Bahnbrechende Studie mit weltweit erstmaligen Forschungserfolg
einer Grazer Wissenschaftlerin
Graz (universität) - Ungewollter Stuhlabgang ist für die meisten Menschen wohl eine der
peinlichsten Situationen, die sie sich vorstellen können. Selbst in der Arztpraxis ist Stuhlinkontinenz noch
immer ein großes Tabu: Patienten schweigen aus Scham und Mediziner fragen viel zu selten nach. Das mag auch
daran liegen, dass den Betroffenen bisher keine wirklich erfolgversprechenden Behandlungsoptionen angeboten werden
konnten. Ein neues Verfahren, das an der Med Uni Graz entwickelt wurde, könnte nun die Therapie der analen
Inkontinenz revolutionieren: In einer Pilotstudie wurden zehn Frauen, deren Schließmuskel auf Grund geburtsbedingter
Verletzungen vernarbt und nicht mehr voll funktionsfähig war, Reparaturzellen, die von gesunder, körpereigener
Muskulatur gewonnen wurden, in das Narbengewebe injiziert. Der durchschlagende Erfolg dieser weltweit erstmals
angewandten Behandlungsmethode überraschte sogar die Ärzte: Bereits nach vier Wochen waren neun Patientinnen
völlig kontinent, die zehnte zeigte eine wesentliche Verbesserung ihrer Beschwerden. Kontrolluntersuchungen
zwei Jahre nach der Behandlung bestätigen die hervorragenden Ergebnisse: Alle Studienteilnehmerinnen führen
mittlerweile wieder ein ‚normales' Leben.
Stuhlinkontinenz, der unwillkürliche Abgang von Stuhl oder Schleim, ist eine äußerst belastende
Erkrankung, die häufig zu Depressionen und sozialer Isolation führt. Einer der wichtigsten Risikofaktoren
bei Frauen ist die geburtstraumatische Schädigung des Beckenbodens. In schweren Fällen ist mit konservativen
Behandlungsmethoden (z.B. Biofeedback oder Diätumstellung) meist wenig Verbesserung erzielbar. Für diese
Patienten waren bis jetzt chirurgische Eingriffe wie das überlappende Vernähen des durchtrennten Schließmuskels
oder die Sakralnerven-Stimulation die letzte Hoffnung. Trotz des hohen Aufwands und Komplikationsrisikos hat besonders
die Methode des überlappenden Vernähens der Schließmuskelenden sehr schlechte Langzeitergebnisse.
Einen ganz anderen Weg schlägt nun Univ.-Prof. Dr. Andrea Frudinger, Leiterin der Forschungseinheit für
anale Inkontinenz an der Universitätsfrauenklinik Graz, ein: Das von ihr entwickelte Behandlungsverfahren
zielt darauf ab, den Muskeldefekt mit körpereigenen Zellen zu reparieren.
In der Pilotstudie wurde die Wirksamkeit dieses Therapieansatzes an zehn Frauen im Alter zwischen 24 und 65 Jahren,
die bereits seit Jahren an einer schweren, die Lebensqualität dramatisch beeinträchtigenden Stuhlinkontinenz
litten, untersucht. In einem ersten Schritt wurden Zellen aus dem Brustwandmuskel durch eine einfache Biopsie in
Lokalanästhesie gewonnen, im Labor isoliert und vermehrt. "Dafür reicht ein 1 cm langer Schnitt
in der Achselhöhle aus, der keine sichtbare Narbe hinterlässt", betont die Gynäkologin. Drei
bis vier Wochen nach der Biopsie konnten dann die vermehrten Reparaturzellen in mehreren Einzelinjektionen in das
Narbengewebe implantiert werden. Dazu mussten eigens eine Ultraschallsonde und eine entsprechende Injektionsvorrichtung,
die das exakte Einbringen der kostbaren Zellen gewährleisteten, entwickelt werden. Um das Einwachsen der Zellen
zu verbessern, wurde zusätzlich für mehrere Wochen eine Elektrostimulation des Beckenbodens durchgeführt.
Da die Eingriffe sehr gut toleriert wurden und es auch keinerlei Komplikationen gab, plant Prof. Frudinger, die
Implantation in Zukunft als tagesklinischen Eingriff durchzuführen.
Die im Jänner in der Zeitschrift "Gut" veröffentlichten Ergebnisse übertrafen alle Erwartungen:
Die ersten Patientinnen berichteten bereits eine Woche nach der Implantation, keinen Stuhl mehr zu verlieren, nach
vier Wochen waren neun der zehn Studienteilnehmerinnen völlig kontinent. Die Einjahres- und mittlerweile auch
von allen Patientinnen vorliegenden Zweijahresergebnisse bestätigen die anhaltende Wirksamkeit der Therapie.
Bemerkenswert dabei war, dass die Ultraschallbilder und die Druckmessungen ein Jahr nach der Implantation noch
keine signifikanten Veränderungen zeigten. "Das Anwachsen von einzelnen Zellen ist natürlich im
Ultraschall schwer nachzuweisen", so Prof. Frudinger. "Das Ganze ist sicher ein langwieriger Prozess.
Erst jetzt - zwei Jahre nach der Implantation - sehen wir im Ultraschall diskrete Strukturen, die vorher nicht
da waren."
Für Nachfolgestudien werden noch Patienten gesucht
Der große klinische Erfolg bei einer bisher so schwer zu behandelnden Erkrankung fand international
sehr viel Beachtung und wurde in der März-Ausgabe der "Nature Reviews Gastroenterology und Hepatology"
als eines der Research Highlights des Monats gewürdigt. Das Team um Prof. Frudinger möchte nun in einer
größeren Pilotstudie mit 30-50 Patienten Männer und Frauen behandeln, die keinen Schließmuskeldefekt,
sondern nur eine Schließmuskelschwäche haben. Darüber hinaus sollen demnächst die Ergebnisse
dieser Pilotstudien in einer plazebokontrollierten Doppelblindstudie an etwa 250 Patientinnen und Patienten überprüft
werden. Dabei soll außerdem untersucht werden, ob dieselben Ergebnisse auch mit einer geringeren Zahl an
Reparaturzellen, die injiziert werden müssen, erreicht werden können. Übrigens muss niemand, der
an dieser Plazebostudie teilnimmt, fürchten, durch die Finger zu schauen: allen Teilnehmern wird garantiert,
dass sie nach Abschluss der Untersuchungen mit einer Zeitverzögerung von höchstens 3 Monaten auf Wunsch
eine Therapie mit ihren eigenen Zellen erhalten können. Damen und Herren, die sich für die Teilnahme
an einer der beiden Studien interessieren, können sich unter der unten angegebenen Telefonnummer melden.
Univ.-Prof. Dr. Andrea Frudinger
Klinische Abteilung für Gynäkologie, Med Uni Graz
eMail: andrea.frudinger@medunigraz.at
Tel: ++43- / (0)316 / 385-81439 |