Binnenmarkt  

erstellt am
24. 06. 10

Kommission bringt Österreich wegen Beschränkung des Erwerbs landwirtschaftlichen Grundbesitzes in Vorarlberg vor den Gerichtshof
Brüssel (ec.europa) - Die Europäische Kommission hat heute beschlossen, Österreich im Zusammenhang mit dem Erwerb von landwirtschaftlichem Grundbesitz in Vorarlberg vor dem Gerichtshof der EU zu verklagen und so die im Vertrag verankerte Kapitalverkehrsfreiheit durchzusetzen. Wenn ein Nicht-Landwirt ein landwirtschaftliches Grundstück kaufen möchte, kann nach den Vorarlberger Vorschriften jeder Landwirt sein Interesse anmelden, das Land zum ortsüblichen Preis zu erwerben. Es gibt keine angemessenen Ausnahmen von diesem Vorkaufsrecht, was es Nicht-Landwirten erschwert, in der Region zu investieren, selbst zu landwirtschaftlichen Zwecken. Die Kommission ist darüber besorgt, dass Österreich dadurch, dass es unverhältnismäßige Beschränkungen aufrechterhält, seinen Verpflichtungen aus den EU-Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit und den freien Kapitalverkehr (Artikel 49 und 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV) nicht nachkommt. Die Kommission übermittelte Österreich im November 2009 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie die Einhaltung des EU-Rechts anmahnte. Da keine zufriedenstellende Antwort einging, hat sie beschlossen, den Fall an den Gerichtshof der Europäischen Union zu verweisen.

Was ist das Ziel der betreffenden EU-Vorschriften?
Der freie Kapitalverkehr ist das Herzstück des Binnenmarkts und zählt zu dessen vier ‚Grundfreiheiten’. Durch ihn werden integrierte, offene, wettbewerbsfähige und effiziente europäische Märkte erst möglich. Für die EU-Bürger bedeutet dies, dass sie in anderen Mitgliedstaaten vielerlei Geschäfte tätigen können, von der Eröffnung eines Bankkontos über den Kauf von Aktien ausländischer Unternehmen und Geldanlagen mit bestmöglicher Rendite bis hin zum Immobilienerwerb. Den Unternehmen bringt der freie Kapitalverkehr vor allem die Möglichkeit, in andere europäische Unternehmen zu investieren oder sie zu besitzen und aktiv an deren Management mitzuwirken.

Inwiefern verstößt Österreich gegen diese Vorschriften?
Wenn ein Nicht-Landwirt ein landwirtschaftliches Grundstück kaufen möchte, kann nach dem VGVG, dem Vorarlberger Grundverkehrsgesetz, jeder Landwirt sein Interesse anmelden, das Land zum ortsüblichen Preis zu erwerben. Es gibt keine Ausnahmen, auch wenn der Nicht-Landwirt das Grundstück erwerben will, um es durch einen langfristigen Pächter weiter landwirtschaftlich nutzen zu lassen.

Außerdem kann der Kaufinteressierte immer noch dem Vorkaufsrecht unterliegen, wenn ein Landwirt sein Interesse bekundet, aber in der Folge das Land nicht erwirbt, was den Kauf des Grundstücks noch weiter verzögern kann. Ferner kann ein interessierter Landwirt auch dann sein Interesse anmelden, wenn der bisherige Eigentümer sein Grundstück einem Unternehmen in seinem Besitz oder einer von ihm kontrollierten Stiftung überträgt, um es weiter landwirtschaftlich nutzen zu lassen. Gemäß dem Gesetz muss außerdem die künftige landwirtschaftliche Nutzung durch einen Landwirt im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebs gesichert sein, auch wenn kein anderer Landwirt der Region Interesse am Kauf des Grundstücks gezeigt hat.

Nach Ansicht der Kommission schränken diese Bestimmungen den freien Kapitalverkehr und die Niederlassungsfreiheit ein. Da keine angemessenen Ausnahmeregelungen gelten, ist die Kommission der Ansicht, dass sie im Hinblick auf das Ziel des VGVG, Grundstücke bäuerlichen Familienbetrieben zu erhalten und eine breite Streuung des Grundeigentums zu sichern, außerdem den Preisdruck auf den Grundstücksmarkt zu reduzieren und den Landwirten landwirtschaftliche Flächen zu erhalten, unverhältnismäßig sind. Der Standpunkt der Kommission ergibt sich aus einem anderen Fall, mit dem der Gerichtshof 2001 im Zusammenhang mit demselben Gesetz befasst wurde. In der Rechtssache C-452/01 urteilte der Gerichtshof, dass beim Verkauf von Agrarland nicht nur die Interessen von Landwirten mit Grundbesitz zu berücksichtigen seien.

Wieso schadet dies den EU-Bürgern und/oder den EU-Unternehmen
Es ist unmöglich, als Nicht-Landwirt aus einem anderen EU-Land in Vorarlberg ein landwirtschaftliches Grundstück zu erwerben, wenn ein Landwirt von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch macht. Dies gilt ohne angemessene Ausnahmeregelungen sogar dann, wenn ein langfristiger Pächter das Land weiter landwirtschaftlich nutzt.

Da die Bewirtschaftung durch einen Landwirt im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebs in jedem Fall gesichert sein muss, können Grundstückskäufe von Nicht-Landwirten aus anderen EU-Ländern auch dann unmöglich sein, wenn kein Landwirt sein Interesse am Erwerb des Grundstücks anmeldet, es sei denn, die Bewirtschaftung durch einen anderen Landwirt ist gesichert.

Was sind die nächsten Schritte?
Der Gerichtshof der Europäischen Union wird mit dem Fall befasst.

Hintergrund
Die Kommission wurde durch eine Beschwerde auf den Sachverhalt aufmerksam, in der das in Vorarlberg geltende Vorkaufsrecht als diskriminierend bezeichnet wurde. Dieser und andere Aspekte des Vorarlberger Grundverkehrsgesetzes waren Gegenstand des Aufforderungsschreibens der Kommission vom Dezember 2008. Einige Bedenken, einschließlich des Vorwurfs der Diskriminierung, wurden zwar nicht aufrechterhalten, die Kommission ist jedoch nach wie vor der Ansicht, dass das geltende Vorkaufsrecht im Hinblick auf die Ziele unverhältnismäßig ist. Daher richtete die Kommission im November 2009 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die österreichische Regierung. Die Antwort darauf konnte die Bedenken der Kommission jedoch nicht vollständig ausräumen.
     
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