Kardinal Schönborn: "Kirche steht in einer Umbruchszeit"   

erstellt am
20. 09. 10

Studientag über die Zukunft der Pfarrgemeinden im Rahmen der Wiener Diözesaninitiative "Apostelgeschichte 2010"
Wien (pew) - „Gemeinden sind das Herzstück der Kirche, aber die konkrete Gestalt kann sich radikal wandeln“, betonte Kardinal Christoph Schönborn beim Studientag über die Zukunft der Pfarrgemeinden im Rahmen der Wiener Diözesaninitiative „Apostelgeschichte 2010“. Die Kirche stehe in einer Umbruchszeit, in der das Christentum „neu buchstabiert“ werden müsse. Dabei gebe es „Abschied“ von Vertrautem und „Aufbruch“ zu Neuem. Der Wiener Erzbischof erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass in den letzten zehn Jahren in der Erzdiözese Wien die Zahl der Katholiken zurückgegangen ist, zugleich war aber beim Engagement der Pfarrcaritas ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen. Es gehe darum, diese Realität „ehrlich anzuschauen“, so Kardinal Schönborn vor den Mitgliedern der Vikariatsräte (die Erzdiözese Wien ist seit der Diözesansynode 1969/71 in drei Vikariate gegliedert). Daraus ergebe sich auch „Reformbedarf“ bei den Pfarrstrukturen.

Die „aktiven Katholiken“ seien heute zweifellos eine Minderheit, sagte der Wiener Erzbischof, aber diese qualifizierte Minderheit habe eine „ungeheure Kraft“. Das sei zugleich ein Anstoß, sich „nicht abzuschließen“, sondern sich das „Prinzip Stellvertretung“ zu eigen zu machen: „Wir sind zwar eine Minderheit, aber wir stehen stellvertretend für die Mehrheit vor Gott“. Das könne auch auf ganz einfache Art zum Ausdruck kommen, wenn ein aktiver Katholik am Sonntag etwa seinem rasenmähenden Nachbarn mit einem freundlichen Gruß versichere, dass er „auch für ihn“ zur Sonntagsmesse gehe.

Man müsse sich vor Augen halten, dass Gott die Menschen sammeln wolle, sagte Kardinal Schönborn. Deshalb spreche das Zweite Vatikanische Konzil davon, dass die Kirche „Sakrament des Heils für die ganze Menschheit“ ist. Diese Überzeugung könne den aktiven Katholiken helfen, mit „bescheidenem Selbstbewusstsein“ ihre Gläubigkeit und ihre Berufung zu leben.

Der Paderborner Pastoraltheologe und Pastoralpsychologe Christoph Jacobs machte bei dem Studientag deutlich, dass es „keine Patentrezepte“ für die Zukunft gebe. Sicher sei aber, dass man Abschied nehmen müsse von „Sozialformen“, die von der katholischen Kirche im 19./20. Jahrhundert gebildet wurden. Eindringlich appellierte der Paderborner Priester: „Wir dürfen uns nicht konzentrieren auf das, was stirbt, sondern vielmehr auf das, was zum Leben kommt“. Dieses „Neue“ sei vielfach schon da. In Zukunft werde die Bereitschaft zur Bildung kleiner, überschaubarer Gemeinden wichtiger sein als die Anzahl der Pfarrgemeinden. Das bedeute zugleich, dass „Gemeinde“ und „Pfarre“ nicht mehr deckungsgleich sein werden; daher müsse auch nicht jeder Priester Pfarrer werden. Während es bisher eine „kleruszentrierte“ Kirche gegeben habe, würden in Zukunft die getauften und gefirmten Gläubigen im Sinn des Zweiten Vatikanischen Konzils „Träger der Pastoral“ sein. Jacobs: „Wir müssen die Seelsorge neu erfinden“. Ein Grundprinzip dabei sei, dass es nicht mehr um „Abgrenzung“, sondern um „Beziehung“ und „Vernetzung“ gehe.

In den Arbeitsgruppen des Studientags zeigte sich, dass schon heute die Vertreter der aktiven Christen mehr Signale für den „Aufbruch“ zu Neuem als für den „Abschied“ von Vertrautem sehen. Christoph Jacobs würdigte in diesem Zusammenhang die Erzdiözese Wien als Ausnahmefall. In vielen anderen Diözesen des mitteleuropäischen Raums überwiege die „Abschieds“-Vorstellung.

Der frühere Wiener Generalvikar Msgr. Helmut Schüller (er ist jetzt Pfarrer von Probstdorf und Hochschulseelsorger) unterstrich in seinem Kurzreferat, dass sich die „sakramentale Struktur“ der katholischen Kirche in den örtlichen Gemeinden abbilden müsse: „Es reicht nicht, dass ein Priester vorbeikommt, Messe feiert und wieder wegfährt“. Zugleich verwies Schüller auf Grund seiner eigenen Erfahrungen darauf, dass alles, „wo es um mehr als 3.500 Personen geht“, schwierig wird. Bei allen Strukturüberlegungen sei zu bedenken, dass es zwar Mobilität gebe („aber es ist oft erzwungene Mobilität“) und das Streben nach Verwurzelung.
     
zurück