Linz (jku) - Das Institut für Pervasive Computing unter der Leitung von Univ.Prof. Dr. Alois Ferscha
hat nicht nur eine lange Liste an Forschungsarbeiten, Publikationen und Auszeichnungen (z.B. Innovationspreis 2009
des Landes OÖ), sondern ist jetzt auch an großen EU-Grundlagenforschungs-Projekten beteiligt. Ferscha
und sein Team entwickeln sensorbasierte Erkennungs- und Vorhersagemethoden für Situationen und Aktivitäten
des Menschen - die Grundlage für eine Vielzahl moderner Informatiklösungen wie "intelligenter"
Räume, Autos, Werkzeuge, Kleidung oder Möbel. Im Rahmen der FET EU-Projekte (FET - Future and Emerging
Technologies ist die Grundlagenforschungslinie der EU) werden maschinelle Wahrnehmungssysteme auf Basis technischer
Sensoren, wie auch Wirkprinzipien eingebetteter -versteckter- Computersysteme in großen kollektiven Systemen
untersucht.
"Gegenwärtig sind wir an fünf EU-Grundlagenforschungsprojekten beteiligt, die sich nicht nur auf
die einzelne Person, wie beispielsweise die Aktivitätserkennung mit Sensoren und mathematische Methoden der
Mustererkennung beziehen, sondern besonders große kollektive Systeme, sogenannte, sozio-technischen Systeme
wie etwa eine ,Smart City' oder kommunizierende ,intelligente' Autos im Straßenverkehr, etc. adressieren",
sagt Professor Ferscha. Das FET EU-Projekt "SOCIONICAL" beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen
("Feed-back Loops") zwischen Mensch und "persönlicher" Pervasive Computing Technologie
- aber auf der Ebene großer Kollektive betrachtet. Am Institut entwickelt wurde beispielsweise ein Lebensrettungsgurt
(LifeBelt), der Menschen in Evakuierungsszenarien durch richtungsangebende Vibrationen zum nächsten Ausgang
leitet, oder ein vibrierender Autositz, der das kumulative Aggressionspotential einer Straßenverkehrssitutation
(Einmündung bei Stau) abbildet.
Im FET EU-Projekt SAPERE (Eternaly Adaptive Service Ecosystems) werden völlig neue Architekturen für
vernetzte, kleine und kleinste versteckte Computersysteme entwickelt, die nach dem Vorbild von in der Natur beobachtbaren
Ökosystemen funktionieren. Autonomes Verhalten spielt dabei eine ebenso wichtige Rolle wie die Fähigkeit
des Gesamtsystems unbekannt oder neue Komponenten in das Kollektiv aufzunehmen, oder nicht mehr benötigte
abzulösen. Am Untersuchungsgegenstand der "digitalen Displays" einer ganzen Stadt ("Smart City")
werden diese Softwarearchitekturen erprobt.
Das FET EU-Projekt OPPORTUNITY versucht Situations- und Aktivitätserkennung durch die spontane Vernetzung
ad hoc verfügbarer Sensoren zu sogenannten "Ensembles" zu realisieren. Mustererkennungsmethoden
verzahnen sich hier mit der zielgesteuerten "Suche" nach Sensoren - wobei "alles was Daten liefern
kann" als Sensor verstanden wird. Ferscha: "Das ‚Handynetzwerk' ist mit 3,6 Milliarden Knoten das größte
Sensornetzwerk der Welt - jedes einzelne kann als Helligkeits-, Beschleunigungs-, Lautstärke-, GPS-, Kompass-,
Photo/Video-Sensor, etc. verstanden -und angesprochen- werden."
Die EU-Projekte namens HC2 ("Human Computer Confluence Research in Action") und PANORAMA untersuchen
die Entwicklung von symbiotischen Beziehungen zwischen Menschen und Computersystemen, und sollen Aufschluss über
neue Formen von Wahrnehmung, Empfindung, Orientierung und Interaktion in einem "informatisierten Alltag"
entwickeln.
Darüber hinaus ist Ferscha besessen von einer neuen Forschungsherausforderung: "In einem Zeitalter des
Facebook-Internet, der Mobiltelephonie, der Videoüberwachung, der Kundenkarte und der Maut On-board-Unit wird
jedes kleinste Ereignis erfasst und gespeichert - auf ewig! Die Informatik, ja unsere Gesellschaft hat sich lange
nur damit beschäftigt, effizient zu speichern. Jetzt geht es darum, Methoden zu entwickeln, wie Systeme "menschenähnlich"
Vergessen können. Dabei geht es nicht um das Löschen von Daten per se, sondern mehr um die Qualität
eines graduellen Ungenauwerdens, bis es letztlich "unerinnerlich" geworden ist - unter Menschen sagt
man dann oft: ‚sind wir wieder gut!' |