Das Leben lernen   

erstellt am
11  05. 10

ForscherInnen der Unis Graz und Klagenfurt untersuchten die soziale Qualität von Nachmittagsbetreuungen und Horten
Graz (universität) - Die Zahl der Kinder, die ihre Zeit nach dem Unterricht in schulischer Nachmittagsbetreuung oder in Horten verbringen, steigt. Für die Heranwachsenden sind diese Einrichtungen bedeutende Lebensorte, an denen sie wichtige Erfahrungen für die Entwicklung ihrer Identität machen. Ein Forschungsteam – Ao.Univ.-Prof. Dr. Arno Heimgartner und Mag. Waltraud Gspurning von der Uni Graz sowie Univ.-Prof. Dr. Stephan Sting und Mag. Sylvia Leitner von der Uni Klagenfurt – hat die soziale Qualität der Nachmittagsbetreuung in einer österreichweiten Untersuchung erhoben. 27 Institutionen in der Steiermark, in Kärnten, Vorarlberg und Wien haben die WissenschafterInnen unter die Lupe genommen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass es in der Nachmittagsbetreuung große Unterschiede zwischen den Einrichtungen gibt.

Bei ihren Erhebungen konzentrierten sich die ForscherInnen auf die Betreuung der Altersgruppe der Sechs- bis Zehnjährigen. Dabei berücksichtigten sie eine Vielzahl an Kriterien, darunter personelle, räumliche und zeitliche Rahmenbedingungen, schulisches Lernen, aber vor allem soziokulturelle Angebote, Mitbestimmungsmöglichkeiten der Kinder, die Bewältigung von Konflikten und familiären Problemen, subjektives Wohlfühlen und den sensiblen Umgang im Bezug auf Geschlecht sowie ethnisch-kulturelle Herkunft. „Wir wollten erstmals wichtige soziale Dimensionen ins Blickfeld rücken“, erklärt Arno Heimgartner. „Denn als soziale Lebensorte sollten Nachmittagsbetreuungen nicht nur die schulbezogene Lernkultur fördern, sondern Heranwachsende auch in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit unterstützen, sie auf die aktive Teilnahme an der Gesellschaft vorbereiten und die Chancengleichheit erhöhen“, betont der Leiter des vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank geförderten Projekts.

Als positiv hebt Heimgartner die vielfältigen soziokulturellen Aktivitäten hervor: „Fast überall ist das Angebot an Spielen, Bewegung und kreativer Betätigung breit gefächert. Projekte werden durchgeführt und Feste gefeiert.“ Einziges Manko in diesem Bereich: Kooperationen mit Vereinen gebe es kaum. „Dadurch ist die Institution bisweilen eine Insel mit wenig Kontakt zur Außenwelt“, so der Grazer Forscher.

Begrüßenswert findet Heimgartner auch die Tendenz zu einem offenen Raumkonzept. „Immer mehr Einrichtungen – in Graz etwa ein Drittel der Horte – geben den Kindern die Möglichkeit, zwischen mehreren Räumen mit unterschiedlichen Angeboten zu wählen und damit selbst zu bestimmen, wann sie sich womit beschäftigen möchten.“

Besonders freut sich der Erziehungswissenschafter über Institutionen, die die Teilhabe der Kinder an demokratischen Entscheidungen aktiv fördern – auch wenn diese noch eher selten sind. „Die Möglichkeiten der Mitbestimmung reichen von der Gestaltung der Räume über den Ankauf von Spielen bis hin zum Menüplan.“

Kritisch hingegen sieht Heimgartner unzureichende Ressourcen, etwa im Falle von Einraumlösungen mit Frontalunterrichtscharakter oder bei Kellerräumen. Weiters würden schlechte personelle Konzeptionen bei einigen Einrichtungen dazu führen, dass zum Beispiel in der Lernphase Kinder, die ihre Aufgaben bereits erledigt haben, so lange sitzen bleiben müssen, bis alle fertig sind. „In manchen Institutionen ist es außerdem nicht erlaubt, während des Lernens zu sprechen, um sich über den Stoff auszutauschen“, so der Forscher. Und auch im Umgang mit der unterschiedlichen Herkunft der Kinder gibt es hie und da klare Grenzen. „Während das Gros der Institutionen eine kulturelle Vielfalt lebt, werden in Einzelfällen Differenzen unterdrückt, indem etwa das Sprechen in den Muttersprachen untersagt wird.“

Die Studie ist kürzlich in Buchform erschienen.
Waltraud Gspurning, Arno Heimgartner, Sylvia Leitner, Stephan Sting: Soziale Qualität von Nachmittagsbetreuungen und Horten, Soziale Arbeit – Social Issues, Bd. 7, Lit 2010
     
zurück