Kongress im Odeon diskutierte Wiener Kulturpolitik
Wien (rk) - Das von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny 2008 initiierte Projekt "Wien denkt
weiter" fand am 17.06. in den hallenartigen Räumlichkeiten des Odeon-Theaters einen vorläufigen
Höhepunkt, wo über 200 TeilnehmerInnen die Zukunft der Wiener Kulturpolitik diskutierten. Neben diversen
Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur - etwa Gerald Matt (Kunsthalle), Lilli Hollein (Vienna Design Week),
Wolfgang Kos (Wien Museum) oder Anna Maria Krassnigg (salon5) - stieß die Veranstaltung auch bei vielen MedienvertreterInnen
auf Interesse.
Impulsgespräch mit Andreas Mailath-Pokorny und Diedrich Diederichsen
Den Beginn machte ein von Corinna Milborn moderiertes Gespräch zwischen dem bekannten Popkultur-Theoretiker
Diedrich Diederichsen und Mailath-Pokorny. Befragt nach den Unterschieden zwischen Berlin und Wien machte Diederichsen,
der seit 2006 in Wien auch an der Akademie der Bildenden Künste lehrt, auf das unterschiedliche Preisniveau
im Alltag aufmerksam. Berlin, bekanntermaßen "arm, aber sexy", könne aktuell keine Kulturpolitik
mehr umsetzen, da die Stadtkasse an der Spree leer sei. Alleine Institutionen des Bundes würden hier noch
"so etwas wie Kulturimpulse setzen können." Für Diederichsen besitzt die relative Armut Berlins
aber auch positive Begleiterschienungen: Die Zone des Nicht-Konsumierens werde größer, die Hektik habe
abgenommen, es gebe auch wieder so etwas wie ein Recht auf Untätig sein.
Für die Wiener Situation bilanzierte Mailath, dass der Umgang mit der teils schwer gewichtigen Tradition Wiens
als Kulturstadt in den letzten Jahren leichter geworden sei. Die Förderung des Zeitgenössischen trage
Früchte, problematisch sieht er die noch nicht sehr weit entwickelte Offenheit zwischen den Wiener Szenen.
Das betreffe auch den Austausch im kulturellen Milieu der Neo-Wiener, so Mailath. Zukünftig müsse es
darum gehen, diese Milieus mehr zueinander zu bringen. "Heute wirken viele noch wie wasserdichte Zellen, die
sich voneinander abschließen." Über das breite, unterschiedliche Förderkonzept der Wiener
Kulturpolitik bestehe zwar weitestgehende Einigkeit, wobei auch hier das "wirklich Neue" in Zukunft noch
mehr Aufmerksamkeit erhalten müsse. Ebenso nannte Mailath als Ziel, das große kulturelle Angebot Wiens
noch bekannter zu machen. Sein Schlüsselerlebnis vor einigen Jahren: Bei einer Busfahrt mit jungen Schülerinnen
und Schülern in Richtung Dschungel Wien, sei ihm bewusst geworden, dass viele Kinder überhaupt keine
Ahnung gehabt hätten, was der Begriff Theater überhaupt meint. "Da müssen wir uns noch mehr
überlegen", unterstrich der Kulturstadtrat.
Thesenpapier zur Kulturpolitik
Anschließend stellten Isolde Charim, Anna Maria Krassnigg, Gerald Matt, Robert Misik und Thomas Weber
das Thesenpapier "Kultur. Für Wien. Für morgen. Für fast alle." vor, das als Diskussionsgrundlage
für die Veranstaltung diente (online auf www.wien-denkt-weiter.at). Den Titel des Papiers erklärte Robert
Misik so: "Wir sind nicht für alles offen - Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Hetze lehnen wir klar
ab." Zentrale Gedanken des Papiers sind u.a. die Einrichtung von Brutplätzen, um einen Nährboden
für neue Ideen und Initiativen zu schaffen, die Vernetzung der verschiedenen künstlerischen und kreativen
Milieus sowie die Vermittlung kultureller Kompetenz als allgemeiner Bildungsauftrag.
Intensive Open-Space-Diskussion
Im Anschluss wurde die Diskussion im Open-Space-Format an vier Thementischen vertieft: "Das Ende der
Repräsentationskultur", moderiert von Rudolf Scholten (Wiener Festwochen) , wurde vor allem darin gesehen,
dass viele traditionelle repräsentative Kultureinrichtungen in den letzten Jahren Öffnungsprozesse initiierten,
die auch jungen Kulturschaffenden die Möglichkeit bieten, Teil dieser Institutionen zu werden. Problematisch
dabei wurde gesehen, dass diese Entwicklung allerdings der Entstehung eigener Räume und Konzepte junger Kunstschaffender
entgegenwirkt.
Mit diesen eigenen Räumen beschäftigte sich der von Lilli Hollein moderierte Tisch "Brutplätze:
das Neue vor Ort fördern!". Neben der Diskussion um einen geeigneteren Begriff für die Förderung
neuer Entwicklungen, etwa "Freiräume", drehte sich die Debatte unter anderem um die Dezentralisierung
und Entbürokratisierung von Förderstrukturen, um ein besseres Eingehen auf lokale Aktivitäten zu
ermöglichen.
Bei "Zugang, Bildung, Vermittlung, Integration - freier Eintritt, und was noch?", moderiert von Bettina
Leidl (Kunsthalle Wien, KÖR), war vor allem die Kulturvermittlung für Menschen mit Migrationshintergrund
Thema - die DiskutantInnen waren sich einig, dass dieses Feld ein zentrales Thema für die Zukunft der Wiener
Kultur darstellt.
"Qualität und Gerechtigkeit", moderiert von Wolfgang Kos, beschäftigte sich mit der Unmöglichkeit
objektiver Förderentscheidungen. Umso wichtiger sahen die TeilnehmerInnen daher Transparenz in der Vergabe
von Subventionen. Ebenfalls heftig debattiert würde über Wege, nicht nur das Beginnen, sondern auch das
Beenden von Projekten zu organisieren.
In seinem Abschlussstatement betonte Andreas Mailath-Pokorny die Wichtigkeit des Diskussionsprozesses: "Vor
zwei Jahren habe ich erstmals eine kulturpolitische Diskussionsrunde ins Leben gerufen, seit einiger Zeit diskutieren
wir diese Fragen auch öffentlich im Internet, und ich freue mich sehr über die konstruktive und zahlreiche
Beteiligung an der heutigen Veranstaltung - trotzdem ist dies kein Abschluss, sondern erst der Beginn. Solche Kongresse
wird es künftig in regelmäßigen Abständen geben, um einen breiten Dialog zu ermöglich
- denn das tut der Stadt gut." |