EU-GH-Urteil zu Uni-Quoten  

erstellt am
13  04. 10

Das Unionsrecht steht der Beschränkung der Einschreibung von nichtansässigen Studierenden für Studiengänge an Universitäten im Bereich des Gesundheitswesens grundsätzlich entgegen
Eine solche Beschränkung ist jedoch mit dem Unionsrecht vereinbar, wenn sie im Hinblick auf das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt ist

Seit mehreren Jahren verzeichnet die Französische Gemeinschaft Belgiens eine deutliche Zunahme der Zahl der Studierenden aus anderen Mitgliedstaaten, besonders aus Frankreich, die sich an Einrichtungen ihres Hochschulbildungssystems einschreiben, und zwar insbesondere für neun medizinische und paramedizinische Studiengänge 1)

Die Französische Gemeinschaft war der Ansicht, dass die Zahl solcher Studierender in den genannten Studiengängen zu hoch geworden sei, und erließ daher das Dekret vom 16. Juni 2006. Danach sind die Universitäten und Hochschulen verpflichtet, die Zahl der als nicht in Belgien ansässig angesehenen Studierenden, die sich zum ersten Mal für einen dieser neun Studiengänge einschreiben können, zu beschränken.

Die Gesamtzahl nichtansässiger Studierender ist je Hochschuleinrichtung und Studiengang grundsätzlich auf 30 % aller Einschreibungen des vorangegangenen akademischen Jahrs begrenzt. Im Rahmen dieses für sie vorgesehenen prozentualen Anteils werden die nichtansässigen Studierenden, die eingeschrieben werden, durch Auslosung ermittelt.

Vor diesem Hintergrund legt der Verfassungsgerichtshof (Belgien), bei dem Klagen auf Nichtigerklärung dieses Dekrets anhängig sind, dem Gerichtshof Fragen vor.

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die streitige Regelung eine Ungleichbehandlung zwischen ansässigen und nichtansässigen Studierenden bewirkt. Eine solche Ungleichbehandlung ist eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, die verboten ist, sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt ist.

Angesichts der Modalitäten der Finanzierung des Hochschulbildungssystems der Französischen Gemeinschaft Belgiens kann die Sorge vor einer übermäßigen Belastung zur Finanzierung des Hochschulunterrichts diese Ungleichbehandlung zwischen ansässigen und nichtansässigen Studierenden nicht rechtfertigen.

Nach der Rechtsprechung kann eine mittelbar auf der Staatsangehörigkeit beruhende Ungleichbehandlung durch das Ziel der Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen und allgemein zugänglichen medizinischen Versorgung gerechtfertigt sein, wenn es zur Erreichung eines hohen Niveaus des Gesundheitsschutzes beiträgt.

Somit ist zu prüfen, ob die streitige Regelung geeignet ist, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten, und ob sie nicht über das hinausgeht, was zu dessen Erreichung erforderlich ist. Es ist letztlich Sache des nationalen Gerichts, das allein für die Beurteilung des Sachverhalts des Rechtsstreits sowie für die Auslegung des nationalen Rechts zuständig ist, zu bestimmen, ob und inwieweit eine solche Regelung diesen Anforderungen entspricht. Als Erstes wird das vorlegende Gericht zu prüfen haben, ob der Schutz der öffentlichen Gesundheit wirklich gefährdet ist.

Dabei kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine etwaige Verringerung der Qualität der Ausbildung des künftigen medizinischen Personals letztlich die Qualität der Versorgung in dem betroffenen Gebiet beeinträchtigt.

Auch ist nicht auszuschließen, dass eine etwaige Begrenzung der Gesamtzahl der Studierenden in den betreffenden Studiengängen einen entsprechenden Rückgang der Zahl der Absolventen zur Folge hat, die für die Gewährleistung der Gesundheitsversorgung in dem betroffenen Gebiet letztlich zur Verfügung stehen, was sich dann auf das Niveau des Schutzes der öffentlichen Gesundheit auswirken könnte.

Bei der Prüfung dieser Gefahren hat das vorlegende Gericht zunächst zu berücksichtigen, dass zwischen der Ausbildung des künftigen medizinischen Personals und dem Ziel der Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen und allgemein zugänglichen medizinischen Versorgung nur ein mittelbarer Zusammenhang besteht, der weniger kausal ist als der Zusammenhang zwischen dem Ziel der öffentlichen Gesundheit und der Tätigkeit des bereits auf dem Markt verfügbaren medizinischen Personals.

In diesem Zusammenhang obliegt der Nachweis, dass solche Gefahren tatsächlich bestehen, den zuständigen nationalen Stellen. Anhand einer solchen objektiven, eingehenden und auf Zahlenangaben gestützten Untersuchung muss sich mittels zuverlässiger, übereinstimmender und beweiskräftiger Daten nachweisen lassen, dass die öffentliche Gesundheit tatsächlich gefährdet ist.

Als Zweites hat das vorlegende Gericht, sofern es den Schutz der öffentlichen Gesundheit für tatsächlich gefährdet hält, zu prüfen, ob in Anbetracht der Angaben der zuständigen Stellen die streitige Regelung als geeignet angesehen werden kann, die Erreichung des Ziels des Schutzes der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten.
In diesem Zusammenhang hat es u. a. zu bewerten, ob eine Begrenzung der Zahl der nichtansässigen Studierenden tatsächlich geeignet ist, die Zahl der Absolventen zu erhöhen, die für die Gewährleistung der Gesundheitsversorgung in der Französischen Gemeinschaft letztlich zur Verfügung stehen.

Als Drittes hat das vorlegende Gericht zu beurteilen, ob das angeführte im Allgemeininteresse liegende Ziel nicht durch weniger einschränkende Maßnahmen erreicht werden könnte, mit denen für Studierende, die ihr Studium in der Französischen Gemeinschaft absolvieren, ein Anreiz geschaffen würde, nach Abschluss des Studiums dort zu bleiben, oder für außerhalb der Französischen Gemeinschaft ausgebildete Berufsangehörige ein Anreiz, sich dort niederzulassen.

Ebenso ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die zuständigen Stellen die Erreichung dieses Ziels angemessen mit den sich aus dem Unionsrecht ergebenden Erfordernissen in Einklang gebracht haben, insbesondere mit dem den Studierenden aus anderen Mitgliedstaaten zustehenden Recht auf Zugang zum Hochschulunterricht, das zum Kernbereich des Grundsatzes der Freizügigkeit der Studierenden gehört. Von einem Mitgliedstaat eingeführte Einschränkungen des Zugangs zu diesem Unterricht müssen daher auf das beschränkt sein, was zur Erreichung der verfolgten Ziele erforderlich ist, und müssen den genannten Studierenden einen ausreichend weiten Zugang zum Hochschulunterricht lassen.

Insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, nachzuprüfen, ob das Verfahren zur Auswahl der nichtansässigen Studierenden allein in der Auslosung besteht und, falls dem so sein sollte, diese Auswahlmethode, bei der nicht die Kapazitäten der betroffenen Kandidaten zugrunde gelegt werden, sondern der Zufall den Ausschlag gibt, zur Erreichung der verfolgten Ziele erforderlich ist.

HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

1) Es handelt sich um Studiengänge, die zu den folgenden akademischen Graden führen: Bachelor in Heilgymnastik und Rehabilitation, Bachelor in Veterinärmedizin, Hebamme-Bachelor, Bachelor in Ergotherapie, Bachelor in Logopädie, Bachelor in Podologie-Podotherapie, Bachelor in Heilgymnastik, Bachelor in Audiologie, spezialisierte(r) Erzieher(in) in psycho-erzieherischer Begleitung.

 

 Karl: Positives Signal für Österreich
Wien (bmwf) - „Nach erster Durchsicht ist es ein für Österreich sehr positives Signal“, so Wissenschafts- und Forschungsministerin Dr. Beatrix Karl in einer ersten Reaktion am Rande des informellen EU-Bildungsrates in Madrid.

Der EuGH hat in seinem heute veröffentlichten Urteil festgestellt, dass Zugangsbeschränkungen für Staatsangehörige aus anderen EU-Staaten für die Aufrechterhaltung des Schutzes der öffentlichen Gesundheit mit dem Unionsrecht vereinbar sind, wenn es dafür gute Gründe gibt. „Das entspricht genau unseren österreichischen Argumenten, die letztlich erfolgreich zum Moratorium für die Mediziner-Quote geführt haben“, betont Karl.

„In den nächsten Tagen werden wir das Urteil juristisch genau prüfen und uns mit der Kommission austauschen“, so die Ministerin, die morgen mit EU-Bildungskommissarin Androulla Vassiliou zusammentreffen wird. Das Ziel Österreichs sei jedenfalls, die medizinische Versorgung in Österreich sicherzustellen und dem heimischen Ärztebedarf gerecht zu werden.

 

Kuntzl: Positives Signal für Österreich!
Wien (sk) - "Das heute ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das eine Quote für Studiengänge im Gesundheitsbereich in Belgien ermöglicht, ist ein positives Signal für Österreich", stellte SPÖ-Wissenschaftssprecherin Andrea Kuntzl gegenüber dem SPÖ-Pressedienst fest. "Mit diesem Urteil hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass, obwohl Zugangsbeschränkungen für EU-Ausländer grundsätzlich Unionsrecht widersprechen, diese doch in Hinblick auf das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt sind. Auch der freie Hochschulzugang steht einer EU-rechtskonformen Regelung nicht entgegen", so Kuntzl. Sie forderte Wissenschaftsministerin Karl auf, nun im Einklang mit den vom EuGH aufgestellten Kriterien die notwendigen Zahlen und Daten zur Absicherung der österreichischen Regelung zu erheben. "Für eine nachhaltige Lösung auch für andere Studienrichtungen müssen nun alle Möglichkeiten, inklusive einer Änderung des EU-Primärrechts, geprüft werden. Die Wissenschaftsministerin soll dies umgehend in dem heute stattfindenden EU-Bildungsministerrat thematisieren", forderte Kuntzl.

Zur Sammlung der benötigten Daten sei auch die Verlängerung des Moratoriums, auf Grund dessen das Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich derzeit ruht, vonnöten, führte die SPÖ-Wissenschaftssprecherin weiter aus. "Angesichts des Urteils muss auch die EU-Kommission einsehen, dass die Datensammlung Zeit braucht." Auch die österreichische Regelung in den Studien Human- und Zahnmedizin hätte zum Ziel, die Qualität des öffentlichen Gesundheitssystems und eine ausgewogene, allen zugängliche und auf hohem Niveau stehende ärztliche Versorgung der Bevölkerung zu wahren, betonte die SPÖ-Wissenschaftssprecherin. "Ich begrüße es daher sehr, dass der Europäische Gerichtshof dem Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit einen hohen Stellenwert einräumt. Gleichzeitig brauchen wir jedoch eine Lösung auch für andere Studienrichtungen, die stark durch deutsche Numerus-clausus-Flüchtlinge belastet sind", betonte Kuntzl abschließend.

 

Widmann: EuGH-Urteil ist logisch und zu begrüßen
Wien (bzö) - "Das BZÖ hat schon mehrmals darauf hingewiesen, dass Österreich nicht unentgeltlich Mediziner für andere Länder ausbilden kann und dabei die eigene medizinische Versorgung auf der Strecke bleibt. Das Urteil des EuGH zu einer Zugangsbeschränkung ist daher nur logisch und zu begrüßen", erklärte BZÖ-Wissenschaftssprecher Mag. Rainer Widmann. Er forderte erneut die Einführung von Zugangsbeschränkungen auf finanzieller Basis ach dem BZÖ-Uni-Bonus-Modell.

"In erster Linie müssen die österreichischen Universitäten die medizinische Versorgung unseres Landes sichern", mahnte Widmann. Deshalb sei eine "Ausländerquote" nur logisch. Widmann verlangte daher auch von Wissenschaftsministerin Karl, sich rechtzeitig für eine Verlängerung der im Jahr 2013 auslaufenden Regelung einzusetzen. Parallel dazu sollte aber auch das Uni-Bonus-Modell des BZÖ umgesetzt werden, so Widmann. Dabei ist bei der Immatrikulation eine Einschreibgebühr von 5.000 Euro zu bezahlen. Österreichische Maturanten erhalten einen Bonus-Check in dieser Höhe, Studienanfänger aus anderen Ländern müssen die Gebühr zahlen.

 

 Grünewald: Probleme der Unis nicht auf Studierendenzahlen beschränken
Wien (grüne) - "Niemand muss jetzt mit großer Verwunderung reagieren", erklärte der Wissenschaftssprecher der Grünen, Kurt Grünewald zum Urteil des Europäischen Gerichtshofes. "Seit dem Beitritt Österreichs zur EU steckt man den Kopf in den Sand und hält an einer problematischen Lösung fest." Wissenschaftsministerin Beatrix Karl forderte Grünewald auf, rasch in Verhandlungen mit Deutschland einzutreten und sich endlich Verbündete für eine gemeinsame europäische Lösung zu suchen, denn auf Dauer werde man sich nicht durchwurschteln können. "Was Österreich betrifft, so sind die Probleme an den Universitäten sicher nicht auf die Studierendenzahlen zu beschränken. Das zentrale Problem ist Ressourcenmangel. Es braucht endlich gesicherte und steigende Finanzierung der Hochschulen. Die jährlichen Feuerwehraktionen, zu denen sich die Universitäten gezwungen sehen, sind ja mittlerweile ein Dauerzustand geworden." Grünewald forderte, die Lage und die Zukunft der Universitäten endlich auf die parlamentarische Ebene zu holen. "Wir brauchen einen Prozess, der die Unis auf sichere finanzielle Beine stellt und dazu braucht es eine Kraftanstrengung aller. Sonst verwalten wir den permanenten Notstand.

 

Maltschnig: EuGH-Urteil kein Grund Probleme aufzuschieben
Wien (öh) - "Das heute verkündete EuGH-Urteil zur Medizin-Quote verschafft Österreich ein Zeitfenster, um die bislang aufgeschobenen Probleme endlich auf europäischer Ebene zu lösen", sagt Sigrid Maurer vom ÖH-Vorsitzteam. "Seit dem EU-Beitritt Österreichs 1995 ist bekannt, dass es Probleme mit der Ungleichbehandlung von EU-BürgerInnen geben wird", erklärt Eva Maltschnig, ÖH-Generalsekretärin. "Doch seit 15 Jahren steckt man lieber den Kopf in den Sand und bettelt in letzter Sekunde um eine Verlängerung der Quote - eine diskriminierende Regelung mit Zugangsbeschränkungen ist jedenfalls keine zufriedenstellende Lösung", so Maltschnig weiter. Erfreut zeigt sich die ÖH über die Argumentation im Urteil, dass auch rigide Zugangsbeschränkungen zu einer Verschlechterung der Gesundheitsversorgung führen können. "Das ist ein klarer Wink mit dem Zaunpfahl, die Studienplätze endlich auszubauen - eine Medizin-Uni in Linz wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung", stellt Thomas Wallerberger vom ÖH-Vorsitzteam fest.
     

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