Debatte über Wehrpflicht und Zukunft des Zivildienstes
Wien (pk) - Die Zivildienstgesetznovelle passierte am 07.10. auch den Bundesrat ohne Einspruch. In
seiner Sitzung votierten SPÖ und ÖVP mehrheitlich dafür. Damit können Zivildiener ab 1. November
2010 künftig in den Polizeidienst eintreten und auch in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes arbeiten,
in denen das Führen einer Schusswaffe erforderlich ist.
Bundesrat Johann ERTL (F/N) resümierte die Geschichte des Zivildienstes seit 1975. Bisher sei nach der Erklärung,
man könne aus Gewissensgründen keinen Wehrdienst leisten, für 15 Jahre das Tragen von Schusswaffen
nicht erlaubt gewesen. Zivildiener seien lange als "Drückeberger" stigmatisiert gewesen, aber mit
der Zeit sei ein Wandel eingetreten. Die Stoßrichtung der Novelle sei es, Zivildienstleistenden nun auch
den Eintritt in den Polizeidienst zu ermöglichen. Das führe zu umfangreichen Änderungen im Wehrgesetz.
Es gebe eine Verkürzung des Grundwehrdienstes, für Zivildiener würden neue Bereiche geöffnet.
Weiters werde ein vereinfachtes Verfahren und mit der Zivildienstserviceagentur ein zusätzlicher Instanzenzug
geschaffen, darüber hinaus seien schärfere Disziplinarmaßnahmen vorgesehen. Jägern, Mitgliedern
traditioneller Schützenvereine und Sportschützen können künftig Ausnahmen zum Verbot des Erwerbs,
Besitzes und Führens von Schusswaffen gewährt werden, erläuterte Ertl.
Die Novelle schaffe auch neue Möglichkeit in der Berufswahl, sagte Ertl und gab seiner Überzeugung Ausdruck,
dass die Novelle auf einem falschen Weg sei. Wer einmal erklärte habe, Gewissensprobleme beim Waffengebrauch
zu haben, dessen Qualifikation als Polizist bleibe fragwürdig, sagte er. Die FPÖ vertrete auch die Meinung,
dass in der Novelle die Bestimmungen über die Aufhebung des Waffenverbots und die nachträgliche Ableistung
des Militärdienstes schlecht geregelt seien. Ertl kritisierte auch die Verwendungsmöglichkeit von Zivildienern
in Bereichen wie Kinderbetreuung und Integration und schloss, er werde der Novelle nicht zustimmen.
Bundesrätin Bettina RAUSCH (V/N) verwies darauf, dass pro Jahr 13.000 Zivildiener wesentliche Bereiche des
Sozial- und Gesundheitssystems am Laufen halten. Der Zivildienst habe sich laufend weiterentwickelt. Die vorliegende
Novelle erschließe dem Zivildienst neue Bereiche, in denen Bedarf an Arbeitskräften besteht. Es sei
positiv, wenn junge Männer auf diese Weise in neue Berufsfelder "hineinschnuppern" könnten,
meinte sei. Die Aufhebung des Waffenverbots sei nur konsequent und fair, da sich Einstellungen ändern könnten.
Motivierten jungen Männern solle man die Möglichkeit geben, auch im Polizeidienst tätig zu sein.
Schließlich thematisierte die Bundesrätin die Frage der Entlohnung für Leistungen, die im sozial-
und im ehrenamtlichen Bereich erbracht werden. Sie dankte der Innenministerin für die Novelle, die zeige,
dass die Anliegen der Jugendlichen ernst genommen werden, und kündigte ihre Zustimmung an.
Bundesrat Efgani DÖNMEZ (G/O) ging auf die Abschaffung der Wehrpflicht als einer alten Forderung der Grünen
ein. In Europa sei die allgemeine Wehrpflicht schon weithin als unnötiger Luxus abgeschafft worden, bemerkte
er. Man brauche aber gut ausgebildete Fachkräfte für Einsätze der UNO und Hilfseinsätze im
Ausland. Die Zweite Republik habe sehr lange gebraucht, bis Wehrdienstverweigerung möglich wurde und das Recht,
sich dafür zu entscheiden, ohne Nachteile zu erfahren, sei immer noch nicht gegeben. Trotzdem würden
viele junge Männer eine sinnvolle Tätigkeit im Sozialbereich dem Dienst an der Waffe vorziehen.
Viele Institutionen brauchen Zivildiener, betonte Dönmez, man habe aber für sie die Rahmenbedingungen
immer mehr verschlechtert, ohne dass dies das Bundesheer attraktiver gemacht habe. Die Abschaffung der Wehrpflicht
sei daher nur die logische Konsequenz. Dönmez bedauerte aus seiner Sicht dass man sich jedoch um eine sinnvolle
Debatte über die Sinnhaftigkeit des Bundesheeres drücke. Aufgaben wie der Grenzschutz seien abzuschaffen,
der Katastrophenschutz könne billiger durch zivile Organisationen geleistet werden. Internationale Einsätze
würden dagegen immer wichtiger. Es müsse für den Militärdienst ein Freiwilligenmodell mit entsprechender
sozialer Absicherung geben, forderte Dönmez und begrüßte das Umdenken der SPÖ in diesem Zusammenhang.
Die ZDG-Novelle ist seiner Meinung nach schon jetzt überholt, und es würden darin unterschiedliche Bereich
vermischt, meinte er. Polizisten müssten nicht Soldaten sein. Auch der Einsatz von Zivildienern in Kindergärten
sei zu hinterfragen, dort brauche man ausgebildete Pädagogen. Die Grünen würden daher die Novelle
ablehnen.
Bundesrat Gerald KLUG (S/St) erläuterte die sozialdemokratische Position zu der Novelle, die er als gut durchdacht
bewertete. Die Gewissensprüfung und deren langfristige Auswirkungen habe man in der Sozialdemokratie immer
schon als problematisch angesehen. Viele junge Männer würden Zivildienst nicht deshalb leisten, weil
sie den Dienstes mit der Waffe nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, sondern weil sie sich im Sozialdienst
einbringen wollen. Er dankte in diesem Zusammenhang den 13.000 Zivildiener für ihre Arbeit. Seit gut 35 Jahren
sei der Zivildienst ein unverzichtbarer Bestandteil des Sozial- und Gesundheitsbereichs. Der Bundesrat dankte auch
den zahlreichen Organisationen, die im Vorfeld der Beschlussfassung zur Realisierung dieser Novelle beigetragen
haben, die er unterstütze.
Bundesrat Peter MITTERER (o.F./K) sah in der Novelle keine Reformen bei Wehr- und Zivildienst, sondern eine Aufforderung
zum Missbrauch des Zivildienstes. Sie sei eine Aufforderung, bedenkenlos mit Gewissensfragen umzugehen, da man
später im Berufsleben ohnehin nicht mit Konsequenzen rechnen müsse. Bundesrat Mitterer bedauerte, dass
das Bundesheer heute nicht mehr den ihm entsprechenden Stellenwert habe und kündigte seine Ablehnung der Novelle
an, deren Sinn angesichts der Debatte um eine Abschaffung der Wehrpflicht überhaupt in Frage gestellt werden
müsste. Er bezweifle, dass ein ziviler Katastrophenschutz billiger sei als das Bundesheer, sagte der Bundesrat
und kritisierte scharf die uneinheitliche Haltung der SPÖ in der Frage des Wehrdienstes.
Bundesrat Kurt STROHMAYER-DANGL (V/N) sah den Zivildienst bei Rettungsorganisationen, in Spitälern und Pflegeheimen
als Dienst an der Gesellschaft. In der Novelle zeige sich eine positive Entwicklung, durch sie erhielten Justiz
und Polizei die Möglichkeit, junge, gut motivierte Männer anzuwerben, die vor allem die Polizei dringend
brauche. Die dafür erforderliche Ableistung eines Monats an militärischer Grundausbildung sei eine nachvollziehbare
Regelung. Auch die Abänderung des Waffenverbots sei richtig, denn man müsse Jugendlichen auch Meinungsänderungen
zugestehen.
Weiters thematisierte Bundesrat Strohmayer-Dangl die hohe Zahl wehrdienstuntauglicher Jugendlicher. Für sie
sollte man ihm zufolge die Möglichkeit eines Sozialdienstes andenken. Prinzipiell begrüßte er das
Interesse für soziales Engagement, er sah auch kein Problem darin, Zivildiener in Kindergärten einzusetzen.
In der Diskussion zur Abschaffung der Wehrpflicht gebe es viele offene Fragen, wie etwa die Regelung der Katastrophenhilfe.
Die Novelle sei insgesamt zukunftsweisend, meinte Strohmayer-Dangl abschließend.
Bundesrat Josef KALINA (S/W) äußerte sich aus der Sicht eines der ersten Zivildienstleistenden zu der
Novelle und meinte, sie stelle eine richtige Weiterentwicklung des Zivildienstes dar. Erst allmählich habe
man anerkannt, wie wertvoll der Zivildienst für die Gesellschaft sei. Die Begründungen für die Aufrechterhaltung
der Wehrpflicht bezeichnete er als "teilweise grotesk" und sprach sich dafür aus, mit einer Volksbefragung
eine endlose Diskussion um die Wehrpflicht zu Ende zu bringen. Es sei nicht zu rechtfertigen, dass man jedes Jahr
viele junge Männer, die das Militär nach eigenen Aussagen nicht brauche, zwangsverpflichte, wenn bei
ihnen der Eindruck entstehen müsse, dass sie im Bundesheer nur ihre Zeit verschwenden. Der Zivildienst könne
jedenfalls nicht als Argument für die Aufrechterhaltung der Wehrpflicht herhalten, betonte Kalina. Das Problem
sei der aufgeblähte Apparat des Bundesheeres. Bei einer Neuordnung würde auch Geld für eine Reorganisation
des Zivildienstes frei, zeigte sich Kalina überzeugt. Seiner Meinung nach sei es besser, an ein freiwilliges
Sozialjahr für junge Männer und Frauen zu denken.
Bundesministerin Maria Theresia FEKTER stellte fest, der Zivildienst sei ein Wehrersatzdienst und hänge damit
an der Wehrpflicht. Die Abschaffung der Wehrpflicht würde auch die Abschaffung des Zivildienstes bedeuten.
Die derzeitige Diskussion verunsichere die Trägerorganisationen, kritisierte sie. Sie vermisse konkrete Vorschläge,
was mit dem Zivildienst passieren soll. Nur Freiwilligkeit allein werde keinen vollwertigen Ersatz schaffen. Die
umfassende Landesverteidigung wegen einer aus wahltaktischen Gründen begonnenen Debatte abzulehnen, halte
sie für höchst bedenklich. In der Frage um die Verantwortung für die Probleme beim Bundesheer verwies
Fekter auf das dafür zuständige Ressort. Dort müsse die Frage, wie es mit dem Zivildienst weitergehen
solle, beantwortet werden, meinte Fekter.
Die Novelle sei jedenfalls notwendig, zeigte sich die Ministerin überzeugt, da der Zivildienst sicher noch
länger bestehen werde. Es werde ein moderner Zivildienst geschaffen, der den Bedürfnissen der Menschen
angepasst werde. Ungerechtfertigte Nachteile für Jäger und Sportschützen seien nun beseitigt worden.
Unverständnis äußerte sie gegenüber der Wortmeldung von Bundesrat Dönmez. Wenn Zivildiener
bereits jetzt in Integrationskindergärten mit behinderten Kindern eingesetzt werden dürfen, sei es nur
konsequent, sie auch in anderen Kindergärten zu beschäftigten. Die Novelle gebe Zivildienern mehr Rechte,
diesen stünden aber durch ein neues Disziplinarrecht auch mehr Pflichten gegenüber, präzisierte
sie. Der Zivildienst sei bisher eine Erfolgsgeschichte, die man weiterschreiben wolle.
In einer zweiten Wortmeldung stellte Bundesrat Efgani DÖNMEZ (G/O) klar, dass er nicht Kindergärten gegen
Behinderteneinrichtungen ausspiele. Es sei aber keine Lösung, statt regulärem und qualifiziertem Personal
nur kurzfristig Zivildiener einzusetzen. Als unterstützende Maßnahme sei ihr Einsatz richtig, dürfe
aber nicht die Regel sein.
Bundesrat Albrecht KONECNY (S/W) sah es als unbestreitbar an, dass es Probleme mit dem Bundesheer gebe, und verwies
auf die derzeit in Deutschland geführte Debatte um die Wehrpflicht, wo ein ähnliches System wie in Österreich
besteht. Eine allgemeine Wehrpflicht greife tief in das Leben junger Männer ein, und nur mit der Begründung,
dass sie immer so bestanden habe, sei sie nicht haltbar, bemerkte er. Die geopolitischen Rahmenbedingungen für
das österreichische Militär hätten sich grundlegend geändert, meinte Konecny. Auslandseinsätze
des Heeres seien aber unbestritten. Daher müsse man über Größe, Struktur und Kosten des Bundesheeres
diskutieren. Er habe kein fertiges Modell für ein Nachfolgemodell zum derzeitigen Zivildienst anzubieten,
aber eine Richtungsentscheidung, wie es weitergehen soll, müsse getroffen werden, forderte Konecny.
Bundesrat Andreas SCHNIDER (V/St) bezeichnete es als merkwürdig, dass die Debatte um die Zukunft des Heeres
just eine Woche vor einer wichtigen Wahl losgetreten worden ist. Zudem seien die meisten Zivildiener hervorragend
qualifiziert, sodass genau das aktuelle Modell des Zivildienstes vielleicht sogar in Richtung des Wehrdienstes
ausgeweitet werden könnte, gehe es doch darum, die jungen Menschen dort einzusetzen, wo ihre Interessen und
Qualitäten lägen. Derart wichtige Fragen sollte man nicht für Polemiken während eines Wahlkampfes
verwenden, mahnte Schnider.
Bundesrat Harald HIMMER (V/W) meinte, man habe es hier mit plumpen Populismus zu tun, gehe es doch dem plötzlich
zum "Wehrsprecher" mutierten Wiener Bürgermeister nur darum, über ein Wahlkampfzuckerl in der
Intensivphase des Wahlkampfes zu verfügen.
Es wurde kein Einspruch erhoben. |