Jüdisches Museum erinnert mit "Türken in Wien" an sefardisches Judentum   

erstellt am
11  05. 10

Wien (rk) - Nachtblau und ästhetisch ansprechend begibt sich das Jüdische Museum ab morgen, Mittwoch, zum zweiten Mal auf die Spurensuche der sefardischen jüdischen Gemeinde in Wien, deren Mittelpunkt der türkische Tempel in der Zirkusgasse 22 war. Bereits 1992, damals war der Anlass die 500jährige Wiederkehr der spanischen Reconquista, war die Geschichte der Sefarden Thema im 1990 wieder gegründeten Jüdischen Museum in der Dorotheergasse. Im Unterschied zur Schau vor 18 Jahren zeigt die aktuelle, von Felicitas Heimann-Jelinek, Gabriele Kohlbauer-Fritz und Gerhard Milchram kuratierte Schau mit teilweise erstmals gezeigten Objekten aus der Sammlung der Israelitischen Kultusgemeinde das kulturelle und wirtschaftliche Wirken der jüdischen Gemeinde mit türkischer Staatsbürgerschaft, deren Ende mit der NS-Gewaltherrschaft ab 1938 begann. Vorgestellt wurde die bis 31. Oktober zu sehende Schau am Vormittag des 11.05. im Zuge eines Mediengespräches.

Die Tradition zum osmanischen Reich geht auf die Vertreibung der sefardischen jüdischen Gemeinden ab 1492 in Spanien zurück: Bis zu 200.000 Menschen flohen damals "Hals über Kopf" vor der Inquisition, ein Großteil wurde im osmanischen Reich willkommen geheißen, ein anderer Teil floh kurzfristig nach Portugal, weitere Niederlassungen gab es in London, Amsterdam und Italien. Im Zuge der Expansion siedelten sich sefardische Gemeinden, die in ihrer Sprache das Ladino pflegten - einer Mischung zwischen spanisch und hebräisch - auch am Balkan, etwa in Sarajevo, Belgrad oder Saloniki an, mit den Friedensverträgen zwischen den Habsburgern und dem osmanischen Reich erhielten die Sefarden eine Niederlassungs- und Handelfreiheit bei den Habsburgern, was seinerzeit eine Novität darstellte und anderen jüdischen Gemeinden bis ins 19. Jahrhundert verwehrt blieb. Vor allem der Handel zeichnete die wohlhabende Gemeinde aus: Zuerst mit Tabak, später mit Wolle, Seide und anderen Gütern schuf sich die türkisch-jüdische Gemeinde eine weithin respektierte Wohlhabenheit, die sich auch in der Errichtung besagten türkischen Tempels - seinerzeit auch als touristisch lohnenswerte Adresse in Reiseführern ausgewiesen - manifestierte. 1890 verlor die sefardische Gemeinde in Wien ihre Autonomie und wurde als "Verband der türkischen Israeliten" in die Israelitische Kultusgemeinde eingegliedert. Im 19. Jahrhundert zählten zur sefardischen Gemeinde in Wien bis zu 6.000 Personen, 1938 waren es nur mehr rund 1.000 Personen, nach 1945 kehrten nur mehr wenige Überlebende nach Wien zurück.

Gestaltet von Martin Kohlbauer erzählt die Schau, die im Titel ironisch an die 1983 in Wien gezeigte Schau "Die Türken vor Wien" erinnert, sowohl die große europäische Geschichte der seinerzeit aus Spanien geflüchteten Juden nach, wie sie auch mithilfe eines 60 Quadratmeter großen Tisches auf die Wiener Geschichte eingeht. Bei Betreten der Ausstellung entführt eine großformatige Illustration in den prächtig ausgestatteten Innenraum des Tempels, bei Verlassen der Ausstellung tritt dem Besucher noch einmal die Innenansicht entgegen, diesmal aber mit perfide wirkenden Amtsschreiben der Stadt Wien aus dem Jahr 1955 versehen, wonach "der Schutt und Müll in der Zirkusgasse 22 weggeräumt werden müsse." Laut Heimann-Jelinek gelang es teilweise erfolgreich, manche Familiengeschichten von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis 1938 zu belegen. Diverse Ritualgegenstände aus dem 1938 vom Wiener braunen Mob zerstörten Tempel werden ebenso gezeigt, wie viele persönliche Erinnerungen bedeutender Mitglieder der Gemeinde, zu denen etwa Elias Canetti zählte, aber auch das in der Zwischenkriegszeit bekannte Galimir-Quartett.

Die mit großem ästhetischen Schauwert konzipierte Schau, die viele Leihgeber aufzählt, darunter auch das Wiener Stadt- und Landesarchiv oder das Technische Museum, beleuchtet zu recht ein zweites Mal die bewegte Geschichte der Sefarden in Europa, vor allem aber auch in Wien. Zusätzlich zur Ausstellung liegt ein Katalog auf, der neben vielen Objektabbildungen viel Lesestoff zum Thema bietet. Speziell für Schüler bietet das Museum Spezialführungen an.
     
Informationen: http://www.jmw.at    
 
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