Für asexuell gehaltene Schimmelpilze wurden an der Technischen Universität (TU) Wien
mit biochemischen Tricks zur sexuellen Fortpflanzung veranlasst.
Wien (tu) - Durch Kreuzung ausgewählter Tierrassen können neue Rassen gezüchtet werden
– doch was kann man tun um Lebewesen gezielt zu verändern, die sich nicht sexuell vermehren? Mit diesem Problem
hat man in der Biotechnologie zu kämpfen. Hier spielen Pilze eine große Rolle, die sich normalerweise
asexuell fortpflanzen. An der TU Wien gelang es, Stämme des Pilzes Trichoderma reesei, der bisher als asexuell
galt, dazu zu bringen, sich sexuell fortzupflanzen. Die Biotechnikerin Verena Seidl-Seiboth vom Institut für
Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und Technische Biowissenschaften wird dafür am Dienstag, dem 28. September
2010, von der Österreichischen Gesellschaft für Molekulare Biowissenschaften und Biotechnologie ausgezeichnet.
Ein Pilz ermöglicht Biotreibstoff-Produktion
Der Schimmelpilz T. reesei wurde mit gutem Grund ausgewählt: „Dieser Pilz ist der Hauptproduzent für
die biotechnologische Gewinnung von Zellulose-abbauenden Enzymen“, erklärt Verena Seidl-Seiboth. Solche Enzyme
werden industriell in der Papier- und Textilindustrie und zur Herstellung von Bioethanol verwendet. Könnte
man den Pilz durch Züchtung dazu bringen, größere Mengen der Enzyme zu erzeugen, könnte Biotreibstoff
billiger hergestellt werden – doch eine einfache Stammverbesserung mittels traditioneller Kreuzungsmethoden schien
seit Jahrzehnten nicht möglich, da sich T. reesei immer nur asexuell vermehrte.
Kreuzungstyp und Geschlecht
Das Forschungsteam an der TU Wien erkannte allerdings, dass T. reesei nicht völlig asexuell ist, sondern sehr
wohl einen Abschnitt in der DNA aufweist, der den Kreuzungstyp des Pilzes bestimmt. Der Kreuzungstyp bei Pilzen
ist vergleichbar mit dem Geschlecht bei Tieren: Nur Zellen unterschiedlichen Kreuzungstyps können sich gemeinsam
sexuell fortpflanzen. Nachdem sich T. reesei nur asexuell vermehrt hatte, also immer nur identische genetische
Kopien erstellt worden waren, hatten auch alle bisher im Labor gezüchteten Pilzzellen denselben Kreuzungstyp.
Aus einer Wildform derselben Spezies konnte man nun die beiden Kreuzungstypen getrennt isolieren um so einen passenden
Partner für T. reesei zu bekommen, mit dem er sich sexuell fortpflanzen kann. „Wir können nun genau sagen,
welche DNA notwendig ist um einen passenden Kreuzungstyp für die industriellen T. reesei Stämme zu erhalten“,
berichtet Verena Seidl-Seiboth. In bestimmten Fällen kann der Kreuzungstyp sogar gentechnisch „umgeschaltet“
werden.
Die Möglichkeit der sexuellen Fortpflanzung wird die Stammverbesserung und damit die kostengünstigere
Herstellung von Zellulose-abbauenden Enzymen massiv vereinfachen. Das trägt zu billigeren Produktionsmethoden
bei, mit denen man Biotreibstoff aus nicht für Nahrungsmittel verwertbaren Pflanzenteilen erzeugen kann. Bisher
waren Verbesserungen der T. reesei-Stämme nur mit gentechnischen Methoden möglich – oder durch künstlich
verstärkte Mutation (etwa durch UV-Licht oder mutagene Chemikalien). Trichoderma reesei ist der erste biotechnologisch
in großem Maßstab eingesetzte Schimmelpilz, für den eine sexuelle Kreuzungsmethode entwickelt
werden konnte.
Forschungspreis für Seidl-Seiboth
Die Arbeit von Verena Seidl-Seiboth und ihrem Team wurde nicht nur in einem hochrangigen Magazin veröffentlicht
(Proceedings of the National Academy of Sciences, USA), sondern gab nun auch der Anstoß für ein fünfjähriges
Industrieprojekt (innerhalb des Austrian Centre of Industrial Biotechnology) mit der Firma AB-Enzymes. Die Österreichische
Gesellschaft für Molekulare Biowissenschaften würdigt Verena Seidl-Seiboths wissenschaftlichen Erfolg
mit dem VWR-Forschungspreis. |