In einem Doppel-Interview mit dem Staatssekretär im deutschen Justizministerium,
Max Stadler, unterstreicht Justizministerin Claudia Bandion-Ortner den Reformbedarf im Sorgerecht.
Wien (bmj) - In Österreich können geschiedene Eltern seit 2001 die gemeinsame Obsorge beantragen,
wovon mittlerweile rund die Hälfte der ehemaligen Paare Gebrauch macht. Die Justizministerin plädierte
im Interview erneut für die grundsätzliche Beibehaltung der gemeinsamen Verantwortung auch nach einer
Scheidung: "Die gemeinsame Obsorge ist einfach der natürliche Zustand. Der unnatürliche ist, wenn
sie einem Elternteil entzogen wird."
Der deutsche Staatssekretär Max Stadler ergänzte: "In 90 Prozent der Fälle halten Paare in
Deutschland (wo die gemeinsame Obsorgenach einer Trennung am gemeinsamen Sorgerecht fest. Das hat auch positive
Auswirkungen auf andere Bereiche. Wir haben festgestellt, dass bei der gemeinsamen Sorge der Kontakt des Kindes
mit dem Elternteil, mit dem es nicht zusammenlebt, in stärkerem Maß erhalten bleibt." (Seit 1998
gilt in der Bundesrepublik Deutschland das neue Kindschaftsrecht, das von einem grundsätzlichen Fortbestand
der gemeinsamen elterlichen Sorge ausgeht, Anm.)
Falsche Signale
Bandion-Ortner hob neuerlich hervor, dass es nicht um die Rechte der Frauen oder der Männer gehe sondern
um die Kinder: "Ich verstehe nicht, warum sich Frauenorganisationen so gegen die Lösung wenden, zumal
man doch die Väter in die Verantwortung nehmen will. Man will mehr Väterkarenz und den Papa-Monat, dann
ist es doch ein falsches Signal, wenn man ihnen die Verantwortung vorenthalten will. Die Hälfte der Eltern
sind nun einmal Väter." Es sei schlimm, einem Elternteil das Kind vorzuenthalten. Das Besuchsrecht sei
allerdings eine getrennte Frage, denn "Gemeinsame Obsorge bedeutet nur Mitsprache in wichtigen Angelegenheiten
wie Schulauswahl, ärztliche Behandlung", so die Ministerin. Max Stadler wies angesprochen auf gewalttätige
Elternteile darauf hin, dass natürlich auch in Deutschland natürlich einem gewalttätigen Elternteil
das Sorgerecht entzogen werden könne.
Besuchsrecht und Unterhalt
Den Vorschlag der Familienrichter, dass Mütter, die das Besuchsrecht verhindern, vom Kindesvater weniger
Unterhalt bekommen, beurteilte Bandion-Ortner "skeptisch", wenn dadurch der Unterhalt des Kindes gefährdet
werde. Sie will die Idee aber jedenfalls in die Arbeitsgruppe zum Thema einfließen lassen. Abschließend
wurde im Interview die Frage der unehelich Geborenen behandelt. Stadler berichtetete über Neuerungen in Deutschland:
"Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte müssen und wollen
wir eine Neuregelung machen. Es gibt zwei Grundmodelle: Wenn der Vater die Vaterschaft anerkennt und erklärt,
dass er sie ausüben will, gilt es. Erhebt die Mutter Widerspruch, trifft das Gericht die Entscheidung. Oder
umgekehrt, da müsste der Vater den Antrag stellen. Wenn sich beide Elternteile einig sind, braucht man das
Gericht gar nicht."
Lösungen im Interesse des Kindeswohls
Bandion-Ortner ergänzte, dass auch gegen Österreich ein EGMR-Verfahren laufe: "Ohne dem
Ausgang vorgreifen zu wollen: Natürlich kann ein Kind nichts dafür, ob die Eltern verheiratet sind oder
nicht. Aber die Lebenssituation kann eine andere sein. Ich sehe es kritisch, dass die Mutter einfach durch ein
unbegründetes Nein verhindern kann, dass der Vater Verantwortung übernehmen kann. Die Modelle aus Deutschland
sind ansprechend. Man muss sich überlegen, ob es bestimmter Voraussetzungen bedarf. Denn was macht man etwa,
wenn der Vater keinen Unterhalt zahlt, aber mitreden will er schon?"
Stadler: "Man kann sich ja gewisse Lebenssituationen vorstellen, wo ausnahmsweise das gemeinsame Sorgerecht
nicht dem Kindeswohl entspricht - eben, wenn kein Unterhalt gezahlt wird. Oder aber, die Beziehung war so kurzfristig,
dass eine gemeinsame Sorgerechtsausübung eher unwahrscheinlich ist. Im Streitfall muss dann das Gericht entscheiden,
welche Lösung dem Kindeswohl angemessen ist." |