Wiener Erzbischof diskutierte in Neulerchenfeld über die Übergabe des Gotteshauses an
die serbisch-orthodoxe Kirche – „Es geht um die Zukunft des Christentums in Wien“=
Wien (pew) - „In Wien werden keine katholischen Gotteshäuser geschlossen oder verkauft; es werden
vielmehr einzelne Gotteshäuser an Schwesterkirchen übergeben“: Dies betonte Kardinal Christoph Schönborn
am Abend des 06.11. bei einer Begegnung in der Pfarrkirche Neulerchenfeld im 16. Bezirk. Die Pfarrkirche Neulerchenfeld
wird im kommenden Jahr an die serbisch-orthodoxe Kirche übergeben, die derzeit in Wien nur über drei
kleine Gotteshäuser verfügt; die katholische Pfarre Neulerchenfeld wird mit der Pfarre Maria Namen zusammengelegt,
das Pfarrzentrum in der Grundsteingasse bleibt für die Katholiken erhalten. Vor der Begegnung hatte der Wiener
Erzbischof - in Konzelebration mit den Pfarrseelsorgern von Neulerchenfeld und Maria Namen, Tadeusz Cichon und
P. Edwin P. Bonislawski, sowie dem Großenzersdorfer Pfarrer Helmut Ringhofer, der aus dem Pfarrgebiet stammt
– in deutscher und polnischer Sprache die Abendmesse gefeiert: Seit Tadeusz Cichon Pfarrer in Neulerchenfeld ist,
wurde die Wiener Vorstadtpfarre ein Brennpunkt der polnischsprachigen Seelsorge in Wien.
Bei der Diskussion nach der Messfeier erinnerte Kardinal Schönborn daran, dass man gemeinsam auf die Wahrheit
schauen müsse, sie sei „zumutbar“. In den letzten Jahren habe es in Wien enorme Veränderungen gegeben.
Die Zahl der angestammten Katholiken gehe zurück; zugleich müsse man aber auch sehen, dass die Mehrheit
der Immigranten Christen sind. Auch unter den Katholiken hätten heute mehr als 25 Prozent „Migrationshintergrund“.
Die meisten kämen aus Polen, Kroatien, Indien und von den Philippinnen. In diesem Zusammenhang wies der Wiener
Erzbischof entschieden Meinungen zurück, in Neulerchenfeld würden „polnische Katholiken vertrieben“:
„Diese polnischsprachige Gemeinschaft ist nicht auf ein bestimmtes Gotteshaus, sondern auf die Person eines guten
Seelsorgers ausgerichtet. Das soll auch anderswo weitergehen. Eine Gemeinde besteht nicht aus Steinen, sondern
aus Menschen“. Gerade die so lebendige polnische Gemenschaft in Wien liege ihm besonders am Herzen, betonte Kardinal
Schönborn, deshalb gebe es auch in Wien –neben der Gardekirche und der Salesianerinnenkirche am Rennweg -
zehn weitere Gotteshäuser, in denen regelmäßig polnische Messfeiern stattfinden.
Man müsse aber auch sehen, dass es heute in Österreich rund eine halbe Million orthodoxer und orientalisch-orthodoxer
Christen gibt, die dringend Gotteshäuser brauchen, erinnerte der Wiener Erzbischof. Es gebe in diesem Zusammenhang
Anfragen der syrisch-orthodoxen, der koptisch-orthodoxen und der äthiopisch-orthodoxen Kirche. Bereits 1974
sei die alte Lainzer Pfarrkirche an die syrisch-orthodoxe Kirche übergeben worden, in den letzten Jahren auch
zwei kleine Gotteshäuser an die Kopten. Im Sinne christlicher Solidarität sei es notwendig, diesen Schwesterkirchen
zu helfen. Das sei aber auch wichtig für die Zukunft des Christentums in Wien.
In der Stadt Wien werde man 172 katholische Pfarrkirchen nicht halten können, wenn relativ wenig Bewohner
der Stadt „praktizierende“ Katholiken sind. „Das ist eine schmerzliche Realität“, so Kardinal Schönborn
wörtlich. Was für ihn aber nicht in Frage komme, sei ein Verkauf von Kirchen, damit sie – so wie in westeuropäischen
Ländern – Einkaufszentren oder Discos werden: „Deswegen übergeben wir lieber das eine oder andere Gotteshaus
an östliche Kirchen, mit denen wir so viel gemeinsam haben“.
Die Begegnung in der Neulerchenfelder Kirche unter Leitung der Theologin Veronika Prüller-Jagenteufel nach
dem bewährten Modell der „Diözesanversammlungen“ im Rahmen der „Apostelgeschichte 2010“ war eine offene
Aussprache, bei der viele Pfarrangehörige und Besucher der polnischen Messfeiern Gelegenheit hatten, ihre
Meinung zu deponieren. Am „offenen Mikrofon“ war abschnittsweise viel Emotion spürbar; auch Kardinal Schönborn
räumte ein, dass „Fehler in der Kommunikation“ verbessert werden müssten. Der versöhnliche Ausklang
bestand in der Übereinstimmung, dass die nächsten Monate gemeinsam als „geistlicher Weg“ der inneren
Erneuerung gegangen werden müssen.
Schon bei der Messfeier hatte der Wiener Erzbischof den spirituellen Aspekt betont: Pfarre bedeute im ursprünglichen
Sinn eine Gemeinschaft von Menschen, die „Pilger“ sind und „keine bleibende Stätte“ haben. Ein Schlüsseltext
in diesem Zusammenhang sei der „Brief an Diognet“, einer der frühesten christlichen Texte: „Jede Heimat ist
den Christen Fremde, jede Fremde ist ihnen Heimat“. Die Erfahrung „Wir sind überall zuhause“ sei etwas Wunderbares
am christlichen Glauben, sagte Kardinal Schönborn, der selbst als Kind ein Flüchtlings- und Migrantenschicksal
erlebt hat. |