Mehrheit für Bund-Länder-Vereinbarung und Begleitgesetz
Wien (pk) - Die bedarfsorientierte Mindestsicherung hat die erste parlamentarische Hürde genommen.
Der Sozialausschuss des Nationalrats gab am 30.06. grünes Licht für die entsprechende Vereinbarung zwischen
dem Bund und den Ländern sowie eine begleitende Gesetzesnovelle. Damit ist der Weg für einen Beschluss
im Nationalrat noch vor dem Sommer frei. Zustimmung für die bedarfsorientierte Mindestsicherung kam neben
SPÖ und ÖVP auch von den Grünen. FPÖ und BZÖ stimmten nur der Einführung einer Transparenzdatenbank,
nicht aber der Mindestsicherung in der vorliegenden Fassung zu.
Gemäß Bund-Länder-Vereinbarung soll die bedarfsorientierte Mindestsicherung im Wesentlichen die
bisher je nach Bundesland unterschiedlich hohe Sozialhilfe ersetzen. Sie wird auf Basis des Ausgleichszulagenrichtsatzes
für PensionsbezieherInnen abzüglich der Krankenversicherungsbeiträge berechnet und im Jahr 2010
744 € für eine Einzelperson bzw. 1.116 € für Paare betragen. Für Kinder sind Zuschläge von
je 134 € bzw. 112 € (ab dem 4. Kind) vorgesehen. Wer eine Mindestsicherung erhält, ist außerdem automatisch
krankenversichert. Ausbezahlt wird die Mindestsicherung zwölfmal jährlich, der inkludierte Wohnkostenanteil
im Ausmaß von 25 % kann je nach Höhe der tatsächlichen Wohnkosten variieren.
Voraussetzung für den Bezug der Mindestsicherung ist die Arbeitswilligkeit. Ausnahmen gibt es grundsätzlich
nur für Personen, die Kinder unter drei Jahren bzw. pflegebedürftige Angehörige betreuen oder noch
in Ausbildung stehen. Außerdem darf die/der Betroffene keine eigenen Ersparnisse über eine bestimmte
Toleranzgrenze hinaus (derzeit 3.720 €) besitzen. Bei länger als sechsmonatigem Bezug ist überdies vorhandenes
Vermögen zu verwerten. Verweigert jemand trotz schriftlicher Ermahnung die Annahme von Arbeit, kann die Mindestsicherung
gekürzt und unter besonderen Umständen sogar zur Gänze gestrichen werden.
Eine Pflicht zur Rückzahlung bezogener Leistungen ist ausschließlich in Ausnahmefällen, etwa bei
einer namhaften Erbschaft oder bei erschlichenem Bezug, vorgesehen. BezieherInnen der Mindestsicherung werden überdies
in die Arbeitsvermittlung durch das AMS einbezogen.
Begleitend zur Bund-Länder-Vereinbarung sind Änderungen im Arbeitslosenversicherungsrecht in Aussicht
genommen. Sie bringen insbesondere eine Besserstellung für Notstandshilfe-BezieherInnen, die künftig
bei niedriger Versicherungsleistung – ebenso wie BezieherInnen von Arbeitslosengeld – einen Ergänzungsbetrag
erhalten. Weiters darf das Haushaltseinkommen durch die Anrechnung des Partnereinkommens in Hinkunft nicht mehr
unter den Ausgleichszulagenrichtsatz für Ehepaare sinken.
Der Bund verpflichtet sich darüber hinaus, den Krankenversicherungsträgern jene Zusatzkosten zu ersetzen,
die ihnen durch die Einbeziehung der Mindestsicherungs-BezieherInnen in die Krankenversicherung entstehen. Konkret
geht es dabei um die Differenz zwischen den von den Ländern für die Betroffenen entrichteten Versicherungsbeiträgen
und dem tatsächlichen Leistungsaufwand, wobei der Bund von Kosten in der Höhe von 22 Mio. € ausgeht.
Ein entsprechender Abänderungsantrag wurde bei der Abstimmung ebenso mitberücksichtigt wie ein zweiter
Abänderungsantrag, der – da Beschlussfassung und Kundmachung erst nach dem 1. Juli 2010 möglich sein
werden – Anpassungen hinsichtlich des Geltungsbereichs der neuen Regelungen enthält.
In Kraft treten sollen die Bestimmungen über die bedarfsorientierte Mindestsicherung am 1. September 2010.
Voraussetzung ist ein rechtzeitiger Beschluss in den Ländern. Die Vereinbarung ist zudem vorerst bis zum Ende
der laufenden Finanzausgleichsperiode 2013 befristet.
Kontroverse Diskussion über Mindestsicherung und Transparenzdatenbank
In der Diskussion bezeichneten die S-Abgeordneten Franz Riepl und Ulrike Königsberger-Ludwig die Einführung
der bedarfsorientierten Mindestsicherung als wesentlichen Beschluss zur Bekämpfung der Armut in Österreich.
Dass man die BezieherInnen gleichzeitig wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren versuche, sei ein besonders wichtiger
Schritt, stand für beide Abgeordnete fest. Die Kritik, die einige Parteien an der bedarfsorientierten Mindestsicherung
üben, bezeichnete Riepl als unberechtigt, da es sich keineswegs um eine "soziale Hängematte"
handle. Solche Formulierungen seien nur dazu angetan, Neid zu schüren und politisches Kleingeld zu wechseln
– eine Auffassung, der sich auch Bundesminister Rudolf Hundstorfer anschloss. Vom Einsetzen positiver Effekte durch
die bedarfsorientierte Mindestsicherung zeigte sich auch Abgeordneter Johann Hechtl (S) überzeugt.
Kritik an Umsetzung und Konzeption der Mindestsicherung übten FPÖ, BZÖ und Grüne
G-Abgeordneter Karl Öllinger kündigte zwar die Zustimmung seiner Fraktion an, doch gebe es hinsichtlich
der Höhe der Zahlungen einiges zu beanstanden. Er brachte deshalb auch einen Abänderungsantrag betreffend
Anhebung des Satzes für Kinder auf 141,12 € ein. Dass die Mindestsicherung keine großen finanziellen
Sprünge erlaube, stand auch für seine Fraktionskollegin Birgit Schatz fest. Sie rechnete etwa vor, dass
dem BezieherInnenkreis nur 1,47 € für eine Mahlzeit zur Verfügung stehen. Größere Investitionen
in die Verteilungspolitik seien jedoch sinnvoll, zumal sie die Prosperität einer Gesellschaft – wie Studien
belegten – förderten. Kritik übte Schatz auch an der Tatsache, dass Frauen in Lebensgemeinschaften keinen
selbstständigen Anspruch auf bedarfsorientierte Mindestsicherung haben, weil das Partnereinkommen in die Berechnung
einbezogen werde – ein Umstand, den auch die FPÖ nicht gut heißt. Abgeordneter Werner Neubauer (F) brachte
daher einen entsprechenden Entschließungsantrag ( 359/A[E]) seiner Fraktion ein. Abgeordneter Karl Öllinger
kritisierte außerdem, dass die Freibetragsgrenzen nicht großzügig genug bemessen wurden, was dem
Konzept der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zuwiderlaufe – eine Auffassung, der sich auch B-Abgeordnete
Ursula Haubner anschloss.
Die Grünen erkennen aber auch einige Vorteile, die die Einführung der bedarfsorientierten Mindestsicherung
in der vorliegenden Form mit sich bringt. Für den BezieherInnenkreis sei schließlich jeder Euro von
Bedeutung, hielt Öllinger fest. Dass die BezieherInnen der bedarfsorientierten Mindestsicherung außerdem
eine E-Card erhielten – eine Punkt, auf dessen Umsetzung die Grünen in einem Entschließungsantrag (
626/A[E]) gepocht hatten – müsse als großer Fortschritt bezeichnet werden.
Auch Gesundheitsminister Alois Stöger zeigte sich erfreut darüber, dass es im Zuge der bedarfsorientierten
Mindestsicherung gelungen ist, den Anspruch von SozialhilfeempfängerInnen auf eine gesetzliche Krankenversicherung
zu verankern. Die Mehrkosten, die den Krankenkassen dadurch entstehen, werden vom Bund übernommen, sodass
hier keine zusätzlichen Belastungen auf die Krankenversicherungsträger zukommen, schloss er.
Diese sozialrechtliche Verbesserung würdigte auch B-Abgeordnete Ursula Haubner, wenngleich sie sich sonst
kritisch zur bedarfsorientierten Mindestsicherung äußerte. Ihre Fraktion sehe zu wenig Anreize für
die BezieherInnen, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, zumal der Unterschied zum durchschnittlichen Einkommen
in weniger qualifizierten Tätigkeiten nicht deutlich genug ausfalle. Wie man Arbeitswilligkeit messbar machen
wolle, gehe für sie aus dem Vorliegenden nicht eindeutig hervor. Ihr Fraktionskollege Sigisbert Dolinschek
kritisierte außerdem die hohen Mehrkosten, die dem Bund durch die Mindestsicherung entstehen. Auch werde
seiner Auffassung nach der Lebenssituation behinderter Menschen damit nicht ausreichend Rechnung getragen. Das
BZÖ nehme sich dieses Themas an und habe deshalb einen Entschließungsantrag betreffend adäquate
sozialrechtliche Absicherung von behinderten Menschen in Beschäftigungstherapie ( 1152/A[E]) eingebracht.
Der bedarfsorientierten Mindestsicherung werde man nicht zustimmen.
Kritik an den beiden Vorlagen übten auch Abgeordnete der FPÖ. Armutsprävention sei zwar ein wichtiges
Anliegen, doch halte die Mindestsicherung in keiner Weise, was sie verspreche, stand für F-Mandatar Herbert
Kickl fest. Wie das BZÖ fordere auch seine Fraktion größere Unterschiede zwischen Mindestlohn und
Mindestsicherung, da man andernfalls eine ungerechte Situation gegenüber den "Leistungsträgern"
schaffe. Kickl warnte außerdem vor der Öffnung des Arbeitsmarkts für Personen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten,
die ebenfalls Anspruch auf dieses "arbeitsfreie Einkommen" erheben könnten. Die Kontrolle durch
das ohnehin schon überlastete AMS sei "zahnlos", das Kriterium der Zumutbarkeit leicht zu umgehen,
schloss er. Für seinen Fraktionskollegen Andreas Karlsböck enthält das geplante System außerdem
zu wenig Anreize, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, denn: "Wer Geld bekommt, um nicht zu arbeiten, der
arbeitet auch nicht". Es gelte eher jene zu unterstützen, die trotz Erwerbstätigkeit von Armut bedroht
sind, zeigte sich der Redner überzeugt.
Abgeordneter August Wöginger (V) sprach von einem klaren Bekenntnis der ÖVP zur bedarfsorientierten Mindestsicherung,
wenngleich man diese mit der Einführung einer Transparenzdatenbank gekoppelt sehen wolle. Bezahle man 12 Mal
744 € aus, bleibe auch eine klare Differenz zum Erwerbslohn bestehen, die durchaus wichtig sei. Vom Sozialminister
wollte er wissen, inwiefern eine Evaluierung in Bezug auf die Anzahl der Menschen, die von der Mindestsicherung
wieder in Erwerbstätigkeit gekommen sind, angestrebt werde.
Bundesminister Rudolf Hundstorfer zeigte sich erfreut darüber, dass es im Zuge der Mindestsicherung gelungen
ist, einen österreichweit einheitlichen Grundbetrag für die Sozialhilfe zu schaffen. Dem Vorwurf, die
Mindestsicherung sei eine "soziale Hängematte", hielt er entgegen, dass es sich nur um eine Vereinheitlichung
der Sozialhilfe handle und die Zutrittsschwelle so hoch liege, dass Missbrauch kaum vorkommen werde. Die Zahl der
SozialhilfeempfängerInnen liege seit 1990 konstant bei rund 17.000 Personen, wobei diese Menschen nach einer
Verbesserung ihrer Situation strebten. Nur weil 1 % Missbrauch betreiben wolle, dürfe man nicht die Gesamtpopulation
unter Generalverdacht stellen. Die Höhe der Mindestsicherung sei außerdem so bemessen, dass es deutliche
Unterschiede zu den Kollektivvertragslöhnen gebe. Anreize für Zuwanderer sah Hundstorfer nicht. Wäre
dies der Fall, hätten Oberösterreich und die Steiermark, die bereits dieses Niveau bei der Sozialhilfe
erreicht hatten, deutliche Migrationsbewegungen spüren müssen, schloss er.
Die von den Koalitionsparteien parallel zur Mindestsicherung erzielte Einigung über die Einrichtung einer
"Transparenzdatenbank" fand ihren Ausdruck in einer vom Sozialausschuss gefassten Entschließung.
Demnach werde die Datenbank, die sämtliche Sozialtransfers und andere öffentliche Subventionen umfassen
soll, bis Anfang 2011 umgesetzt.
Die Transparenzdatenbank wurde von allen Fraktionen mit Ausnahme der Grünen begrüßt, die sie als
nicht zielführend bewerteten. Abgeordneter Karl Öllinger (G) bemängelte etwa, dass das geplante
Internet-Portal nicht die richtige Zielgruppe anspreche.
Für V-Abgeordneten August Wöginger stand hingegen fest, dass es einer solchen Datenbank bedürfe,
wolle man Fairness gegenüber jenen, die die "Steuertöpfe füllen", erreichen. Dass man
einen Überblick über alle öffentlichen Leistungen erhalte, bringe außerdem einen Prozess der
Bewusstseinsbildung in Gang, zeigte er sich überzeugt.
Abgeordnete Ursula Haubner (B) bezeichnete die Junktimierung von Mindestsicherung und Transparenzdatenbank als
nicht günstig, doch tue man mit der Forderung nach mehr Transparenz einen Schritt in die richtige Richtung,
weshalb sich das BZÖ der Entschließung von SPÖ und ÖVP anschließen werde. Ähnlich
argumentierte auch F-Abgeordneter Herbert Kickl, für den feststand, dass es eines solchen Steuerungsinstruments
dringend bedürfe. Geht es nach ihm sollten aber auch Parteispenden transparent und die Bezüge von Zuwanderern
in der Datenbank erkennbar gemacht werden.
Das Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2010 ( 628 d.B.) wurde unter Berücksichtigung des erwähnten
S-V-Abänderungsantrags und eines Zusatzantrags teils einstimmig, teils mit wechselnden Mehrheiten angenommen.
Der zu dieser Vorlage eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Leistungstransparenz von staatlichen Leistungen
wurde mit S-V-F-B-Mehrheit angenommen.
Mitverhandelt mit den beiden Regierungsvorlagen wurde aber auch eine Reihe von Oppositionsanträgen. Im Konkreten
ging es dabei etwa um die Forderung der Grünen nach einer existenzsichernden Grundsicherung und einem gesetzlichen
Mindestlohn sowie andere Maßnahmen gegen Armut und soziale Ausgrenzung. Außerdem drängen die Grünen
auf eine Anhebung des Arbeitslosengeldes durch eine höhere Nettoersatzrate und durch eine Valorisierung der
Leistungsbezüge sowie auf höhere Freigrenzen gemäß Notstandshilfeverordnung. Diese Anträge
wurden - mit Ausnahme des Antrags 12/A, der abgelehnt, und des Antrags 626/A[E], der mit der Regierungsvorlage
677 d.B. mitbehandelt wurde – vertagt.
Die FPÖ trat in ihren Initiativen für eine Bevorzugung von Eltern am Arbeitsmarkt, die Wiedereinführung
des Entgeltfortzahlungs-Fonds, eine bessere Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bei der Pensionsbemessung,
eine jährliche Indexanpassung des Pflegegelds und Änderungen bei der Anrechnung des Partnereinkommens
im Bereich der Notstandshilfe ein. Ihre Anträge wurden jedoch ebenfalls vertagt.
Die Forderung des BZÖ nach einer besseren arbeits- und sozialrechtlichen Absicherung von Pflegeeltern wurde
abgelehnt, der Antrag betreffend eine adäquate sozialversicherungsrechtliche Absicherung von behinderten Menschen
in Beschäftigungstherapie vertagt |