Agrarexperten sehen Vorschlagsentwurf der Kommission skeptisch
Wien (bmlfuw/aiz) - Vor dem Hintergrund der laufenden Diskussionen über die Zukunft der Gemeinsamen
Agrarpolitik (GAP) nach 2013 und die künftige Budgetausstattung luden die Land&Forst Betriebe Österreich
zu einem agrarpolitischen Gespräch ins Parlament in Wien ein. Europäische und österreichische Landwirtschaftsexperten
stellten die derzeitige Sachlage dar und präsentierten ihre Positionen. "Wir wollen den Startschuss zur
Versachlichung der Debatte geben", betonte Felix Montecuccoli, Präsident der Land&Forst Betriebe
Österreich.
Johannes Abentung, Direktor des Österreichischen Bauernbundes, unterstrich die Wichtigkeit solcher Initiativen,
da ein massiver Verteilungskampf um das Budget in allen Mitgliedstaaten, so auch in Österreich, bereits begonnen
habe. "Wir stehen vor dem größten Umbruch seit mindestens 20 Jahren", so Abentung.
GAP-Vorschlagsentwurf teilweise kritisch bewertet
Der durchgesickerte Entwurf des Vorschlags, welchen EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos am 17.11. präsentieren
soll, wurde teilweise sehr kritisch bewertet. Insbesondere die Verlagerung der Ausgleichszulage (AZ) von der zweiten,
kofinanzierten Säule in die erste sei ein äußerst heikler Punkt, betonten Wilhelm Molterer, Vorsitzender
der EVP-Arbeitsgruppe "EU-Agrarreform", und Rupert Lindner, Leiter der Abteilung II/5 im Landwirtschaftsministerium,
unter anderem zuständig für die Ländliche Entwicklung. "Bestimmte Elemente von der zweiten
in die erste Säule zu verlagern, sie zu begrünen und zu behübschen - da halten wir nicht sehr viel
davon", so Lindner. Dies würde "zu einer massiven Schwächung des ländlichen Raumes führen",
warnte der Abteilungsleiter. Er verstehe zudem nicht, warum plötzlich von neuen Herausforderungen bei den
Förderungen die Rede sei, die man schon längst integriert habe, sagte Lindner, etwa im Hinblick auf Umweltschutzmaßnahmen.
Ohne Zahlen schwierig zu beurteilen
Insgesamt sei eine Beurteilung der vorgestern veröffentlichten Mitteilung zur Haushaltsreform und des Ciolos-Papiers
ohne Zahlen aber sehr schwierig, meinte Lindner. Derzeit gebe es somit eher Lippenbekenntnisse, die kommen könnten
oder auch nicht, betonte der Experte. "Es mangelt an Durchführungsmaßnahmen, weshalb das Ganze
mehr wie ein Konsultationspapier wirkt", meinte Corrado Pirzio-Biroli, Präsident der European Landowners
(ELO). Wichtig sei jedenfalls, dass erste und zweite Säule sich nicht überschneiden und somit separat
bleiben. Außerdem vermisse er einen Hinweis auf die EU-2020-Strategie, die aber zumindest im Haushaltsbericht
der Kommission erwähnt sei. Es wäre ferner wesentlich zu erwähnen, dass es bei einer Kürzung
des Agrarhaushaltes zu einer Intensivierung der Landwirtschaft käme, betonte Pirzio-Biroli. Die eigentliche
Schlüsselfrage werde aber die Finanzierung und Ausgestaltung der einzelnen Instrumente sein, so der ELO-Präsident.
Eine Kürzung der Direktzahlungen für große Betriebe sieht er erwartungsgemäß skeptisch.
Gerade diese Unternehmen seien oftmals effiziente Lebensmittelproduzenten und könnten auch umfangreiche Umweltschutzmaßnahmen
setzen, so Pirzio-Biroli.
Lindner: Milchquoten-Diskussion führte an der Realität vorbei
Im Hinblick auf den Milchbereich meinte Lindner, dass die Quotendebatte vollkommen an der Realität vorbeigeführt
habe. "Wir haben nicht Absatz und Märkte diskutiert, sondern nur Quoten", kritisierte der Experte.
Auch einige Vorschläge der europäischen High Level-Milchgruppe seien nicht umsetzbar. Es gelte seiner
Meinung nach primär, die Erzeuger in der Lebensmittelkette zu stärken. Lindner kritisierte in diesem
Zusammenhang, dass das Wettbewerbsrecht in erster Linie für die Produzenten gelte und nicht für den Handel,
der ebenso in die Pflicht genommen werden müsse. Auch im Hinblick auf die Kennzeichnung dürfe der Handel
Regionalität anpreisen, wo diese nicht gegeben sei. So komme Alpenmilch oftmals aus ganz Europa und manche
Speckprodukte bestünden aus Fleisch, das auch nicht aus den angepriesenen Ländern stamme.
Vereinfachung oder doch Verkomplizierung?
Zum Thema Vereinfachung meinte Molterer, dass es derzeit in vielen Bereichen eher nach einer Verkomplizierung aussehe:
"Bei diesem Thema bin ich weniger optimistisch als in anderen Bereichen." Bei den Marktordnungen sei
es nicht leicht, Vereinfachungen zu erreichen, betonte auch Lindner, der sich Molterers Ansicht anschloss. "Insbesondere
im Bereich der Cross Compliance wäre dies jedoch dringend notwendig", so der Experte. "Realistisch
ist eine Vereinfachung auf höchster Ebene", so Montecuccoli, der etwa einen Übergang von verschiedenen
Betriebsprämienmodellen zu einer Flächenprämie nannte. "Ob solche Vereinfachungen dann bei
den Bauern ankommen, ist fraglich", sagte der Präsident.
Montecuccoli: Unternehmerischen Zugang verstärken
"Wir fordern einen stärker unternehmerischen Zugang und eine klare Akzeptanz der landwirtschaftlichen
Produktion", betonte Montecuccoli, der sich zudem für deutlich mehr Marktorientierung mit fairen Spielregeln
und gleichzeitig auch Stabilität aussprach. "Dennoch brauchen wir zusätzlich eine klare Abgeltung
von nicht marktfähigen Gütern, den sogenannten public goods", so der Präsident. Weiters könne
nicht sein, dass einerseits von mehr Wettbewerbsfähigkeit die Rede sei und andererseits Kooperationen behindert
werden", meinte Montecuccoli, der sich auch im Hinblick auf die Steuergesetze Entwicklungsmöglichkeiten
wünscht. Er sprach sich ferner für gerechte Einkommen aus, die leistungsorientiert, aber nicht nur output-
sondern auch input-orientiert sind. Es müsse somit berücksichtigt werden, was alles an Ressourcen, Arbeit
und Know-how investiert werde.
Gemeinschaftliche Aufgaben in den Vordergrund rücken
Die europäische Budgetdebatte sei viel zu wenig von Bedürfnissen geprägt, meinte Montecuccoli, und
der Haushaltsbericht seien "zu Papier gebrachte Eitelkeiten der EU-Kommission". Es gelte vielmehr, die
gemeinschaftlichen Aufgaben der EU und der Landwirtschaft in den Vordergrund zu stellen und dann entsprechend zu
dotieren, so der Präsident, der auch die Vielfältigkeit der agrarischen Leistungen darlegte. Dazu zählen
bekanntermaßen etwa Lebensmittel, Biodiversität, Umweltschutz, öffentliche Güter wie die Landschaftspflege,
Tourismus, erneuerbare Ressourcen und Energieproduktion.
Molterer: Agrarbudget aus der Defensive herausbringen
Molterer meinte hingegen, dass er vom Budgetpapier "eher positiv überrascht" sei. Es sei logisch,
dass keine Zahlen genannt würden. Eine wichtige Frage sei, wie man das Budget möglichst mit der Europa-2020-Strategie
in Einklang bringen könne. Ein ganz wesentliches Ziel sei es zudem, das Agrarbudget aus der Defensive herauszubringen.
Zu diesem Zweck müsse der Beitrag der Landwirtschaft zu Wettbewerbsfähigkeit, Stabilität und Innovation
vermittelt werden, betonte der Vorsitzende der EVP-Arbeitsgruppe. Pirzio-Biroli meinte, dass die EU-Kommission
mit einer Reduzierung des Budgets rechne und Ciolos recht isoliert dastehe und nur in EU-Binnenmarkt- und Dienstleistungskommissar
Michel Barnier einen wichtigen Verbündeten habe. Das Europäische Parlament (EP) habe sich hingegen deutlich
für eine starke GAP mit entsprechend dotiertem Budget ausgesprochen, so der ELO-Präsident.
Weiterer Zeitplan
In puncto Zeitplan erwartet Molterer, dass nach der Präsentation des Ciolos-Vorschlages am 17.11.
im März oder April des nächsten Jahres ein neues Papier vorgestellt wird. "Wir müssen uns jedenfalls
in den nächsten Monaten auf intensive Diskussionen einstellen", so Molterer. Eine Entscheidung werde
es voraussichtlich erst nach den französischen Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2012 geben. |