Neues von der Wiener rechtstheoretischen Schule   

erstellt am
05. 10. 10

Schriften von Kelsen, Merkl und Verdross in Neuauflage
Wien (pk) - Anlässlich der 90. Wiederkehr der Beschlussfassung des Bundes- Verfassungsgesetzes wurde am 05.10. im Parlament auf Einladung von Bundesratspräsident Martin Preineder und des Zweiten Nationalratspräsidenten Fritz Neugebauer eine Neuauflage von Schriften der Begründer der Wiener Rechtstheoretischen Schule Hans Kelsen, Adolf Merkl und Alfred Verdross vorgestellt. Ziel des 1968 unter dem Titel "Die Wiener rechtstheoretische Schule" im Verlag Österreich von Hans R. Klecatsky, Rene Marcic und Herbert Schambeck und jetzt neu herausgegebenen Sammelbandes ist es, bisher noch nicht in Buchform erschienene Schriften der drei Verfassungsrechtler nach Sachgebieten und zeitlichen Gesichtspunkten zu ordnen und sie so Interessierten zugänglich und damit dem Rechtsleben nutzbar zu machen.

Bundesratspräsident Martin Preineder, der die zahlreich erschienen Gäste, allen voran Bundespräsident Heinz Fischer und Bundespräsident a.D. der Bundesrepublik Deutschland Roman Herzog willkommen hieß, erinnerte angesichts der konstituierenden Leistungen von Hans Kelsen, Adolf Merkl und Alfred Verdross an den 90. Jahrestag der Beschlussfassung des Bundesverfassungsgesetzes. Die damalige Einigung sei ein Kompromiss gewesen, der nicht über die grundlegenden Auffassungsunterschiede der Parteien hinwegtäuschen konnte, gab er zu bedenken. Kompromisse, die heute oft den Beigeschmack als faul und bitter haben, seien aber, so Preineder, das Wesen der Demokratie. Kein Kompromiss sei kompromisslos, vielmehr gelte es, durch Gespräch, Diskussion und Meinungsbildung letztendlich zum Konsens zu kommen. Die in der vorliegenden Publikation zusammengefassten Diskurse erlauben einen Einblick in die Gedankenwelt der Wiener rechtstheoretischen Schule, wobei die immer wieder sich selbst hinterfragende Gedankenarbeit, die hinter diesen Texten steht, das Sammelwerk auch heute lesenswert erscheinen lasse, war Preineder überzeugt.

Für den Zweiten Nationalratspräsidenten Fritz Neugebauer war das Verfassungsjubiläum Anlass zu einem Ausblick, der, wie er unterstrich, mit Leben erfüllt werden müsse. In diesem Sinn sei das Sammelwerk als Impulsgeber für eine Debatte über die österreichische Bundesverfassung zu verstehen. Neugebauer verwies auf den Verfassungskonvent und betonte, der Fundus an Vorschlägen und Ideen, der im Rahmen dieser Kraftanstrengung entstanden ist, dürfe nicht länger brach liegen.

In seiner Rede zur Präsentation des Werkes, das erstmals im Jahr 1968 erschien und, wie Barbara Raimann vom Verlag Österreich erinnerte, schon lange vergriffen und nicht einmal mehr antiquarisch zu erwerben war, hob Bundesratspräsident a.D. Herbert Schambeck die weit über die österreichischen Grenzen hinausgehende Bedeutung der Wiener rechtstheoretischen Schule hervor. Aus zahlreichen persönlichen Begegnungen mit Kelsen, Merkl und Verdross – Schambeck war selbst Assistent Merkls – zeichnete er ein Bild der drei Juristen als Wissenschafter, Lehrende und Menschen, wobei er deren leidvolles Schicksal in der NS-Zeit nicht aussparte. Kelsen, der 1940 Europa für immer verlassen musste und fortan an der Universität von Berkeley lehrte, Merkl, der erst 1950 wieder nach Österreich zurückkehrte, Verdross, dessen Tätigkeit von den Nationalsozialisten beschränkt wurde.

Die drei Autoren ergänzen einander auf allen Gebieten des öffentlichen Rechts, der Staats- und Verwaltungslehre, des Staatsrechts und der Rechtsphilosophie, stellte Schambeck fest und meinte, die Neuauflage ihrer Schriften sei für ihn als Mitherausgeber nicht nur von wissenschaftlichem Interesse getragen, sie sei auch menschliches Anliegen und ein persönliches Bedürfnis. Die Grundprobleme von Recht und Staat würden die Menschen jedenfalls auch in Zukunft beschäftigen, der Sammelband werde alle an den Fragen von Recht und Staat Interessierten einladen, eigenständige Antworten zu geben. Was die Weiterentwicklung der österreichischen Bundesverfassung betrifft, drückte Schambeck überdies seine Hoffnung aus, "dass Nationalrat und Bundesrat aus dem Untergang des Verfassungskonvents etwas zusammenbringen".
     
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