Giftiger Wettercocktail treibt "Wetterbörsen" auf Terminmärkten in die Höhe
Wien (bmlfuw/aiz) - Zuerst Kälte und Nässe sowie nun eine Hitzewelle setzen den Erwartungen
in die Getreideernte 2010 auf der nördlichen Halbkugel - von Europa, der Ukraine bis Russland, die USA und
Kanada - zunehmend zu, so auch in Österreich, wo mit zunehmendem Erntefortschritt die bisher optimistischen
Prognosen immer stärker relativiert werden. Die "Wetterbörsen" an den internationalen Terminmärkten
reagierten darauf prompt mit einer Rallye der Getreidenotierungen, ... nachdem diese zuletzt von ihrem jüngsten
Hoch wegen der frischen Versorgung der Märkte aus der Ernte heraus wieder etwas heruntergekommen waren. Der
November-Futures für den Mahlweizen an der europäischen Leitbörse Euronext in Paris - das ist der
für die neue Ernte 2010 preisbestimmende Liefertermin - schloss am Donnerstag dieser Woche auf einem Elfmonatshoch
bei EUR 148,50 pro t und übersprang heute, Freitag, am Vormittag die 150-Euro-Marke. Die Terminnotierungen
kämpfen dabei aber auch immer wieder mit externen Faktoren wie den unsicheren Aktienmärkten, dem Ölpreis
und Währungsschwankungen.
Näherte sich die EU-Kommission schon Ende der vorigen Woche den vorsichtigeren Ernteprognosen der Landwirte-
und Getreidehandelsverbände COPA und COCERAL von 286 beziehungsweise 284 Mio. t, indem sie ihre Schätzung
praktisch über Nacht von 290 auf 286,7 Mio. t nach unten revidierte, trafen ähnliche Korrekturen auch
aus der Ukraine mit einer Revision von 46 bis 47 Mio. t auf 45 bis 45,5 Mio. t (2009: 46 Mio. t) und dieser Tage
erst aus Russland mit 82 bis 86 Mio. t (2009: 97 Mio. t) anstatt der bisher erhofften 87 Mio. t ein. In den Prognosen
der EU dürften aber die jüngsten Entwicklungen wie die Hitzeschäden noch gar nicht eingerechnet
sein. Kanada legt die nächste Prognose erst im August vor, spricht aber von deutlichen Ausfällen und
in den USA zeigt die Ernte des Qualitätsweizens Hard Red Winter ziemlich durchwachsene Ergebnisse beim Proteingehalt.
Österreich: Raps als erste Frucht 2010 notiert - EUR 290,- bis 300,- erfüllen hohe Erwartung
Mit Raps notierte am Mittwoch dieser Woche die erste Frucht der neuen Ernte 2010 an der Wiener Produktenbörse.
Das Preisband von EUR 290,- bis 300,- pro t entspricht durchaus den zuvor gehegten zuversichtlichen Erwartungen
von Produzenten und Handel. Notierungen für anderes Getreide, vor allem Weizen, werden wohl noch auf sich
warten lassen, weil die Marktbeteiligten ob der großen Unsicherheiten sowohl bei der Qualitätsstreuung
als auch bei den Erträgen noch keine Positionen eingehen wollen. Unter Händlern heißt es nach der
Erstnotierung vom Raps nur: "Sehr schön, aber die EUR 150,- pro t für den Premiumweizen haben wir
damit aber leider noch nicht in der Tasche." Sie spielen damit auf die Faustregel am Markt an, dass eine "normale"
Preisparität zwischen Weizen und Raps bei eins zu zwei liegen sollte.
Mit Erntefortschritt werden optimistische Ertragsaussichten in Österreich relativiert
Die Landwirtschaftskammern legten dieser Tage ihre Ernteprognose für Österreich mit mehr als 5 Mio. t
inklusive Mais vor. Das wären um 4% oder 200.000 t mehr als 2009. Sie stützten ihren Optimismus unter
anderem auf erste Wintergersten-Druschergebnisse auf leichten Schotterstandorten des nördlichen Burgenlandes.
Dort seien Hektarerträge von 50 bis 70 dt eingefahren worden, wo in Trockenjahren nicht einmal die Hälfte
erzielbar war. Mit dem Einsetzen des Gerstendruschs auch auf schwereren Standorten relativieren aber Experten zunehmen
diese Euphorie. So hätte die Wintergerste auf Böden mit höherer Wasseraufnahmekapazität oft
nur enttäuschende 30 dt pro ha gebracht, im Schnitt ist von nicht rekordverdächtigen 50 bis 55 dt pro
ha bei teilweise geringem Hektolitergewicht die Rede. Sommergerste soll ebenfalls unter der Witterung gelitten
haben, wobei sowohl die Ertragsschätzungen als auch die Erwartungen in die Siebung von Braugerste in den letzten
Wochen ständig zurückgenommen wurden.
Handel: Überschuss bei Futtergerste keinesfalls als gegeben anzusehen
Der Handel sieht daher eine neuerliche Überschusssituation bei der Futtergerste keinesfalls als gegeben an.
Damit wird es auch bis zur Preisbildung noch etwas dauern, nachdem dem Vernehmen nach erste Futtergerstenimporte
aus den östlichen Nachbarstaaten auch sehr schnell wieder zu versiegen begonnen hätten, als man auch
dort registriert habe, dass von Futtergerste in Hülle und Fülle keine Rede sein könne.
Giftiger Wettercocktail aus Kälte, Trockenheit, Nässe und Hitze auf der Nordhalbkugel
Pflanzenbauer führen die Ertragsprobleme auf schweren Böden auf Staunässe und dadurch verursachte
Probleme wie taube Ähren zurück, auch die Gefahr von Fusarien- und Mykotoxinbefall steige damit. Sogenannte
Laternenblütigkeit - durchsichtige, leere Ähren - lasse auf schlechte Bedingungen zur Befruchtung der
Pflanzen schließen. Ein Pflanzenbauexperte erklärte aiz.info: "Fast alles Getreide - außer
eigentlich nur Reis - verträgt nasse Füße nicht. Das Wasser drückt außerdem die Luft
aus dem Boden und kühlt diesen zusätzlich ab. Das sind alles abträgliche Faktoren."
"Zurzeit zeigt sich ein ungewöhnlicher Trend zu besseren Erträgen auf leichten Böden und schlechteren
Erträgen auf schwereren Böden. Damit sind Riesenerträge keine sichere Bank mehr, die Ergebnisse
- sowohl in Bezug auf Menge als auch auf Qualität - werden heuer kreuz und quer differenziert ausfallen",
so ein anderer Pflanzenbauer zu aiz.info.
Hitze schmilzt Verzögerung der Ernte ab - Pflanzen unter Stress
Aber auch die Aussicht auf eine zehn bis 14 Tage verzögerte Ernte und damit auf die Gelegenheit für die
Bestände in Ruhe, stressfrei abreifen zu können, schmilzt mit jedem weiteren Hitzetag unter der sengenden
Sonne dahin. Damit liegt nun wieder ein "normaler" Erntezeitpunkt in Griffweite. "Eine zu rasche
Abreife, wie sie beim Anhalten der Hitze über das kommende Wochenende hinaus zu befürchten sein wird,
bringt die Pflanzen unter Stress und ist Erträgen sowie Qualität ebenfalls abträglich", heißt
es. Weizen zum Beispiel würde für eine optimale Abreife Temperaturen von maximal 25°C benötigen.
Pflanzenbauer: Auch Maisbestände haben definitiv schon gelitten
Auch die heimischen Maisbestände hätten definitiv schon gelitten. Zuerst habe die Kälte die Pflänzchen
verspätet und nur bescheiden aufgehen lassen, dann seien sie im wahrsten Sinn des Wortes im Schlamm stecken
geblieben und nun würde die Hitze den geschwächten Pflanzen zu schaffen machen. Es bestehe aber noch
Potenzial, sich über den Sommer zu erholen. Dies spricht ebenfalls nicht für einen überversorgten
heimischen Futtergetreidemarkt und einen Verfall der Maispreise.
In Ungarn gelten rund 4% der heuer ohnehin schon leicht von 1,179 auf 1,151 Mio. ha reduzierten Maisfläche
als Totalverlust, nachdem dort "Land unter" geherrscht hat. Für die Ernte im Herbst herrscht noch
große Unsicherheit. "Es ist nicht eins, ob der Hektarertrag 50, 60 oder 70 dt ausmacht", so ein
ungarischer Pflanzenbauexperte der Getreideproduzentenorganisation. Auch international haben sich die Maisterminmärkte
zuletzt befestigt, unter anderem wegen der regen Nachfrage aus dem Ethanolsektor und auch, weil in den USA der
Zuwachs der Maisfläche gegenüber 2009 - übrigens auf Kosten von einer auf 32 Mio. ha ausgedehnten
Sojafläche - mit 2% geringer als ursprünglich gedacht ausfiel.
Ertragsausfälle reduzieren die Mengenziele der großen Getreideexporteure
Der giftige Wettercocktail des Jahres 2010 ist auch Ursache für die Revision der Ernteaussichten nach unten
in anderen Regionen. In Westeuropa von den britischen Inseln über Frankreich bis Deutschland machen die Ingredienzien
dieses Cocktails eine lange Frühjahrstrockenheit, dann Starkregen und nunmehr die Hitze aus. In Osteuropa
mischen sich Auswinterungen mit langer Frühjahrskälte und letztlich wie bei uns Staunässe und Hitzestress.
Der unabhängige russische Analyst SovEcon relativierte seine jüngst auf 82 bis 86 Mio. t geschmälerte
Ernteprognose für das Riesenreich im Osten Europas sogar insoweit, dass das Anhalten der extremen Hitze über
weitere zwei Wochen sogar einen weiteren Schnitt auf 80 Mio. t nach sich ziehen könne. 2009 erntete Russland
97 Mio. t. Premierminister Vladimir Putin äußerte dieser Tage die Befürchtung, die russische Getreideernte
2010 werde um 3 bis 6 Mio. t hinter einer früheren Regierungsschätzung von 90 bis 93 Mio. t bleiben.
Geringere Ernten bei Exportgrößen wie Russland, Ukraine oder Kanada beziehungsweise Qualitätsprobleme
wie in den USA stellen aber auch die ehrgeizigen Exportziele dieser Ausfuhr-Giganten am Weltmarkt zunehmend in
Frage. So sieht SovEcon die geplanten 20 Mio. t Getreideexport Russlands 2010/11 als nicht mehr erreichbar an und
schraubte die Ukraine ihre Exportambitionen 2010/11 von 22 bis 24 Mio. t auf 21 Mio. t zurück. Das Moskauer
Landwirtschaftsministerium reduzierte am Donnerstag prompt das Getreideexport-Plansoll Russlands für 2010/11
auf 19,8 bis 21 Mio. t nach 21,1 Mio. t in 2009/10.
EU erteilte 2009/10 Exportlizenzen für 23,4 Mio. t Getreide - 2010/11 ähnlich viel erwartet
Laut am Donnerstag von der EU-Kommission veröffentlichter Statistiken hat die Union im abgelaufenen Wirtschaftsjahr
2009/10 (01.07.2009 bis 30.06.2010) Exportlizenzen für 23,379 Mio. t Getreide ausgestellt, an Importen waren
es 7,671 Mio. t. Die Weichweizenlizenzen inklusive Mehlexporten machten davon 19,383 Mio. t aus, wovon in der letzten
Woche Exportlizenzen über 182.000 t Weichweizen und Mehl hinzugekommen waren. Wegen der Ernteausfälle
in Osteuropa und der durch den schwachen Euro günstigen Währungsparität zum US-Dollar, wodurch am
Weltmarkt die Konkurrenzfähigkeit "Euro-Weizen" gegenüber "Dollar-Weizen" steigt,
rechnet die EU auch 2010/11 mit ähnlich starken Exporterfolgen. |