewicht der Betroffenen, skizzierte sie.
Gesundheitsminister Alois Stöger wertete es als wichtiges Anliegen, das Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung
zu steigern. Seiner Ansicht nach bedarf es nicht nur Verhaltensänderungen, sondern auch Verhältnisänderungen.
Grundsätzlich gab er aber zu bedenken, dass gesunde Ernährung nicht unbedingt eine Frage des Geldes sei.
Zum Konsultationsentwurf für den Nationalen Aktionsplan Ernährung können dem Minister zufolge alle
interessierten Gruppen noch bis Ende April Stellung nehmen. Die Rückmeldungen werden dann in Form von Workshops
bearbeitet, bis Jahresende solle der endgültige NAP.e vorliegen.
Was die Transfettsäure-Verordnung betrifft, "kämpft" Österreich laut Stöger noch
mit der Europäischen Kommission. Er zeigte sich aber zuversichtlich, dass die Verordnung halten werde. Eine
verbindliche Beschränkung des Salzgehalts in Lebensmitteln erachtet der Minister für nicht möglich,
weil dieses in zu vielen Rezepturen enthalten sei. |