Studie von US-Wirtschaftsforschern verdeutlicht EU-Vorreiterrolle
Wien (bmlfuw/aiz) - Laut Berechnungen amerikanischer Wirtschaftsforscher hat die Europäische
Union in der Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO) bisher die umfangreichsten Zugeständnisse gemacht,
insbesondere in der Landwirtschaft. Veröffentlicht haben Gary Clyde Hufbauer, Jeffrey Schott und Woan Foong
Wong vom Washingtoner Peterson Institute für International Economics (IIE) ihre Studienergebnisse in ihrem
neuen Buch mit dem Titel "Figuring Out the Doha Round", wie Agra-Europe in der aktuellen Ausgabe berichtet.
Demnach steht die Europäische Union nach derzeitigem Verhandlungsstand für 64% aller Zugeständnisse
im Agrarbereich, die USA steuern hingegen nur 6,2% bei. Im Gegenzug könnte die EU nur 8% der aus dem forcierten
Freihandel zu erwartenden Profite einstreichen, die USA immerhin 13,9%. Zu den Hauptgewinnern würden den Forschungsergebnissen
zufolge eher die großen Schwellenländer zählen. "Brasilien profitiert von der Liberalisierung
der anderen, während es seine eigenen Handelshürden stehen lässt", heißt es in dem Buch.
Die Europäer sind somit laut den Wissenschaftern nicht schuld, dass die Doha-Runde derzeit noch weit von einem
Abschluss entfernt ist.
Mehr Zugeständnisse als Gewinne für EU errechnet
Bei den EU-Zugeständnissen im Agrarbereich fallen demnach weniger die angebotenen Zollsenkungen als
andere Offerte wie die Ausweitung zollermäßigter Einfuhrkontingente, die Abschaffung von Exportbeihilfen
und der Abbau der heimischen Unterstützung ins Gewicht. Die EU-Zollsenkungen schlagen sich den Berechnungen
zufolge mit USD 2,1 Mrd. (EUR 1,6 Mrd.) an Warenwert zu Buche, die anderen Zugeständnisse mit USD 12,4 Mrd.
(EUR 9,5 Mrd.). Die Höhe dieses Entgegenkommens liegt laut den Forschern jedoch auch am hohen Unterstützungsniveau
bei diversen Produkten. Die Vorteile für die europäische Landwirtschaft durch die Liberalisierung werden
hingegen auf lediglich USD 1,8 Mrd. (EUR 1,4 Mrd.) geschätzt. Ebenso würde die EU im Bereich des nicht-agrarischen
Marktzugangs (NAMA), in den Industriegüter, aber auch Fisch, Forsterzeugnisse und Bergbauprodukte fallen,
mehr Zugeständnisse (USD 10 Mrd.) als Vorteile (USD 7,1 Mrd.) verbuchen.
Doch nicht nur den europäischen, sondern auch den amerikanischen und japanischen Bauern würde im Falle
eines Doha-Runden-Abschlusses einiges abverlangt werden. Dem IIE zufolge müsste Japan das durchschnittlich
gewichtete Agrarzollniveau von derzeit 10,4% auf 4,5% absenken. China wäre hingegen lediglich aufgefordert,
seines um 0,7 Prozentpunkte auf 8,9% zu verringern.
Schwellenländer wie Brasilien als Hauptprofiteure
Laut den amerikanischen Forschern kämen nach derzeitigem Stand der Dinge 93% der Zugeständnisse im Landwirtschaftsbereich
aus den Industriestaaten, der Rest entfiele auf Schwellen- und Entwicklungsländer, zu denen etwa auch Agrarexportriesen
wie Brasilien und Argentinien zählen. Allein Brasilien, das keinerlei Entgegenkommen in der Landwirtschaft
zeigen müsste, flössen im Falle eines Abschlusses 10% der Gewinne aus der Marktliberalisierung im Agrarbereich
zu.
Weltweiter Handel und BIP würden zulegen
Dennoch betonen die Wissenschafter des IIE, das für seine positive Haltung zur Handelsliberalisierung bekannt
ist, dass allein die Geschäfte zwischen den 22 wichtigsten Handelsblöcken und -staaten durch eine Umsetzung
der vorliegenden WTO-Angebote im Agrar- und Industriesektor um USD 67,7 Mrd. (EUR 52,0 Mrd.) zulegen würden.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dieser Länder würde durchschnittlich um 0,5% zulegen. Für Industriestaaten
ergebe sich ein BIP-Wachstum von 0,3% und für Schwellen- und Entwicklungsländer von 1,3%.
Nach der Sommerpause wollen die Unterhändler in Genf jedenfalls versuchen, den Gesprächen wieder mehr
Schwung zu verleihen. Zu diesem Zweck sollen Wirtschaftsdaten als bessere Bemessungsgrundlage präsentiert
werden, wozu auch Angaben zum Wert der landwirtschaftlichen Produktion zählen, die derzeit angeblich noch
sehr lückenhaft sind. Der Chef der Agrarverhandlungen, der Neuseeländer David Walker, möchte demnächst
insbesondere die Gespräche zur speziellen Schutzklausel für Agrarprodukte (SSM) vorantreiben. Bekanntermaßen
erwies sich ja Ende 2008 ein Streit zwischen Indien und den USA über Handelsbarrieren zugunsten von Kleinbauern,
die Neu-Delhi mithilfe der SSM beibehalten möchte, als Hauptknackpunkt.
Bisher keine Fortschritte bei Dienstleistungen
Ein Abbruch der Doha-Runde wäre nach Meinung der amerikanischen Forscher ein großer Fehler, der zu einer
Welle von bilateralen Freihandelsabkommen führen würde. Die G-20-Gruppe der größten Industrienationen
sei nun am Zug, neue Impulse zu setzen. Insbesondere im Dienstleistungsbereich habe es in der Doha-Runde bisher
praktisch keine Fortschritte gegeben. Die Experten halten auch mehr Marktöffnung bei Chemikalien, elektronischen
Gütern und Umwelttechnik für möglich. Derzeit sei die Runde jedenfalls nicht ausgewogen und zu wenig
ehrgeizig.
Brasilien, Indien und China sollten den IIE-Experten zufolge Angebote im Dienstleistungsbereich machen, während
die EU striktere Limits für ihre Unterstützung an Landwirte offerieren sollte und das scheinbar trotz
der bereits erfolgten Zugeständnisse. Die USA sehen die amerikanischen Forscher ebenfalls bei der Einschränkung
der Agrarbeihilfen in der Pflicht. Zudem sollten die Vereinigten Staaten demnach ihre umstrittene Unterstützung
der Baumwoll-Produktion transparent machen, die die Entwicklungsländer seit langer Zeit kritisieren. Es ist
allerdings mehr als fraglich, ob Washington bereit ist, das nötige Entgegenkommen zu zeigen. Der US-Handelsbeauftragte
Ron Kirk unterlässt es jedenfalls nicht, in erster Linie wiederholt auf die Bringschuld von China, Brasilien
und Indien hinzuweisen. |