Wien (wifo) - Dass Krisen unserem Wirtschaftssystem immanent sind, hat ihre aktuellste Ausprägung eindrucksvoll
in Erinnerung gerufen. Weil Finanzkrisen häufiger und intensiver geworden sind, müssen nun möglichst
rasch umfassende Maßnahmen zur Beseitigung der tieferen Ursachen der Krise getroffen werden. Zentraler Ansatzpunkt
dafür ist eine Reform der Finanzmärkte und ihres Regulierungsrahmens. Der politische Prozess zur globalen
Reform der Finanzmärkte wird von der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G 20)
vorangetrieben. In der Europäischen Union erfolgt die Umsetzung nach zwischen allen Mitgliedsländern
gemeinsam abgestimmten Vorgaben. Dabei sind insbesondere drei umfassende Bereiche von Bedeutung: (i) eine neue
Qualität für die makroprudenzielle Perspektive des Finanzmarktgeschehens, (ii) eine neue institutionelle
Struktur der Finanzmarktaufsicht in Europa sowie (iii) Maßnahmen auf der mikroprudenziellen Ebene. Generelles
Ziel aller Reformbemühungen ist die Schaffung eines leistungsfähigen, aber belastbareren und krisenfesteren
Systems. Dazu müssen sowohl die Widerstandsfähigkeit der einzelnen Bank als auch des Systems als Ganzes
gestärkt werden. Da sich Regulierung und Aufsicht stets in einem "interessenspolitischen Umfeld"
bewegen, bleibt abzuwarten, inwieweit die schlussendlich umgesetzten Reformen von diesen Einflüssen geprägt
sein werden. Eine finale Lösung der Krisenproblematik für alle Zukunft wird es trotzdem nicht geben können.
Vielmehr werden Regulierung und Aufsicht immer wieder an Veränderungen anzupassen sein.
Die Krise . Anstoß zu neuen Rahmenbedingungen
Angesichts der massiven Konsequenzen von Finanzkrisen für die Realwirtschaft ist die Forderung nach
strengerer und besserer Regulierung berechtigt und verständlich. Generelles Ziel aller Reformbemühungen
muss die Schaffung eines leistungsfähigen, aber belastbareren und krisenfesteren Systems sein. Die Erfahrungen
der Krise haben gezeigt, dass dazu sowohl die Widerstandsfähigkeit der einzelnen Bank als auch des Systems
als Ganzes gestärkt werden müssen. Nur so lässt sich verhindern, dass schlussendlich massive negative
Auswirkungen auf Wachstum, Beschäftigung und Vermögenswerte zu verzeichnen sind. Diese allgemeinen Zielsetzungen
wurden auf verschiedenen Treffen der G 20 in Washington, London und Pittsburgh mit einer umfangreichen Agenda für
die Reform der Finanzmarktregulierung unterlegt. Mit der Umsetzung wurden das Financial Stability Board (FSB) und
dessen Fachausschüsse beauftragt. Die Verantwortung für die Reform der globalen Aufsichtsregeln
obliegt dem Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht.
Weiterentwicklung der internationalen und Europäischen Finanz- und Aufsichtsarchitektur
Entsprechend dem heute umfassend globalen Charakter von Finanzmärkten und Finanzinstitutionen sind
die Konsequenzen aus der globalen Finanzkrise auf internationaler Ebene zu ziehen. Es gilt regulatorische Lücken
weltweit zu schließen und global verbindliche Spielregeln und Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Mit einer
umfassenden internationalen Agenda als globale Antwort auf die Krise haben sich die Regierungen und Aufsichtsbehörden
ehrgeizige Ziele gesetzt. Angesichts der erheblichenfinanziellen Belastungen und Vermögensverluste, die die
Finanzkrise verursacht hat, gilt es nun eine zügige und konsistente Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen
sicherzustellen.
Die Europäische Kommission legte im September 2009, auf Basis einer Studie einer Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz
des ehemaligen IWF-Präsidenten Jacques de Larosière Entwürfe zur Behebung der Schwächen auf
Ebene der Makro- als auch Mikroaufsicht vor. Der Legislativprozess in der EU soll im Jahr 2010 abgeschlossen werden.
Eine makroprudenzielle Perspektive als wichtige Ergänzung Einen Meilenstein auf dem Weg zu einer künftigen
europäischen Aufsichtsstruktur stellt die Einrichtung eines European Systemic Risk Board (ESRB) dar, der Risiken,
die die Stabilität des europäischen Finanzsystems gefährden könnten, ermitteln, bewerten und
Frühwarnungen und Empfehlungen für konkrete aufsichtsrechtliche oder regulatorische Maßnahmen aussprechen
sowie deren Umsetzung überwachen soll. Das trägt dem Charakter der Krise als systemische Krise Rechnung.
Eine noch so gute mikroprudenzielle – d. h. auf den einzelnen Finanzmarktakteur abstellende – Aufsicht bleibt unvollkommen,
wenn nicht auch Systemrisiken einbezogen werden. Dazu bedarf es einer Verbesserung der Stabilitätsanalyse
auf gesamtwirtschaftlicher Ebene, ebenso muss das Zusammenspiel mikro- und makroprudenzieller Faktoren besser gestaltet
werden.
Ein zentraler Punkt dabei ist der Umgang mit systemisch relevanten Instituten, da deren Zusammenbruch erhebliche
Folgen für das Gesamtsystem haben kann. Eine besondere Herausforderung ist hier die Definition und Identifikation
von Systemrelevanz, die nicht nur von der Institutsgröße abhängt. Auch die Vernetzung, die Ersetzbarkeit
sowie der allgemeine Zustand der Märkte bestimmen, ob der Zusammenbruch eines Instituts systemische Konsequenzen
haben kann. Entsprechend gilt es, geeignete Methoden zur Identifizierung von Systemrelevanz zu entwickeln. Auf
der mikroprudenziellen Ebene wurden Maßnahmen (auf dem Weg zu einem Basel III) vom Baseler Ausschuss in zwei
Paketen vorgeschlagen. Sie verschärfen etwa die Regelungen zum Umgang mit Verbriefungen, Kernpunkt der geplanten
Änderung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Banken ist aber, die Risikotragfähigkeit einer
Bank – ausgedrückt durch die Höhe und Qualität des Eigenkapitals – mit den eingegangenen Risiken
besser in Einklang zu bringen.
Regulierung und Aufsicht im "interessenspolitischen Umfeld" Trotz zahlreicher Krisen erscheint auffällig,
dass sich in der Vergangenheit die staatlichen Behörden tendenziell aus der Regulierung zurückgezogen
haben bzw. das Anwachsen weitgehend unregulierter Finanzmarktbereiche mindestens akzeptiert wurde. Speziell das
angelsächsische Selbstregulierungsmodell ("light touch regulation") entwickelte sich zum Orientierungsstandard,
entsprechend dem die Aufsichtsinstitutionen und Regierungen schwache und wenig effiziente Regulierung nicht verhindert
haben.
Unter dem Eindruck der aktuellen Krise setzte hier ein Umdenken ein. Freilich bewegen sich Regulierung und Aufsicht
stets in einem "interessenspolitischen Umfeld", das auf die Ergebnisse von Reformprozessen maßgeblichen
Einfluss ausübt. Es wird daher abzuwarten sein, inwieweit die schlussendlich umgesetzten Reformen von diesen
Einflüssen geprägt sein werden. Fundamentale Reform der Finanzmärkte unabdingbar Nachdem die Finanzkrise
viele Schwächen sichtbar hat werden lassen, gilt es nun neue wirksame Rahmenbedingungen für die Zukunft
zu entwickeln und rasch zu implementieren. Eine internationale Lehre aus der Finanzkrise lautet jedenfalls, dass
. über die Beaufsichtigung der einzelnen Finanzinstitute hinaus . der Blick auf das Finanzsystem insgesamt
. die sogenannte makroprudenzielle Dimension . gefehlt hat. Deshalb gilt es, die mikroprudenzielle Regulierung
um eine makroprudenzielle Dimension zu ergänzen und ein solchermaßen gestärktes und erweitertes
konsistentes Regelwerk weltweit umzusetzen.
Ein besseres Finanzmarktregime nach der Krise sollte einem dominierend "funktionalen Ansatz" folgen und
nicht auf die isolierte Regulierung von (bestimmten) Produkten, Instrumenten, Institutionen und/oder Märkten
konzentriert sein. Das erscheint zentral für die Absicherung der realwirtschaftlich- orientierten Intermediation
gegenüber spekulativen Finanzmarktrisiken. Institutionen, Produkte und Märkte, die funktional demselben
(Finanzierungs-)Zweck dienen, sollen auch nach denselben Standards reguliert werden.
Das Ausmaß der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise lässt erwarten, dass die Welt der Finanzmärkte
nach der Krise nicht mehr nur einfach zur "Welt vor der Krise" zurückkehren kann. Alle Reformen
müssen sich an der Minimalanforderung messen lassen, ob sie die letzte Krise verhindern oder mindestens ihr
Ausmaß stark dämpfen hätten können. Trotzdem wird es die finale Lösung der Krisenproblematik
für alle Zukunft nicht geben können. Vielmehr werdenRegulierung und Aufsicht möglichst vorausschauend
an die sich abzeichnenden Veränderungen anzupassen sein. |