Wissenschaftsausschuss diskutiert soziale Lage der Studierenden
Wien (pk) - Hitzig und durchaus kontrovers diskutierte der Wissenschaftsausschuss am 15.09. über
den aktuellen Bericht zur sozialen Lage der Studierenden, zu dessen Besprechung die einzelnen Fraktionen auch ExpertInnen
geladen hatten. Das vorliegende Konvolut an Zahlen, Daten und Fakten beruht laut Bundesministerin Beatrix Karl
auf einer der umfangreichsten Studierendenerhebungen Europas und umreißt die gesamte Lebenssituation österreichischer
HochschülerInnen. Die Ergebnisse des Berichts bildeten nicht zuletzt deshalb eine bedeutende Grundlage zur
Weiterentwicklung des Studienangebots, schloss Karl.
In ihren Stellungnahmen kamen die geladenen ExpertInnen vor allem auf die steigende Zahl erwerbstätiger Studierender,
Probleme im bestehenden Beihilfensystem und soziale Schieflagen im tertiären Sektor zu sprechen.
Katharina Aretin (RFS-Landesgruppenvorsitzende Wien) gab zu bedenken, dass jene Zeit, die Studierende für
eine Erwerbstätigkeit aufwenden, häufig vom Zeitbudget, das sie für ihr Studium aufbringen müssten,
abginge. Eine mitunter auch niedrig qualifizierte
Arbeit aufzunehmen, sei in vielen Fällen aber notwendig, um die Kosten für Lebensunterhalt und Studium
abzudecken. Aretin verwies in diesem Zusammenhang auf ein Ergebnis der Studierendensozialerhebung, wonach 25 %
der HochschülerInnen nicht oder nur schlecht mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen auskämen.
Dass die Studienbeihilfe niedriger bemessen ist als die in diesem Jahr verabschiedete Mindestsicherung, konnte
die Rednerin daher nicht nachvollziehen. Angesichts der sozialen Schieflage im tertiären Sektor und Schwierigkeiten,
mit denen sich berufsbegleitend Studierende konfrontiert sehen, plädierte Aretin u. a. für eine Ausweitung
des Lehrveranstaltungsangebots und die Anpassung der Studienförderzeiten an die durchschnittliche Studiendauer.
Den Ausführungen seiner Vorrednerin konnte sich auch Simon Hofbauer (Organisationsreferent ÖH Salzburg)
anschließen, der ausführte, dass zahlreiche Studierende mit einem Tages- oder sogar Wochenbudget von
10 auskommen müssten. Besonders Studierende aus Mittelschichtfamilien sehen sich dazu gezwungen, eine Erwerbstätigkeit
aufzunehmen, was in vielen Fällen auf Kosten des Studiums gehe. Wer dieses aber vernachlässige, der falle
schließlich auch aus dem Beihilfensystem und müsse wieder Studiengebühren bezahlen, wodurch sich
die schwierige finanzielle Situation weiter zuspitze. Hofbauer plädierte aber auch dafür, die Arbeitsbedingungen
von HochschülerInnen unter die Lupe zu nehmen. Ein Großteil der Studierenden befinde sich nämlich
in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Dass für eine Erwerbstätigkeit durchschnittlich
19,8 Stunden pro Woche aufgewendet werden, sei angesichts der negativen Effekte auf Studienfortschritt und erfolg
nicht begrüßenswert. Was das österreichische Beihilfensystem anbelangt, so ortet Hofbauer dringenden
Handlungsbedarf, zumal nur 25 % der Studierenden eine staatliche Unterstützung erhielten. Auch sei es an der
Zeit, die Familienbeihilfe direkt an die Studierenden auszubezahlen. Für Hofbauer stand fest, dass eine Verbesserung
der derzeitigen Situation nur durch ein Mehr an budgetären Mitteln in Form der Bildungsmilliarde zu erreichen
ist.
Christian Rechberger (Referat für Sozialpolitik der ÖH) kam in seiner Wortmeldung zunächst auf die
Frage der Zugangsbeschränkungen zu sprechen. Für ihn stand fest, dass Studienbeiträge Studierende
aus niedriger Schicht an Aufnahme und Fortführung eines universitären Studiums hinderten und nicht, wie
häufig postuliert, "Prüfungsinaktive". Die Gebühren würden schließlich zu einem
Großteil von den Eltern beglichen. Vor finanziellen Problemen stehen laut Rechberger vor allem auch Studierende
mit Kinderbetreuungspflichten, die mit noch höheren Ausgaben zu rechnen haben als HochschülerInnen ohne
Kinder. Er forderte daher die Erhöhung des Kinderzuschusses im Rahmen der Studienbeihilfe. Dass eine nicht
zu vernachlässigende Zahl von Studierenden nicht krankenversichert ist, müsse Anlass dazu geben, über
eine Ausweitung der studentischen Selbstversicherung zu diskutieren, schloss er.
Die von seinem Vorredner angesprochenen sozialen Härtefälle wären zwar bedauerlich, doch sei die
breite Masse der Studierenden nicht von diesen Themen betroffen, zeigte sich Jan Phillipp Schifko (Bundesobmann
Aktionsgemeinschaft) überzeugt. Dass 61 % der HochschülerInnen einer Erwerbstätigkeit nachgingen,
dürfe man nicht per se schlecht reden, zumal 41 % der Befragten in der Erhebung angaben, einen anspruchsvollen
Job zu haben, der wertvolle Berufserfahrung mit sich bringe. Beim Beihilfensystem sah Schifko aber einen "Hund
begraben", da Bund, Länder und Gemeinden Förderungen vergeben, die stark voneinander abweichen.
Dass 52 % der Studierenden keine Beihilfen oder Stipendien erhalten, weise außerdem darauf hin, dass es an
Zielgenauigkeit mangle. Nicht nur hier gelte es aktiv zu werden, sondern auch beim Bau weiterer Studierendenwohnheime
und bei der Angleichung der Sommertarife der öffentlichen Verkehrsmittel an normale Studierendetarife während
des Semesters. Was das Zugangsmanagement betrifft, so sprach sich der Schifko dafür aus, StudienanfängerInnen
frühzeitig zur Reflexion über ihre Studienwahl anzuregen.
Martin Unger (Institut für Höhere Studien), der an der Erstellung des vorliegenden Berichts mitgewirkt
hatte, kam ebenfalls auf die Frage der steigenden Erwerbstätigkeit unter Studierenden zu sprechen. Ihm zufolge
wiesen andere westeuropäische Staaten einen ähnlich hohen Anteil an berufstätigen HochschülerInnen
auf, die Gruppe der Erwerbstätigen sei aber in verschiedene Subgruppen zu unterteilen. Bereinige man die 60
% u. a. von jenen, die ihr Studium berufsbegleitend betrieben, so stieße man auf eine kleinere, aber immer
noch beachtliche Personengruppe, die in einer prekären finanziellen Lage stecke und der es zu helfen gelte.
Bemerkenswert sei außerdem, dass männliche und weibliche Studierende, die einer Erwerbstätigkeit
nachgehen, bei gleicher Arbeitszeit unterschiedliche Einkommen erzielen. Dass Männer dabei mehr verdienen,
könne, so Unger, vor allem auf die geschlechtsspezifisch unterschiedliche Studienwahl zurückgeführt
werden. Zu beachten gelte es aber auch die Disparitäten zwischen Ost- und Westösterreich, zumal das Gros
der StudienanfängerInnen auf die östlichen Bundesländer entfällt. Bei Studierenden aus niedriger
Schicht falle auf, dass sie durchschnittlich drei Jahre später ein Studium aufnehmen und damit bereits in
einer anderen lebensweltlichen Phase steckten, so der Experte.
Anmerkungen zur Situation von Studierenden aus bildungsfernen Schichten machte auch Josef Wöss (Leiter der
Abteilung für Sozialpolitik der AK). Ihm zufolge ist Österreich nach wie vor "meilenweit" von
Chancengleichheit beim Bildungszugang entfernt. Dies habe aber negative Auswirkungen auf die österreichische
Wirtschaft, zumal damit Humanressourcen ungenützt blieben. Angesichts der demografischen Situation und des
Facharbeitermangels sei diese Entwicklung aber beklagenswert. Es gelte Potenziale zu erkennen, nicht Lebenschancen
zu verbauen, so das Resümee des Experten. Er forderte daher Veränderungen in der gesamten Bildungspolitik,
eine Verbesserung des Beihilfensystems für Studierende und die Umsetzung von Maßnahmen zur besseren
Vereinbarkeit von Studium und Beruf. Dass eine beträchtliche Zahl von HochschülerInnen aus einkommensschwachen
Haushalten aufgrund verschiedener Faktoren wie Alter und Berufstätigkeit keine finanzielle Unterstützung
erhalte, sei nicht einsehbar. Wöss plädierte daher für die Anhebung der Einkommens- und Altersgrenzen
sowie eine regelmäßige Valorisierung dieser Leistungen.
Die Beiträge der ExpertInnen und das Datenmaterial des vorliegenden Berichts bildeten auch die Basis für
kontroverse Diskussionen unter den Abgeordneten.
S-Mandatarin Andrea Kuntzl griff dabei das Thema Chancengleichheit auf und machte darauf aufmerksam, dass Fortschritte
auf diesem Gebiet nur langsam erzielt würden. Es gelte aber nicht nur die Hochschulen in die Verantwortung
zu nehmen, sondern das Bildungssystem insgesamt zu betrachten eine Auffassung, der sich auch G-Abgeordneter Kurt
Grünewald anschloss: Ihm zufolge ist es an der Zeit, etwas gegen den zu geringen Anteil von Studierenden aus
bildungsfernen Schichten zu tun. Soziale Ungleichheit setze sich dabei von der Schule zur Universität fort.
Abgeordneter Rainer Widmann (B) erkundigte sich daher nach konkreten Maßnahmen der Ministerin zur Beseitigung
dieses Missstands. Für G-Mandatar Wolfgang Zinggl erschloss sich aus dem vorliegenden Bericht überhaupt
nicht, warum ein Rückgang bei Studierenden aus bildungsfernen Schichten zu verzeichnen ist. Prozesse des sozialen
Wandels und der Erosion von Berufsgruppen als Begründung aufzubieten, hielt er für verfehlt, zumal der
Anteil bildungsferner Schichten konstant bleibe. Für Zinggl stand damit das Versagen des Bildungssystems fest.
Er beklagte außerdem, dass im Bericht nicht auf die finanzielle Situation der Haushalte, aus denen die Studierenden
kommen, eingegangen wurde ein Mangel, der von Co-Autor Martin Unger mit der Schwierigkeit der Erhebung derartiger
Daten im Rahmen einer Studierendenbefragung begründet wurde.
Abgeordnete Katharina Cortolezis-Schlager (V) sprach sich dafür aus, Erfolge, die im Bereich der Durchlässigkeit
erzielt wurden, nicht klein zu reden. Über Verbesserungen gelte es aber in Hinblick auf die Themen Wohnen,
Transport und lokale Disparitäten zu diskutieren, räumte sie ein. Was die Studiengebühren anbelangt,
so bräuchten die Universitäten dieses Geld. Zugangsregelungen und Studienbeiträge hätten sich
international als Erfolgsmodell herausgestellt, schloss sie. Auch B-Abgeordneter Rainer Widmann wollte über
die Wiedereinführung eines solchen Beitrags sprechen, sofern dieser "intelligent gestaltet" würde
und keine Zugangshürde darstellte. Die Abgeordneten Ruperta Lichtenecker (G) und Sabine Oberhauser (S) konnten
einer solchen Diskussion aber nichts abgewinnen. Für beide stand fest, dass soziale Durchmischung nicht mit
der Einhebung von Studiengebühren zusammenhängt, wie in den Wortmeldungen der V-Abgeordneten Katharina
Cortolezis-Schlager und Karin Hakl für den FH-Sektor angeklungen war. Ausschussvorsitzender Martin Graf wollte
in diesem Zusammenhang wissen, ob die Universitäten durch den Wegfall des Studienbeitrags tatsächlich
budgetäre Einbußen erfahren haben.
Dass Erwerbstätigkeit ein Hemmnis für Studienfortschritt bedeutet, stand sowohl für S-Abgeordnete
Andrea Kuntzl als auch für F-Mandatar Norbert Hofer und G-Abgeordneten Kurt Grünewald fest. Das Bild
vom "unbeschwerten Studentenleben", das in der Öffentlichkeit immer noch vorherrsche, müsse
man revidieren, stelle Grünewald fest. F-Mandatar Norbert Hofer sah sich angesichts des Datenmaterials in
seiner Auffassung bestätigt, die Belastungspolitik gegenüber dem Mittelstand habe auch Probleme in anderen
Bereichen wie dem Hochschulsektor zur Folge.
Was die Verbesserung des Beihilfensystems anbelangt, so zeigten sich VertreterInnen aller Parteien einig, über
Vorschläge, wie jenen der direkten Ausbezahlung der Familienbeihilfe an die Studierenden, diskutieren zu wollen.
Auch zeigte man sich fraktionsübergreifend an der Verbesserung der Studiensituation für behinderte Menschen
interessiert, nach der sich Abgeordneter Norbert Hofer (F) und Abgeordnete Ruperta Lichtenecker (G) erkundigt hatten.
In Beantwortung der Fragen der Abgeordneten betreffend soziale Ungleichheit an den Universitäten stellte Wissenschaftsministerin
Beatrix Karl fest, dass Studiengebühren kein Mittel zur Förderung der sozialen Durchmischung seien. Sie
stünden dieser aber auch nicht entgegen. Durch die Neuregelung der Beiträge und den Entfall dieser Summe
für die Universitäten müsste das Wissenschaftsressort jährlich 157 Mio. für diesen Bereich
aufwenden, hielt Karl in Richtung des Ausschussvorsitzenden fest.
Was den geringen Anteil an Studierenden aus bildungsfernen Schichten betrifft, so gelte es früh anzusetzen
und sie im Rahmen von Initiativen wie der Kinderuniversität mit dem Hochschulsektor in Kontakt zu bringen.
Auch setze man sich für die Verbesserung des berufsbegleitenden Studienangebots ein und optimiere vor diesem
Hintergrund auch die Curricula. Was die Unterstützung von Studierenden mit Behinderung anbelange, liefen Pilotprojekte
und Initiativen.
Der Bericht über die soziale Lage der Studierenden wurde einstimmig zur Kenntnis genommen.
Desweiteren diskutierten die Ausschussmitglieder über den Bericht betreffend Jahresvorschau 2010 auf der Grundlage
des Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission sowie des Achtzehnmonatsprogramms des Rates ( III-143 d.B.),
zu dem S-Abgeordneter Kurt Gartlehner, G-Abgeordnete Ruperta Lichtenecker und V-Mandatarin Karin Hakl Detailfragen
stellten.
Bundesministerin Beatrix Karl bezeichnete in diesem Zusammenhang die Förderung der Mobilität von Studierenden
und Lehrenden, die leider zurückgegangen sei, als wichtiges Ziel. Außerdem setze sie sich dafür
ein, die Freiheit des Wissens als Grundrecht zu verankern. Die Beteiligung österreichischer Forschungseinrichtungen
an europäischen Projekten laufe planmäßig und werde, so Karl, auch in Zukunft vorangetrieben.
Der Bericht wurde mit den Stimmen aller Fraktionen zur Kenntnis genommen.
Einstimmig erfolgte auch die Zuweisung des Endberichts zum Dialog Hochschulpartnerschaft an den bereits bestehenden
Unterausschuss. |