Straßburg (europarl) - Das Europäische Parlament hat am 22.09. die entscheidende Zustimmung für
das Finanzaufsichtspaket gegeben. Über ein Jahr hat das Parlament für diese radikale Reform des europäischen
Finanzaufsichtssystem gekämpft. Demnach werden ab 2011 Banken, Wertpapiermärkte und Versicherungsunternehmen
einer grundlegend neuen Kontrolle unterworfen.
Es werden drei europäische Aufsichtsbehörden eingerichtet. Sie lösen die bisherigen Kontrollgremien
ab. Die Kompetenzen der neuen Behörden sind sehr viel größer als der beratende Charakter des bisherigen
Systems. Außerdem haben sie das Potenzial, weitere Kompetenzen hinzu zu gewinnen, da dank einer starken Bewertungsklausel
neu verhandelt werden kann. Zudem wird ein Europäischer Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) eingerichtet.
Dieser ESRB soll die Finanzmärkte beobachten und frühzeitig vor dem allgemeinen Risikoaufbau für
die EU-Wirtschaft warnen.
Dieses neue System soll besser davor schützen, dass es nochmals zu einem dramatischen Fortis Bank- Wochenende
komme, dass Deutschland einseitig ein Verbot von ungedeckten Leerverkäufen beschließe oder dass Kunden
in Großbritannien, in Irland und in Deutschland Verluste durch die Pleite der Lebensversicherung Equitable
Life ertragen müssen. Zugleich soll es den europäischen Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen stärken
und einen besseren Schutz für Investoren bieten.
Kosmetische Korrekturen oder grundlegende Reform
Einige Mitgliedstaaten, vor allem solche mit großen Finanzzentren, favorisierten einen begrenzten
Reformansatz. Das führte dazu, dass der Vorschlag der Kommission, der dem Parlament nicht weit genug ging,
erheblich abgeschwächt wurde. Die Berichterstatter im Europäischen Parlament haben von Beginn an deutlich
gemacht, dass es einer ernsthaften Systemreform bedürfe, damit die Risiken besser verstanden würden,
vor allem durch eine erheblich verbesserte Kommunikation zwischen den nationalen Aufsichten.
Der letztlich erzielte Kompromiss verwandelt die beratenden Aufsichtsgremien in Wachhunde mit scharfen Zähnen.
Die europäischen Finanzaufsichtsbehörden werden mit neuen, starken Kompetenzen ausgestattet, um Streitigkeiten
zwischen nationalen Finanzaufsichten zu schlichten. Sie können riskante Finanzprodukte und Finanzaktivitäten
sogar zeitlich befristet verbieten. Falls die nationalen Aufsichtsbehörden nicht handeln, erhalten die europäischen
Aufsichtsbehörden ein direktes Durchgriffsrecht auf Finanzinstitute, wie etwa Banken, um Verstöße
gegen EU-Recht zu verhindern. Im Tagesgeschäft werden die europäischen Aufsichtsbehörden die Arbeit
der nationalen Aufseher bezüglich grenzüberschreitender Finanzinstitute koordinieren.
Aufsichtsbehörden als Feuerlöscher
Falls sich die nationalen Aufseher nicht einigen können, kann die EU-Behörde ein rechtlich verbindliches
Vermittlungsverfahren anordnen. Falls auch dabei keine Einigung zwischen den betroffenen nationalen Aufseher erreicht
wird, so kann die EU-Behörde dem betroffenen Finanzinstitut direkte Anweisung geben. Die EU-Aufsichtsbehörden
können nach eigenem Ermessen als Vermittler eingreifen, müssen also nicht auf eine Anfrage einer nationalen
Behörde warten.
Die EU-Behörden werden kontrollieren können, wie die nationalen Aufsichtsbehörden die Vorschriften
der EU-Gesetze umsetzen. Falls diese EU-Vorschriften nicht korrekt umgesetzt werden, können die EU-Behörden
den betroffenen nationalen Aufsehern Anweisungen geben. Falls diese nicht beachtet werden, können die EU-Behörden
direkte Weisungen an ein Finanzinstitut geben, um jegliche Verstöße gegen EU-Gesetze zu vermeiden.
Verbraucherschutz als zentrales Anliegen
Angesichts der immer komplexeren Welt der Finanzdienstleistungen haben sich die Europaabgeordneten erfolgreich
dafür eingesetzt, den Verbraucherschutz in den Mittelpunkt der Arbeit der neuen EU-Aufsichtsbehörden
zu stellen. Die EU-Behörden werden die Kompetenz erhalten, bestimmte Finanzinstitute, bestimmte Finanzprodukte
wie etwa "Giftpapiere" oder bestimmte Finanzaktivitäten - wie etwa die ungedeckten Leerverkäufe,
zu überprüfen. So sollen die Risiken für das Finanzsystem bewertet und - wenn nötig - Warnungen
herausgegeben werden. Soweit es die besondere Finanzgesetzgebung vorsieht, können die EU-Behörden schädliche
Finanzaktivitäten oder Finanzprodukte zeitlich befristet verbieten oder einschränken. Sie können
zudem die Kommission bitten, Gesetze auf den Weg zu bringen, die solche Aktivitäten oder Produkte dauerhaft
verbieten.
ESRB - Schnelle und bessere Warnung vor Risiken
Die Europaabgeordneten haben Bestimmungen durchgesetzt, damit der Europäischer Ausschuss für Systemrisiken
schnell und deutlich kommunizieren kann. Der ESRB wird ein gemeinsames Set an Indikatoren entwickeln, mit dem einheitliche
Risiko-Ratings bestimmter grenzüberschreitender Finanzinstitutionen erstellt werden können. Damit sollen
auch bestimmte Risikotypen dieser Institute künftig leichter identifiziert werden. Der ESRB wird auch dafür
verantwortlich sein, einen Farbcode auszuarbeiten, der die verschiedenen Risikoarten widerspiegelt. Wenn der ESRB
Warnungen oder Empfehlungen zu aufkommenden Risiken ausspricht, wird er diesen Farbcode verwenden, um das Risikolevel
anzuzeigen.
Damit der ESRB aufkommende Risiken noch besser vorhersagen kann, soll ein breites Spektrum an Erfahrungen und Kenntnissen,
etwa von Wissenschaftlern, im Beratenden Wissenschaftlichen Ausschuss vertreten sein. Um die Sichtbarkeit und die
Glaubwürdigkeit des ESRB hervorzuheben, wird der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) für
die ersten fünf Jahre auch dem ESRB als Präsident vorstehen.
Mögliche Kompetenzerweiterungen
Sowohl die Finanzaufsichtbehörden als auch der ESRB können ihre Kompetenzen erweitern, wenn künftige
Entwicklungen es erfordern sollten. Insbesondere für die Finanzaufsichtsbehörden haben die EU-Abgordneten
sichergestellt, dass die Kommission alle drei Jahre Bericht erstatten wird, ob es erstrebenswert sei, die getrennten
EU-Behörden für Banken, Versicherungen und Wertpapiergeschäfte zusammenzufassen und an einem Standort
zu konzentrieren. Außerdem soll die Kommission berichten, ob die Aufsichtsbehörden mit weiteren Aufsichtsrechten
ausgestattet werden sollten, vor allem über europaweit agierende Finanzinstitute.
Die Rolle des Europäischen Parlaments
Die EU-Abgeordneten haben zugleich eine verbesserte demokratische Kontrolle des gesamten Aufsichtssystems durchgesetzt.
So kann das Europäische Parlament sein Veto gegen den Chef einer Finanzaufsichtbehörde einlegen. Das
Parlament erhält auch Mitspracherechte bei der Entwicklung der technischen Standards und der Umsetzungsmaßnahmen.
Außerdem wird der ESRB-Präsident den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses und seinen Stellvertreter
über die ESRB-Aktivitäten in vertraulichen Gesprächen auf dem Laufenden halten.
Kommission, EU-Finanzaufsichtsbehörden und die ESRB können laut den neuen Gesetzestexten den Rat auffordern,
den Notfall auszurufen. Auch das Parlament kann mittels Entschließungen und Anfragen den Rat auffordern,
den Notfall auszurufen, so wie das Parlament bei jedem anderen Thema das Recht hat, Forderungen an den Rat und
die Kommission zu stellen.
Der Bericht über die Einrichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankaufsichtsbehörde)
wurde mit 587 Ja-Stimmen bei 35 Nein-Stimmen und 40 Enthaltungen angenommen. (Berichterstatter: Josè-Manuel
GARCIA-MARGALLO (EVP, Spanien))
Der Bericht über die Einrichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde
für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) wurde mit 587 Ja-Stimmen bei 29 Nein-Stimmen
und 37 Enthaltungen angenommen. (Berichterstatter: Peter SKINNER (S&D, Vereinigtes Königreich))
Der Bericht über die Einrichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier-
und Börsenaufsichtsbehörde) wurde mit 588 Ja-Stimmen bei 29 Nein-Stimmen und 38 Enthaltungen angenommen.
(Berichterstatter: Sven GIEGOLD (Bündnis 90/Die Grünen, Deutschland))
Der Bericht über die Befugnisse der Europäischen Bankaufsichtsbehörde, der Europäischen Aufsichtsbehörde
für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung und der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde
wurde mit 589 Ja-Stimmen bei 35 Nein-Stimmen und 35 Enthaltungen angenommen. (Berichterstatter: Antolín
SANCHEZ-PRESEDO (S&D, Spanien))
Der Bericht über die Finanzaufsicht auf Makroebene der Europäischen Union und zur Einsetzung eines Europäischen
Ausschusses für Systemrisiken wurde mit 587 Ja-Stimmen bei 29 Nein-Stimmen und 41 Enthaltungen angenommen.
(Berichterstatterin: Sylvie GOULARD (ALDE, Frankreich))
Der Bericht zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Funktionsweise des Europäischen
Ausschusses für Systemrisiken auf die Europäische Zentralbank wurde mit 587 Ja-Stimmen bei 22 Nein-Stimmen
und 52 Enthaltungen angenommen. (Berichterstatter: Ramon TREMOSA I BALCELLS (ALDE, Spanien)) |