Neues aus der Gehirnforschung
Salzburg (universität) - Univ. Prof. Dr. Wolfgang Klimesch beantwortet nach jahrzehntelanger
Forschungsarbeit offene Fragen zur Funktionsweise des Gehirns. Seine formulierte Theorie zu den Gehirn-Oszillationen
erhält eine Auszeichnung als meist zitierter Artikel.
„Wirft man einen Stein in einen Teich, entsteht eine Schwingung, die durch die Ausbreitung von Wellenbergen und
Tälern sichtbar ist“, erklärt Univ. Prof. Dr. Wolfgang Klimesch. „Für unsere Betrachtungen sind
folgende Grundeigenschaften wichtig: Die Schwingung – Oszillation - hat eine Bewegungsrichtung, und die Wellenberge
sowie die Täler sind durch eine zeitgleiche Auf- und Abbewegung der Wassermoleküle charakterisiert. Auch
Gehirnaktivitäten zeigen sich interessanterweise in Form von Oszillationen.“ Ähnlich wie Wellen im Wasser,
die eine große Anzahl von Wassermolekülen synchron beeinflussen, haben auch Gehirnwellen die Eigenschaft,
riesige Mengen an Neuronen synchron zu steuern. Anders aber als bei einem Teich, gibt es in den komplex vernetzten
Nervenzellen kein bremsendes Ufer, an dem die Wellen abebben würden. Wolfgang Klimesch erklärt des Rätsels
Lösung so: „Das Einbremsen der Gehirnaktivität wird durch Oszillationen bewerkstelligt, die spezifisch
hemmende Eigenschaften haben."
Hemmung statt Aktivierung
Damit eine Schwingung im Gehirn entstehen kann, braucht sie einen Impuls, der von Nervenzellen geliefert wird.
Grundsätzlich haben Nervenzellen zwei Möglichkeiten – sie können hemmend oder erregend wirken. In
der Gehirnrinde - dem Cortex - gibt es 85 Prozent erregende, aber nur 15 Prozent hemmende Zellen. Aus dieser Erkenntnis
ließe sich auf ein größeres (erregendes) Aktivierungsaufkommen bei Denkprozessen schließen,
paradoxerweise ist es jedoch umgekehrt: Hemmung spielt eine viel größere Rolle als Erregung. Die überraschende
Einsicht, dass bestimmte Gehirnschwingungen auf Hemmung beruhen, lässt sich inzwischen nachweisen und ist
eine der lang gesuchten Antworten in der Gehirnforschung.
Synchronisierung durch Schwingung
Sinneswahrnehmungen werden im Gehirn in verschiedenen Arealen gleichzeitig verarbeitet. Doch wie erfolgt die ‚Verständigung‘
der Nervenzellen in diesen Arealen? Die von Univ. Prof. Dr. Klimesch formulierte Theorie mit der deutschen Bezeichnung
>Hemmungs-Zeitstruktur-Hypothese< bearbeitet auch dieses Grundrätsel der Gehirnforschung und kommt zu
folgendem Schluss: Das ‚Timing‘ (Zeitstruktur) der parallel ablaufenden Aktivitäten wird durch Schwingungen
hergestellt. Diese können flächendeckend auftreten und steuern so die zeitliche Verarbeitung der Denkprozesse.
Denken lässt sich als elektrisches Signal mithilfe eines EEGs schon seit längerem sichtbar machen, doch
erst die besondere Auswertungsmethode von Wolfgang Klimesch und seinem Team liefert nun die Antworten auf bisher
offene Fragen. Seit Entdeckung des EEG galt die Alpha-Oszillation im Gehirn als die große Unbekannte. Forscher
früherer Generationen vermuteten eine verschlüsselte Grundinformation über das Gehirn in dieser
Schwingungsfrequenz. Alpha-Zustände entstehen z. B. während einer Meditation. Die bewusst gesteuerte
Aufmerksamkeit unterdrückt viele andere Prozesse im Gehirn. Diese besondere Hemmleistung wird der Alpha-Schwingung
zugeschrieben.
Selektion durch Schwingungsgröße
Da eine Schwingung ein dynamischer Prozess ist, gibt es verschiedene Ausformungen: Bei maximaler Hemmung
werden die meisten Neuronen zum Schweigen gebracht. Nur dort, wo die Hemmung eher klein ist, können Neurone
aktiv wirken. Dieser Vorgang ist hoch selektiv: Je größer die Schwingungsamplitude ist, umso weniger
Neurone bleiben aktiv und umso mehr werden gehemmt. „Wir können nun die selektive Verarbeitung, die in neuronalen
Netzwerken erfolgt, durch Hemmung erklären, das ist das Spannende“, fasst Univ. Prof. Dr. Klimesch seine Theorie
zusammen.
Die Währung der Wissenschafter sind Publikationen und Zitate. Der von Wolfgang Klimesch zusammen mit Paul
Sauseng und Simon Hanslmayr im Fachmagazin >Brain Research Reviews< veröffentlichte Artikel wurde besonders
häufig zitiert und erhielt dafür eine Auszeichnung. „Der Preis zeigt, dass ein großes Interesse
für Oszillationen vorhanden ist. Das ist sehr erfreulich, da dieses Gebiet vor gut zehn Jahren noch als exotisch
galt und eher belächelt wurde“, erklärt Univ. Prof. Dr. Wolfgang Klimesch. |