Alpenkönig und Menschenfeind   

erstellt am
11. 08. 10

von Ferdinand Raimund - Eine Produktion des Wiener Kindertheaters - Für Erwachsene und Kinder ab 6 Jahren
Wien (wienerkindertheater) - "Alpenkönig und Menschenfeind" ist ein unterhaltsames Psychogramm des cholerischen "Seelenkranken" Rappelkopf, der in paranoider und überheblicher Verblendung seine Umwelt tyrannisiert. In der Verpackung des Zaubermärchens fängt Ferdinand Raimund die Diskrepanz biedermeierlicher Idylle, Glückseligkeit und Harmoniestrebens ein und spiegelt kritisch die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit. Sind die Eierschalen der Epoche abgestreift, bleiben allgemeingültige Themen: Schein und Wahrheit in der Selbst- und Umweltwahrnehmung, Willkür und Ausnutzung ökonomischer Abhängigkeiten. Raimunds Text hat besonderen Wortwitz und ist für die jungen Darstellerinnen und Darsteller im häufigen Wechsel zum Beiseite-Sprechen eine Herausforderung an ihre komischen Talente. Der Witz der ewigen Wiederholung in der Rolle des Habakuk oder die Entladung der ungebremsten Wut Rappelkopfs sind den Kindern ein schauspielerisches Vergnügen. Sylvia Rotter und ihr Team erarbeiteten das Stück inhaltlich und szenisch mit den ca. 120 Kindern und Jugendlichen des Wiener Kindertheaters im Zuge der wöchentlichen Workshops während des vergangenen Schulsemesters. Bei den Vorstellungen werden die Rollen in jeweils wechselnder Besetzung gespielt, sodass alle ihren Auftritt bekommen!

Die Figur des Rappelkopf ist im Sog von Misstrauen und Verdächtigung gefangen. Auch sein Verhältnis zu Geld ist gestört: Es war indirekt durch den Betrug eines Geschäftspartners Auslöser seines Menschenhasses, all sein Glück macht Rappelkopf von seinem Vermögensstand abhängig und Geld ist das einzige, worauf er sich noch verlassen will. Als Opfer seiner eigenen Panikmache treibt er seine Selbstentfremdung und Abkapselung von seinem Umfeld mit der Flucht in den Wald - das Zauberreich des Alpenkönigs - durch die Isolation in eine Phantasiewelt auf die Spitze.

Vieles, was uns heute behelligt und das Gemeinwesen beeinträchtigt, ist in der Figur des Rappelkopf angelegt und wird unter technologischen, ökonomischen und politischen Bedingungen der Gegenwart realisiert. Im Stück lösen sich die Konflikte harmonisch, in der Tradition des Zaubermärchens: Der magische "Ego-Trip" bringt die versprochene Selbsterkenntnis und führt die Familie wieder im Glück zusammen. Der Anstoß zur Selbstreflexion soll einen Weg zur verantwortungsbewussten Gemeinschaftlichkeit und zur sensiblen Wahrnehmung des Menschlichen zeigen.

"Alpenkönig und Menschenfeind" - Inhalt
Astragalus, der Alpenkönig, blickt von seinem Alpental mitleidsvoll auf das Treiben der Menschen hinab. Er gibt sich als guter Geist zu erkennen, der besonders "Verirrte" zu seinem Erkenntnistempel leiten will. Malchen, die Tochter des Herrn von Rappelkopf, ist in den Wald gelaufen, um dort ihren geliebten August, der aus Italien zurückkehrt, wieder zu sehen. Die Wiedersehensfreude von Malchen und August ist aber getrübt, da ihr Vater nach wir vor gegen ihre Heirat ist. Der Alpenkönig erscheint und verspricht den unglücklich Verliebten zu helfen und sie mit seinem Schutz zu beschenken.

Rappelkopf entwickelt eine immer größer werdende krankhafte Wahnvorstellung von den Menschen um ihn herum. Sein glühender Menschenhass nimmt zu. Mit Verleumdungen und aggressiven Zornausbrüchen treibt er seine Familie und seine Bediensteten zur Verzweiflung. Nach einem vermeintlichen Mordkomplott (der harmlose Habakuk wollte Vogerlsalat ausstechen) flieht Rappelkopf in den Wald. Dort vertreibt er herzlos eine arme Köhlerfamilie aus ihrer Hütte, um alleine zu bleiben - für immer. Da tritt Astragalus, der Alpenkönig, auf den Plan, um ihn zu kurieren. In Todesangst willigt Rappelkopf in das Experiment, das sein Herz wieder zu den Menschen führen sollte, ein.

Ein Exempel wird statuiert. Astragalus will Rappelkopf einen Seelenspiegel vorhalten und vollzieht dies, indem er Rappelkopf in dessen Schwager Silberkern verwandelt. Er selbst nimmt Rappelkopfs Gestalt an. Rappelkopf beobachtet sich und sein widerwärtiges Verhalten wie in einem Spiegel und fängt an, sich selbst zu hassen. Das "Spiegel-Experiment" und die Lehre "Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung" ermöglichen, dass Rappelkopf sich selbst als Menschenfeind pensioniert, erkennt, wer er wirklich ist, und schließlich ein glückliches Ende.

Das Wiener Kindertheater und Schule für das Leben
Das Wiener Kindertheater wurde 1994 von Sylvia Rotter gegründet, um Kindern und Jugendlichen im Alter von 5 bis 18 Jahren einen kreativen Zugang zur Weltliteratur zu ermöglichen und ihnen auf spielerischem Wege die magische Welt des Theaters und der Sprache näher zu bringen. Ziel der Arbeit ist es, den Kindern einen Zugang zu den Theaterstücken zu vermitteln, sie mit der (Kunst-) Sprache vertraut zu machen und an die Inhalte heranzuführen, indem sie lernen, die im Stück behandelten Themen, Konflikte, Emotionen auf ihre eigene Realität zu beziehen, in ihre eigenen Lebenszusammenhänge zu übertragen. Es soll eine wichtige Alternative zu sogenannten "künstlichen Unterhaltungsparadiesen" geboten werden und einen Zugang ermöglichen, der nicht aus einer passiven Berieselung besteht, sondern der es den Kindern und Jugendlichen gestattet, selbst aktiv und kreativ zu sein.

Sylvia Rotter hat eine eigene Methode, deren Erfolg durch verschiedene Studien bestätigt wurde, entwickelt, um junge Menschen verschiedener sozialer Schichten, verschiedenen Alters und verschiedener Nationalitäten durch eine besondere Mischung aus Spielen, Sprachübungen, Improvisation, Rhythmus, Tanz und mittels Texten der Weltliteratur zu kreativen und begeisterungsfähigen, vor allem aber auch zu fühlenden Menschen zu machen. Auf Initiative von Sylvia Rotter entstand weiters die Bildungsinitiative "Schule für das Leben", die das wichtige Anliegen verfolgt, die Auswirkungen der Theaterarbeit mit Kindern wissenschaftlich zu überprüfen, die Methodik auf Basis dieser Erkenntnisse weiterzuentwickeln und diese an Lehrerinnen und Lehrer zu vermitteln, um einen Beitrag für pädagogisch sinnvolle Maßnahmen im Schulunterricht zu leisten. Soeben ist das pädagogische Praxisbuch "Vorhang auf fürs Leben!" erschienen, in dem die besten Übungen vorgestellt, erklärt und wissenschaftlich fundiert werden.

Neben den laufenden Workshops und Lehrerfortbildungen sind Sylvia Rotter und ihr Team stets sehr engagiert. Die nächsten Aktivitäten sind: die Gründung der 3. rumänischen Zweigstelle des Wiener Kindertheaters in Kluj (Klausenburg) und die Fortführung der Bildungsinitiative "Schule für das Leben" mit einer wissenschaftlichen Studie im Rahmen eines Lehrlings-Projektes mit der Theaterproduktion von "Romeo und Julia" in Kooperation mit Felix Mitterer.
     
Informationen: http://www.wienerkindertheater.com    
     
zurück