… und führt den bilateralen Weg fort
Bern (evd) - Die Schweiz soll ihr Verhältnis zur EU weiterhin auf der Grundlage von bilateralen
sektoriellen Abkommen gestalten. Dies hat der Bundesrat an seiner Europaklausur vom Mittwoch entschieden, an der
er auch die Mandate für Verhandlungen über eine Zusammenarbeit im Bereich Chemikalienkontrolle und über
die Kooperation von Wettbewerbsbehörden verabschiedet hat. Um mit der EU Lösungsansätze für
institutionelle Fragen auszuarbeiten, setzt der Bundesrat eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der Departemente ein.
Im Rahmen seiner Europaklausur hat der Bundesrat am Mittwoch verschiedene Szenarien und Instrumente für den
weiteren europapolitischen Weg der Schweiz erörtert. Grundlage seiner Diskussion war der Entwurf zum Bericht,
der in Beantwortung des Postulats Markwalder vom 10. Juni 2009 «Europapolitik. Evaluation, Prioritäten,
Sofortmassnahmen und nächste Integrationsschritte» (09.3560) verfasst wird.
Der Bundesrat ist der Überzeugung, dass der bilaterale Weg aussenpolitisch gangbar ist und im gegenwärtigen
Zeitpunkt das innenpolitisch am breitesten abgestützte Instrument der schweizerischen Europapolitik bleibt.
Zwar ist die Fortsetzung des bilateralen Wegs schwieriger geworden. So vertritt die EU in zunehmendem Mass den
Standpunkt, dass die Abkommen mit der Schweiz auf der ausnahmslosen Übernahme ihres massgeblichen Rechtsbestands
und dessen Weiterentwicklung beruhen müssten. Um Lösungen, die vom EU-Rechtsbestand abweichen, muss deshalb
in bilateralen Verhandlungen immer wieder hart gerungen werden. Dennoch haben nach Einschätzung des Bundesrates
die Schweiz und die EU angesichts ihrer äusserst engen Beziehung ein gemeinsames Interesse, mittels spezifischer
Abkommen in zahlreichen Bereichen Lösungen zu finden. Der bilaterale Weg ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt
aus Sicht des Bundesrates am besten geeignet, die notwendige Konvergenz der Interessen der Schweiz und der EU sicherzustellen.
Bei der Weiterführung des bilateralen Wegs orientiert sich der Bundesrat an folgenden Eckpunkten:
- Die Souveränität beider Parteien und das gute Funktionieren ihrer Institutionen werden gegenseitig
respektiert. Die verfassungsmässigen Entscheidverfahren der Schweiz werden eingehalten. Namentlich eine automatische
Übernahme neuer EU-Rechtsentwicklungen in den von den Abkommen geregelten Bereichen ist für die Schweiz
ausgeschlossen;
- institutionelle Mechanismen sollen die Umsetzung und Weiterentwicklung der Abkommen erleichtern;
- das Gleichgewicht der Interessen beider Parteien bleibt gewahrt, insbesondere durch die Vermeidung neuer Zugangshürden
zu den Märkten sowie durch gleichwertige Rahmenbedingungen für beide Partner;
- die Schweiz leistet einen Beitrag an die Lastenteilung bei der Bewältigung der gemeinsamen Herausforderungen
in Europa. In diesem Rahmen führt sie ihre Politik der Friedenssicherung, der nachhaltigen Lösungen (bspw.
in der Verkehrspolitik) sowie der Bewahrung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Stabilisierung weiter.
Der Bundesrat ist der Überzeugung, dass bilateral-sektorielle Abkommen den Interessen beider Seiten Rechnung
tragen können und die Beziehungen insgesamt bereichern. Er ist sich aber auch bewusst, dass die Tragfähigkeit
des Weges im Lichte der Verhandlungsergebnisse beurteilt werden muss. Selbstverständlich werden die anderen
europapolitischen Instrumente wie bisher einer ständigen Überprüfung unterzogen, damit je nach Entwicklung
Anpassungen vorgenommen werden können.
Neue Verhandlungsdossiers
An seiner Klausur hat der Bundesrat gestern die Verhandlungsmandate für zwei neue Dossiers verabschiedet:
- REACH: Die Aushandlung eines Abkommens soll die Zusammenarbeit der Schweiz mit der EU im Bereich Chemikalienkontrolle
ermöglichen. Seit 2007 ist in der EU die Chemikalienverordnung REACH in Kraft, die zum Ziel hat, die Verwendung
von Chemikalien für Mensch und Umwelt sicherer zu machen. Neue Registrierungsverfahren führten seither
zu substanziellen Unterschieden zwischen dem Schweizer Chemikalienrecht und der Chemikaliengesetzgebung der EU.
Dies könnte für die Schweiz erhebliche Handelshemmnisse zur Folge haben.
- Kooperation zwischen Wettbewerbsbehörden: Verhandlungen in Hinsicht auf eine vertragliche Regelung zum
Austausch vertraulicher Informationen durch die Wettbewerbsbehörden der Schweiz und der EU, die in den jeweiligen
Wettbewerbsverfahren verwendet werden können.
Beide Verhandlungsmandate stehen noch unter dem Vorbehalt der Konsultierung der Aussenpolitischen Kommissionen
des National- und Ständerats sowie der Kantone.
Arbeitsgruppe und beratende Begleitgruppe für institutionelle Fragen
Derzeit ist die Schweiz in den laufenden und bevorstehenden Verhandlungen mit Forderungen der EU bezüglich
des institutionellen Funktionierens der Abkommen konfrontiert. Dies betrifft unter anderem die Überprüfung
der Umsetzung bilateraler Abkommen in der EU und in der Schweiz, die Frage der Entscheidinstanz bei Unstimmigkeiten
oder das Verfahren bei der Anpassung der Verträge an Weiterentwicklungen des relevanten EU-Acquis. Am 19.
Juli 2010 hat Bundespräsidentin Doris Leuthard in Brüssel mit EU-Kommissionspräsident José
Manuel Barroso die Einsetzung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe vereinbart, die zu den institutionellen Fragen Lösungsansätze
ausarbeiten soll. An seiner Klausur hat der Bundesrat gestern entschieden, dass in dieser Arbeitsgruppe Vertreter
der Departemente Einsitz nehmen werden.
Der Bundesrat hat ausserdem das EFD beauftragt, in Zusammenarbeit mit dem EDA und EVD mit der EU Kontakt aufzunehmen,
um die Voraussetzungen und Bedingungen für die Aufnahme eines allfälligen Dialoges betreffend den EU-Verhaltenskodex
über die Unternehmensbesteuerung zu diskutieren.
Der Bundesrat wird die Gelegenheit der Von-Wattenwyl-Gespräche vom 3. September 2010 benutzen, um seine Einschätzung
über den gegenwärtigen und künftigen Kurs der Europapolitik zu erläutern und zu diskutieren.
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