Bei der Generalversammlung der "Österreichischen Freunde von Yad Vashem" sprach
der evangelisch-lutherische Bischof über die Evangelische Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus
Linz (epd Ö) - "Versöhnung schließt das Vergessen aus und eröffnet so die
Zukunft. Für einen solchen Weg, der die Erinnerung heilt und die Zukunft eröffnet, setzt sich die Evangelische
Kirche heute in Österreich ein." Das erklärte der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker
am Abend des 08.06. bei der Generalversammlung der "Österreichischen Freunde von Yad Vashem" in
Linz. In seinem Referat sprach der Bischof von "Schuld und Scheitern der Evangelischen Kirche in der Zeit
des Nationalsozialismus". Zugleich betonte Bünker, dass das Gedenken an damals zum Einsatz für Demokratie
und Menschenrechte heute verpflichte. Dafür wolle die Evangelische Kirche in besonderer Weise eintreten.
"Die Evangelische Kirche in Österreich hat 1938 wie die überwiegende Mehrheit der österreichischen
Bevölkerung den 'Anschluss' an Hitlerdeutschland mit großer Begeisterung begrüßt und gefeiert.
Für manche ging der alte 'großdeutsche Traum' in Erfüllung, für andere war es mehr die Vereinigung
mit dem 'Mutterland der Reformation'", sagte der lutherische Bischof. Nach 1945 hätten die Evangelischen
dann zu der "Lebenslüge" gegriffen, dass ihre Kirche durch die massive Konfessionalisierung des
katholischen Ständestaates den Nazis in die Arme getrieben worden sei. Der Bischof betonte, dass es für
die Evangelisch-lutherische Kirche in Österreich bis zum Jahr 1998 dauerte, bis eine Erklärung verabschiedet
werden konnte, die der historischen Schuldeinsicht und der theologischen Erkenntnis in gleicher Weise entspräche.
In der Erklärung unter dem Titel "Zeit zur Umkehr" werde die Mitschuld der Christen und Kirchen
am Leiden und Elend von Juden deutlich ausgesprochen. Die heftigen antijudaistischen Äußerungen des
späten Luther werden dort "nicht nur kritisiert, sondern verworfen". Drei Jahre zuvor, 1995, hatte
die Evangelisch-reformierte Kirche in Österreich in ihrer "Grundsatzerklärung" die so genannte
Zwei-Wege-Theorie, die letztlich auf Martin Buber zurückgeht, vertreten: "Gott geht einen Weg mit den
Juden und einen mit den Christen".
Im Gedenkjahr 2005 haben dann die Evangelischen Kirchen eine Erklärung verabschiedet, in der sie von ihrer
Schuld und ihrem Scheitern in der Zeit des Nationalsozialismus sprechen und an die "unzähligen Opfer
von Diktatur und Krieg, Juden, Roma und Sinti und andere verfolgte Gruppen" erinnern. "Was sind die Evangelischen
der Welt schuldig? Es ist nichts anderes als das Evangelium, die Botschaft der Versöhnung", sagte Bünker.
Das Erinnern an das eigene Versagen dürfe nicht verdrängt werden, sondern rufe zu ständiger Selbstprüfung
und vor allem zur politischen Verantwortung auf. Konkret werde sie etwa im Umgang mit Asylsuchenden und Migranten,
in der Sorge betreffend Ausgrenzung und im Aufruf, Bildung und soziale Sicherheit zu verstärken.
Die bleibende Verantwortung, die Verbrechen des Nationalsozialismus aufzuarbeiten - gerade auch für die Kirche
- hat Kardinal Christoph Schönborn in Linz betont. Schönborn hob die tiefe Verbundenheit der Christen
mit dem Judentum hervor und sagte wörtlich: "Wer Christ sein will, muss sich der jüdischen Wurzeln
seines Glaubens bewusst sein, muss sie lieben und hochschätzen." Vor dem Hintergrund des christlichen
Antijudaismus und der schuldbehafteten Geschichte wolle er das Wort "Versöhnung" nicht einseitig
in den Mund nehmen, denn Versöhnung sei immer den Opfern vorbehalten. Erinnerungsarbeit, Gespräche und
Vertrauensbildung stünden aber an. Schönborn: "Davon kann es nie genug geben."
Der Kardinal sprach zwei Entwicklungen an, die diese Aufgaben erschweren würden: Je größer die
zeitliche Distanz zum NS-Terror und zur Schoah sei, umso mehr verblasse auch die Erinnerung. Schönborn: "Im
großen Speicher der Geschichte werden die Fäden, die uns biografisch mit dem Nationalsozialismus verbinden,
immer dünner. Und mit dem Heimgang der letzten Überlebenden von damals schwindet auch viel an persönlicher
Betroffenheit."
Weitere Redner bei der Generalversammlung waren der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer,
Israels Botschafter in Österreich, Aviv Shir-On, und Yad Vashems Europadirektor Arik Rav-On. Der Verein "Österreichische
Freunde von Yad Vashem" wurde auf Initiative des ehemaligen israelischen Botschafters Yosef Govrin und mit
Unterstützung von Yad Vashem in Jerusalem ins Leben gerufen. Die Aufgaben des Vereins bestehen im Wesentlichen
in der Erinnerung an den Holocaust durch Gedenk- und Erziehungsprojekte. Durch kulturelle Veranstaltungen soll
auch die vielerorts verloren gegangene jüdische Kultur wiederbelebt und in Erinnerung gehalten werden. |