EU-Hauptausschuss: Regulierung der Finanzmärkte geht zu langsam
Wien (pk) - Beim kommenden europäischen Rat am 17. Juni 2010 soll die europäische Strategie
für Beschäftigung und Wachstum "Europa 2020" angenommen werden. Dementsprechend war diese auch
zentrales Thema im EU-Hauptausschuss am 16.06., wobei abermals die Fragen einer stärkeren Regulierung der
Finanzmärkte, einer Bankenabgabe und Finanztransaktionssteuer aufgegriffen wurden. Was die Initiative von
Frankreich und Deutschland in Hinblick auf eine Wirtschaftsregierung betrifft, so stellte Bundeskanzler Werner
Faymann klar, dass darunter eine engere Kooperation in Richtung von mehr Transparenz, eines Frühwarnsystems
und einer eingehenderen Diskussion zu verstehen sei. Keinesfalls würden nationale Kompetenzen abgegeben, auch
eine Vertragsänderung sei nicht geplant.
Kritisch bewertete der Bundeskanzler die bisherigen Maßnahmen der EU zur Regulierung der Finanzmärkte.
Er unterstütze alles, was die Kommission vorbereitet hat, man lasse sich jedoch viel zu viel Zeit, Schritte
zu setzen, sagte er. Er würde auch bei der Bankenabgabe und Transaktionssteuer eine EU-weite Lösung vorziehen,
hält aber ein gemeinsames Vorgehen innerhalb der Eurozone ebenfalls für sinnvoll. Faymann bekräftigte
einmal mehr, dass seiner Ansicht nach auch nationale Alleingänge zielführend seien. Jedenfalls habe man
in den letzten Monaten immer mehr Länder für derartige Schritte gewinnen können, dennoch seien weiterhin
einige EU-Staaten strikt dagegen. Mit der Bankenabgabe sollen die Institute zunächst zur Budgetkonsolidierung
beitragen, erläuterte der Kanzler, mittel- und langfristig sei aber ein Regelwerk anzustreben, das sicherstellt,
dass die Banken für die Risiken, die sie eingehen, auch gerade stehen. Jedenfalls sollten sämtlich Maßnahmen
eine antispekulative Wirkung haben. Notwendig seien auch leistbare Kredite für die Wirtschaft, fügte
Faymann hinzu.
"Europa 2020" – Spannungsfeld Armutsbekämpfung und Budgetsanierung
Die Strategie "Europa 2020" soll einen Anstoß zu mehr Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität
geben, ohne dabei dem sozialen Zusammenhalt zu gefährden. Zur Verwirklichung dieser Zielsetzung wurden fünf
sogenannte Kernziele formuliert: Verminderung der Armut; eine Beschäftigungsquote von 75 % unter der Bevölkerung
im erwerbsfähigen Alter; die Einhaltung der klima- und energiepolitischen Zielvorgaben der EU, wie Verringerung
der Treibhausgasemissionen; Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch und Verbesserung
der Energieeffizienz; die Senkung der Schulabbrecherquote und Erhöhung des Anteils der Bevölkerung mit
Hochschulabschluss; Investition von 3 % des BIP der EU in Forschung und Innovation. Diese Kernziele sollen von
den Mitgliedstaaten in eigene nationale Ziele umgesetzt werden.
Bundeskanzler Werner Faymann wies in diesem Zusammenhang auf die Herausforderung hin, einerseits die Budgets zu
konsolidieren, andererseits konjunkturfördernde Maßnahmen zu setzen, um Arbeitsplätze zu schaffen
und Armut zu bekämpfen. Abgeordnete Christine Muttonen (S) begrüßte die Aufnahme von Beschäftigung
und Bekämpfung der Armut in die Strategie und merkte an, zur Bewertung der Wirtschaftspolitik der einzelnen
Länder dürften nicht nur ökonomische Maßstäbe gelten. Positiv hob sie die Tatsache hervor,
dass auch die Gleichstellungspolitik Eingang in die Strategie gefunden hat. Abgeordnete Marianne Hagenhofer (S)
forderte regelmäßige Berichte der Länder, um kontrollieren zu können, ob diese bei der Bekämpfung
von Arbeitslosigkeit und Armut auch auf dem Weg sind, die Ziele zu erreichen.
Kritische Töne zur derzeitigen EU-Politik kamen in der Diskussion von Klubobmann Josef Cap (S). Er knüpfte
an die Aussagen des Bundeskanzlers an und meinte, man habe den Eindruck, in der EU werde so weiter gemacht wie
vor der Krise. Er vermisste vor allem ein geschlossenes Auftreten gegen die Macht der Finanzmärkte und forderte
eine soziale und ökologische Marktwirtschaft auf EU-Ebene ein. Wenn Europa eine Zukunft haben wolle, dann
brauche es auch in Krisenzeiten soziale und ökologische Komponenten, stellte er fest, die Budgetkonsolidierung
dürfe sich nicht einem Diktat der Zahlenstatistik unterstellen. Dem pflichtete Abgeordneter Kai Jan Krainer
(S) bei und erwähnte mit skeptischem Unterton Estland, das zwar die Eurokriterien erfüllt, jedoch zum
Preis einer hohen Arbeitslosenrate. Es sei notwendig, dass die soziale Dimension Europas wächst, sagte er.
Beunruhigt zeigte sich Cap auch über das Vorgehen von Frankreich und Deutschland in puncto Wirtschaftsregierung.
Es müsse ein Mix werden zwischen Funktionsfähigkeit auf europäischer Ebene und ausreichenden nationalen
Spielräumen, betonte er. Cap plädierte allgemein dafür, endlich darüber zu diskutieren, wo
die Grenzen Europas sind. Sollten wir so weiter machen, bemerkte er, dann werde Europa zu einer Freihandelszone.
Auch Abgeordneter Martin Bartenstein (V) ortete ein zu hohes Maß an Alleingängen von Deutschland und
Frankreich. Seiner Ansicht nach müsse man alles dafür tun, um die nationale Wettbewerbsfähigkeit
zu erhalten. Kleinere und mittlere Staaten sollten sich deshalb koordinieren und eigene Initiativen setzen, denn
es komme im Endeffekt darauf an, was unter einer Wirtschaftsregierung verstanden wird. Abgeordneter Alexander Van
der Bellen (G) vermutete hinter dem Vorstoß Merkels und Sarkozys ein Misstrauen gegenüber der Kommission
beziehungsweise gegenüber dem ECOFIN. Der grüne Europasprecher schloss sich auch der Kritik jener an,
denen im Bereich der Finanzmarktregulierung zu wenig weiter geht. In den Schlussfolgerungen sei kaum etwas von
der Position des Europäischen Rats zu diesem Thema zu lesen, bemängelte er und erinnerte an das Kommissionspapier
zum Bankenrettungsfonds, das interessante Vorschläge enthalte und an sich einen Liquidierungsfonds für
Banken vorsehe.
Gänzlich ablehnend zur Strategie 2020 äußerte sich Abgeordneter Johannes Hübner (F). Er brachte
daher einen Antrag auf Stellungnahme, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, die Strategie nicht anzunehmen
und mit den Repräsentanten der EU-Mitgliedsstaaten einerseits über Rationalisierungen von Wirtschafts-
und Arbeitsmarktförderungen zu verhandeln, andererseits Strategien für eine Hartwährungszone zu
entwickeln. Der Antrag wurde schließlich von SPÖ, ÖVP und Grünen abgelehnt.
Hübner argumentierte, die Ziele der Strategie seien zwar unstrittig, die Eurozone stelle aber nicht die Lösung
des Problems dar, sondern sie sei ein Teil des Problems. Das Budgetverhalten einiger Länder führe zu
einem massiven Vertrauensverlust und damit zu einem Abbremsen der Konjunktur. Hübner regte auch an, darüber
nachzudenken, ob der Geldlauf von den nationalen Bruttobeträgen und der Rückfluss davon in die EU-Staaten
über EU-Projekte tatsächlich sinnvoll ist, da diese Vorgehenseise einen unverhältnismäßig
hohen bürokratischen Aufwand verursache.
Ebenso reihten sich die Wortmeldungen des Abgeordneten Robert Lugar (B) in die skeptischen Äußerungen
zur Finanz- und Wirtschaftspolitik der EU ein. Die wenigsten Staaten hielten sich an die Stabilitätskriterien,
der Rat habe bereits 2006 darüber Kenntnis gehabt, dass Griechenland falsche Zahlen liefert, habe aber daraus
keine Konsequenzen gezogen, hielt er fest. Der Euro werde ohne gemeinsame Budget- und Wirtschaftspolitik keinen
Erfolg haben, meinte er. Die Aussagen zur Regelung der Finanzmärkte seien bislang nur Lippenbekenntnisse geblieben,
man mache so weiter wie vor der Krise, die Eigenkapitalausstattung der Banken sei minimal und die Praxis der Kreditvergabe
habe sich ebenfalls nicht geändert. Europa müsse auch gegenüber Indien und China bewusster auftreten,
um Produktpiraterie und Industriespionage entgegen zu wirken.
Lugar brachte vier Anträge auf Ausschussfeststellung ein, in denen er Bezug auf den Kommissionsbericht "Projekt
Europa 2030 – Herausforderungen und Chancen" nimmt. In einem Antrag kritisiert das BZÖ die Passage des
Berichts, wonach die EU einen proaktiven Ansatz in der Frage der Zuwanderung entwickeln müsse, und dies als
ein nützlicher Beitrag für die Zukunft der Union bezeichnet wird. Die weiteren Anträge wenden sich
gegen einen generellen Freibrief für unverantwortliches finanz- und budgetpolitisches Vorgehen von Mitgliedsstaaten,
gegen ein Aufweichen der Kriterien für zukünftige Erweiterungen der Union und gegen eine indirekte Zustimmung
zur Kernenergie. Auch diese Anträge erhielten nicht die erforderliche Mehrheit. Lugar begründete seine
Anträge damit, dass man negativen Entwicklungen rechtzeitig entgegentreten und Positionen formulieren müsse,
auch wenn es sich bei diesem Bericht nur um ein Diskussionspapier handelt.
Thema EU-Erweiterung, Donauraumstrategie, Bürgerinitiative
Angesprochen von Zweitem Nationalratspräsidenten Fritz Neugebauer und Abgeordnetem Wolfgang Großruck
(beide V) auf die zukünftigen Erweiterungsschritte, erklärte Außenminister Michael Spindelegger,
man werde im Fall von Island im Herbst mit dem Screening-Prozess beginnen und die Beitrittsverhandlungen würden
voraussichtlich nächstes Jahr gestartet. Mit Kroatien könnten nach dem Referendum in Slowenien die letzten
Kapitel eröffnet werden. Einen Abschluss der Beitrittsverhandlungen erwartete Spindelegger für nächstes
Jahr. Den Staaten des West-Balkans werde man auch weiterhin eine europäische Perspektive eröffnen, man
gehe aber bei jedem Land gesondert vor. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei befänden sich derzeit
im Stocken, sagte er gegenüber Abgeordnetem Alexander Van der Bellen (G), der befürchtet hatte, dass
sich das Land am Bosporus anders orientieren werde, wenn sich Europa abwendet.
Auf die Frage der Abgeordneten Christine Muttonen (S), wann denn nun die europäische Bürgerinitiative
starten könne, antwortete Spindelegger, damit sei nicht vor 2012 zu rechnen. Die Verordnung werde erst Ende
dieses Jahres vorliegen, dann müsste diese von den EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt werden.
Sanktionen gegen den Iran, Konfliktherd Naher Osten, EZA
Im EU-Hauptausschuss wurden auch außenpolitische Themen behandelt. Bundesminister Michael Spindelegger nahm
zu den Sanktionen gegen den Iran Stellung und erläuterte, im Außenministerrat gehe es nun um die Konkretisierung
der UN-Beschlüsse, wobei von den Sanktionen vor allem der Transportsektor, das Bankensystem und der Technologietransfer
betroffen sein sollen. Österreich setze sich dafür ein, dass die Sanktionen das Regime und die Revolutionsgarden
treffen, nicht aber die Bevölkerung. Er unterstrich insbesondere die Zustimmung von China, Russland und anderen
Ländern zu den Sanktionen im Hinblick auf die Kritik des Abgeordneten Johannes Hübner (F) an den Sanktionen.
Hübner hatte gemeint, die EU lasse sich von den USA diktieren und berücksichtige nicht die Initiativen
von Brasilien und Türkei im Atomstreit. Die ehemalige Außenministerin und nunmehrige Abgeordnete Ursula
Plassnik (V) warf ein, eine Erklärung brauche mehr als Sanktionsmaßnahmen. Sie müsse Elemente wie
Menschenrechte und Demokratieentwicklung enthalten und auf eine Verbesserung des Informationsflusses abzielen.
Damit würde man auch ein Signal an die iranische Bevölkerung richten, meinte sie.
Der Außenminister ging auch auf die Lage in Gaza ein und bezeichnete das Vorgehen Israels unverhältnismäßig.
Die Bemühungen der EU gingen nun dahin, die Blockade von Gaza aufzuheben und über kontrollierte Grenzübergänge
die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Was den Atomstreit betrifft, so wies der Außenminister
auf die Evaluierungskonferenz hin, bei der das Ziel einer atomfreien Welt festgeschrieben wurde und damit auch
Atomwaffen im Nahen Osten abgelehnt werden. Das sei ein klares Signal an Israel, stellte Spindelegger fest.
In einem guten Stadium befinde sich die Donauraum-Strategie, bemerkte Außenminister Spindelegger auf die
Wortmeldung von Zweitem Nationalratspräsident Fritz Neugebauer. Die Vorlage für die Kommission werde
Ende des Jahres fertiggestellt und mit einem entsprechenden Beschluss sei nächstes Jahr zu rechnen, berichtete
er.
Die Abgeordneten Alexander Van der Bellen (G) und Petra Bayr (S) bedauerten auch die Reduzierung der Mittel für
die Entwicklungszusammenarbeit (EZA). Damit würden die Millenniums-Entwicklungsziele, bis 2015 0,7 Prozent
des BIP für EZA vorzusehen, nicht erreicht werden. Van der Bellen meinte sogar, Österreich verhalte sich
bei der Entwicklungszusammenarbeit wie ein Trittbrettfahrer. Der Außenminister räumte ein, die Situation
sei nicht erfreulich und das angestrebte Ziel vor dem Hintergrund des vom Parlament beschlossenen Budgetrahmens
unrealistisch. Er werde aber einen Evaluierungsprozess in Gang setzen, um in den nächsten Jahren die Mittel
effizienter einsetzen zu können.
Thema Klimastrategie
Schließlich gab es auch noch eine kurze Diskussion zu den Klimazielen. Abgeordnete Christiane Brunner
(G) urgierte mehr Tempo in der Klimapolitik und in Sachen Energieeffizienz. Sie bezweifelte, dass Österreich
die geplanten Ziele erreichen werde und kritisierte, dass man nun nicht mehr eine Reduktion der CO2-Emissionen
von 30 Prozent anstrebt. Wenn eine zielorientierte Klimapolitik auch mehr Mittel erfordere, so sei sie auf die
Dauer budgetschonend, argumentierte Brunner.
Abgeordnete Petra Bayr (S) machte in diesem Zusammenhang auf die Probleme der armen Länder aufmerksam. Diese
würden unter dem Klimawandel enorm leiden, ohne dass sie diesen verursacht haben, bemerkte sie. Deshalb sei
es notwendig, diesen Staaten Hilfestellung zu leisten.
Bundeskanzler Werner Faymann (S) machte auf die Schwierigkeiten aufmerksam, in diesen Fragen eine globale Übereinkunft
zu erzielen, indem er an das Scheitern von Kopenhagen erinnerte. Viele Länder seien der Meinung, solange sie
keine vergleichbaren sozialen Standards haben, könnten sie sich nicht zu Zielen verpflichten, die zu einem
Nachteil im wirtschaftlichen Wettbewerb führen. Weitaus sinnvoller sei es, sagte Faymann, sich in kleinen
Gruppen zusammenzuschließen und gemeinsam Ziele zu formulieren. Was die Reduktion der CO2-Emissionen betrifft,
so müsse man auch auf die kleinen und mittleren Betriebe Rücksicht nehmen, bemerkte er gegenüber
Abgeordneter Brunner (G). |