Marburg (idw) - Physikern aus Marburg und den USA ist es geglückt, den quantenmechanischen Zustand
eines Systems aus Millionen von Teilchen zu beschreiben, indem sie Messungen an Halbleitern mit theoretischen Vorhersagen
in Übereinstimmung gebracht haben. Das Wissenschaftlerteam um die Professoren Dr. Stephan Koch und Dr. Mackillo
Kira von der Philipps-Universität Marburg (PUMa) teilt seine Ergebnisse in der renommierten Fachzeitschrift
"Physical Review Letters" mit.
Moderne Halbleiterbauelemente, chemische Reaktionen und sogar biologische Vorgänge basieren auf Prozessen,
die sich im Nanometerbereich abspielen - ein Nanometer misst ein Millionstel Millimeter. Prozesse in diesem Größenmaßstab
unterliegen Prinzipien der Quantenmechanik, die häufig unanschaulich sind. Um solche Nanosysteme physikalisch
vollständig zu charakterisieren und womöglich sogar steuern zu können, muss man deren gesamten quantenmechanischen
Zustand kennen.
"Dieses Ziel ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt unerreichbar, sofern die betrachteten Systeme mehr als einige
Atome oder Ionen umfassen", sagt Senior-Autor Koch. "Und zwar schlicht und ergreifend deshalb, weil die
direkte Messung des Quantenzustands die Möglichkeiten der Datenverarbeitung erschöpfen würde."
Zur Umgehung dieses Problems nahmen sich die Physiker dünne Halbleiterfilme vor, deren Elektronen sie optisch
anregten. Statt den Quantenzustand direkt zu untersuchen, führten sie höchst präzise Messungen durch,
um subtile Veränderungen des optischen Verhaltens nachzuweisen. Die experimentellen Daten wurden aufs Genaueste
mit den Vorhersagen einer avancierten Vielteilchentheorie verglichen. "Unser detaillierter Vergleich zwischen
quantitativen Experimenten und der Theorie zeigt, dass das Absorptionsverhalten stark von der Vielteilchen-Konfiguration
abhängig ist", erläutert Mitverfasser Kira. Somit konnten die Quantenzustände der optisch aktiven
Elektronen mit bisher unerreichter Genauigkeit identifiziert werden.
"Dieses Ergebnis stellt einen ersten Meilenstein auf dem Weg zur Beschreibung von Prozessen im Nanoskalenbereich
in Halbleitern dar", erklärt Koch. Kira führt aus, dass man als einen der nächsten Schritte
versuchen werde, den Quantenzustand extrem großer Systeme zu steuern - möglicherweise, indem man die
Quantenaspekte der optischen Anregung exakt kontrolliert. Hierfür kooperieren die theoretischen Physiker von
der Philipps-Universität wiederum mit Experimentatoren des National Institute of Standards and Technology
und der University of Colorado in den USA (JILA/NIST).
Originalpublikation: R. P. Smith & al: "Extraction of Many-Body Configurations from Nonlinear Absorption
in Semiconductor Quantum Wells", Physical Review Letters 104 (2010), 247401, doi: 10.1103/PhysRevLett.104.247401
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