WAGNER-SCHULE: ROTES WIEN.  

erstellt am
08. 06. 10

Architektur als soziale Utopie.
Wien (kunstnet) - Die Ausstellung WAGNER-SCHULE: ROTES WIEN. Architektur als soziale Utopie, die vom 06. Juli bis 28. August 2010 im Großen Kassensaal des WAGNER:WERK Museum Postsparkasse der BAWAG PSK bei freiem Eintritt zu sehen ist, vermittelt anhand von Texten, zahlreichen Fotos sowie einigen Gebäudemodellen die architektonischen Leistungen der Schüler Otto Wagners und die kulturellen und sozialen Errungenschaften des Roten Wien. Ergänzt wird sie durch Möbelbeispiele aus der Originaleinrichtungszeit.

In den 1920er Jahren verwirklichte die sozialdemokratische Stadtregierung des „Roten Wien“ ein ungeheures Bauvolumen von über 65.000 Wohnungen und Siedlungsgruppen. Noch beachtlicher als die Quantität war die Qualität dieser neuen Sozialwohnungen, die nicht nur Wohnen erschwinglich machte, sondern auch ein breites Angebot an Infrastruktur für den täglichen Bedarf sowie kollektive Einrichtungen und Orte der solidarisierenden Kommunikation, wie z.B. Kindergärten, Bibliotheken oder Theater, vorsahen.

Den Absolventen der Architekturschule Otto Wagners an der Akademie der bildenden Künste in Wien kommt innerhalb des Wohnbauprogramms der Gemeinde Wien eine besondere Bedeutung zu. Ihnen wurden die größten und prestigeträchtigsten Gemeindebauten zur Realisierung überantwortet, und ihre architektonischen Lösungen sind diejenigen, die bis heute die Vorstellung vom Wiener Gemeindebau der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts prägen.

DIE WAGNER-SCHÜLER IM ROTEN WIEN UND IHRE BAUTEN
Hermann Aichinger (Fuchsfeldhof Wien 12, Mateottihof Wien 5, Rabenhof Wien 3 u.a.); Leopold Bauer (Vogelweidhof Wien 15); Alfred Chalusch (Gallhof Wien 9, Beteiligung Goethehof Wien 22); Camillo Fritz Discher (Pernerstorfer-Hof Wien 10, Wohnhausanlage am Wienerberg zusammen mit Gütl, Frass, Dorfmeister, Perco); Karl Franz Dorfmeister (Professor Jodl-Hof, Döblinger Gürtel, mit Frass); Karl Ehn (Bebel-Hof Wien 12, Karl Marx-Hof, Wien 19); Rudolf Frass (Am Wienerberg); Rudolf Goebel (Rebec-Hof Wien 19); Paul Gütl (Pernerstorfer Hof, Wien 19, und Anton Kohl-Hof, Wien 3 zusammen mit Discher); Alfons Hetmanek (Friedrich Engels-Hof, Wien 11, mit Kaym und Gorge); Emil Hoppe (Sandleiten-Hof, Wien 16, mit anderen; Strindberg-Hof Wien 11); Franz Kaym (Friedrich Engels-Hof mit Hetmanek); Ernst Lichtblau (Leitung der Einrichtungsberatungsstelle BEST im Karl Marx-Hof; Doppelhaus Werkbundsiedlung); Engelbert Mang (Viktor Adler-Hof Wien 10, Widholz-Hof Wien 11); Franz Matuschek (Beteiligung Sandleitenhof); Konstantin Peller (Rosa Toepler-Hof Wien 18 sowie diverse Wohnhäuser der Gemeinde Wien); Rudolf Perco (Professor Jodl-Hof Wien 19, Beteiligung Am Wienerberg); Rudolf Perthen (Marianne Hainisch-Hof Wien 3); Heinrich Schmid (Speisingerhof Wien 13, Reismannhof Wien 12, Fuchsenfeldhof Wien 12); Otto Schönthal (Beteiligung Sandleitenhof Wien 13, Reismann-Hof Wien 12); Heinrich Schopper (Gall-Hof Wien 9, Hueber-Hof Wien 10).

HUBERT GESSNER: DAS RECHT AUF SCHÖNHEIT
Besonders hervorzuheben ist das Werk Hubert GESSNERS, dem auch eine der Stationen der Ausstellung gewidmet ist. Seinen Durchbruch erzielte er mit dem Entwurf für das Arbeiterheim Favoriten (1901) und begründete damit die langjährige Entwurfstätigkeit für die Sozialdemokratische Partei und eine persönliche Freundschaft mit Viktor Adler. Er wurde zum wichtigsten Architekten der österreichischen Sozialdemokratie und realisierte das Verlagsgebäude Vorwärts (1909), das Parteihaus und Verlagsgebäude Arbeiterwille (Graz 1909) sowie Bauten für den Konsumverein und die Arbeiterbank. In den riesigen Anlagen des Volkswohnbaus übersetzte er die Entwurfsprinzipien seines Lehrers Otto Wagner in die Realität des Roten Wien. Mit der Erweiterung des von Robert Kalesa begonnenen Metzleinstaler-Hofs (1920–1923) schuf Gessner den Prototyp des neuen Wiener Gemeindebaus. Sein benachbarter Reumann-Hof ist das Prunkstück auf der „Ringstraße des Proletariats“, dem Margarethengürtel. Der Lasalle-Hof (1924) gilt als herausragendes Beispiel konstruktivistisch geprägter Architektur. Als sein wichtigster Wohnbau und die Verkörperung des Volkswohnbaus schlechthin gilt die sogenannte Gartenstadt Jedlesee (heute: Karl Seitz-Hof) in Florisdorf.

DAS ROTE WIEN
Um die Jahrhundertwende verfügten 95 % aller Wohnungen (!) weder über WC noch Wasseranschluß und bestanden lediglich aus Gangküche und einem Zimmer. Die Sozialdemokraten forderten in ihrem kommunalpolitischen Programm 1914 bereits den Bau von kommunalen Mietwohnungen, die bis 1918 allerdings beinahe ausschließlich dem privaten Kapital überlassen blieben. Der Zusammenbruch der Monarchie hatte die Wohnsituation in Wien noch weiter verschlechtert. Zehntausende arbeits- und heimatlos gewordener (meist deutschsprachiger) ehemaliger Beamter und Mitarbeiter des Staatsapparats, außerdem Kriegsflüchtlinge – darunter viele Juden – strömten aus dem unsicher gewordenen Osten nach Wien.

Mit der Gründung eines eigenen, von Niederösterreich abgetrennten Bundeslandes Wien am 1. Januar 1922 konnte jene Steuerhoheit erreicht werden, die der Stadt die finanziellen Mittel für ihr kommunalpolitisches Programm zuführte. Das „Rote Wien“ war damit möglich geworden – eine Entwicklung, die in ihrer Bedeutung weit über Österreichs Grenzen hinaus ging. Tatsächlich war Wien zu diesem Zeitpunkt die einzige von Sozialdemokraten regierte Millionenstadt der Welt. Entsprechend groß war auf politischer und medialer Ebene die internationale Aufmerksamkeit. Zum Kernpunkt der neuen Kommunalpolitik sollte der Wohnbau werden. Hier, im unmittelbaren täglichen Lebensbereich, sollte der Unterschied zwischen kapitalistischem Wohnungswucher und sozialistischer Kommunalpolitik direkt erfahrbar werden.

Wohnen war mehr als bloße Behausung: der „Gemeindebau“ verstand sich als räumlich konzentrierter Ausdruck der neuen Gesellschaft, der ein breites Angebot an Infrastruktur wie Bildung, Gesundheit und Kultur mit einschloß. Die Architektur wurde zum Träger dieser sozialen Utopie. Neben den zahlreichen Gemeinschaftseinrichtungen und dem Hof als zentralem Kommunikationsbereich sollte insbesondere auch die ästhetische Gestaltung und architektonische Qualität den Anspruch auf gesellschaftlichen Fortschritt dokumentieren. Die über das gesamte Stadtgebiet verteilten Bauten wurden zum Symbol der Stärke und dokumentieren mit ihren Namensbezeichnungen (Marx-, Engels-, Adler-, Bebel-, Liebknecht-, Matteotti-Hof etc.) das Recht auf Geschichte der Arbeiterklasse. Zum symbolträchtigsten Bau des Roten Wien wurde der Karl Marx-Hof, der vom Otto Wagner-Schüler und Beamten des Wiener Stadtbauamtes, Karl Ehn geplant wurde.

Die erstaunlichen Errungenschaften des Roten Wien lassen oft vergessen, wie kurz die Zeitspanne für die Umsetzung seines Reformprogramms war: rund 15 Jahre bis zur Ausschaltung der Demokratie 1934 – bzw. kaum mehr als 10 Jahre, wenn man die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die Bautätigkeit bedenkt. Die Gesamtbilanz der Wohnbaupolitik des Roten Wien ist dennoch beeindruckend. Insgesamt wurden von der Gemeinde Wien innerhalb von 14 Jahren 61.175 Wohnungen in 348 Wohnhausanlagen, 42 Siedlungsgruppen mit 5.257 Siedlerhäusern und 2.155 Geschäftslokale errichtet. 1934 wohnte bereits ein Zehntel der Wiener Bevölkerung in Gemeindewohnungen.

Nach 1945 erreichte der Wiederaufbau nur in seltenen Fällen die städtebaulichen und architektonischen Qualitäten der 20er-Jahre. Diese sollten erst später wieder entdeckt werden, als eine neue Architektengeneration Alternativen zu einer als gesichtslos empfundenen Moderne suchte. Sie fand sie bei den Gemeindebauten des Roten Wien und hier vor allem bei den Otto Wagner-Schülern, die diesen großstädtischen Wohnbau geprägt hatten. Heute werden diese unter Denkmalschutz stehenden Bauten aufwendig saniert und bilden innerhalb des kommunalen Wohnungsbestands – 220.000 Wohnungen – einen architektonischen und wohl auch kulturpolitischen Höhepunkt.

Das WAGNER:WERK Museum Postsparkasse wurde im Oktober 2005 eröffnet, ist eines der beiden Ausstellungsorte, die von der BAWAG PSK ins Leben gerufen wurden und von ihr gesponsert werden. Das WAGNER: WERK Museum Postsparkasse der BAWAG PSK ist einem der wichtigsten österreichischen Architekten des 20. Jahrhunderts gewidmet. In einer permanenten Ausstellung auf 354 m2 dokumentiert und veranschaulicht das Museum Otto Wagners wohl bedeutendsten Monumentalbau, die Postsparkasse als Geldinstitut und als eines der wichtigsten programmatischen Gebäude der modernen Architektur. Basierend auf der Bauaufgabe der „Erfindung einer neuen Bank“ wird mit den Materialien aus dem Archiv der Postsparkasse sowie externen Archiven die Ideen- und Baugeschichte eines einzigartigen Bauwerkes von Otto Wagner nachvollzogen. Das WAGNER:WERK Museum Postsparkasse der BAWAG PSK ist von Montag bis Freitag von 9.00 Uhr bis 17.00 Uhr und am Samstag von 10.00 Uhr – 17.00 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt Euro 5,00; für Schüler, Studenten, Senioren und Gruppen gilt ein ermäßigter Eintritt von Euro 3,50.
Gegen Vorweis einer Kundenkarte erhalten alle Kunden der BAWAG PSK freien Eintritt.
Ergänzend zur permanenten Ausstellung konzipiert und initiiert das WAGNER:WERK Museum Postsparkasse der BAWAG PSK im Großen Kassensaal jährlich drei Sonderausstellungen, die sich mit Architektur und Design des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen. Der Eintritt in die Sonderausstellungen ist frei.
     
Informationen: http://www.ottowagner.com    
     
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