Hauptverband und Wifo luden zur vierten Sozialstaatsenquete "Sind gerechtere Gesellschaften
gesünder ?"
Wien (sv) - Zum Thema "Sind gerechtere Gesellschaften gesünder?" fand am 05.11. im
Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger bereits zum vierten Mal die Sozialstaatsenquete
statt. In Zusammenarbeit mit dem österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung diskutierten unter
großer Beteiligung der Spitzen von Politik und Verwaltung namhafte Experten die Zusammenhänge zwischen
Wohlstand, Einkommensverteilung und Gesundheitszustand der Bevölkerung. Der Vorsitzende des Verbandsvorstandes
im Hauptverband, Hans Jörg Schelling, betonte gleich zu Beginn seiner Begrüßungsansprache, dass
die Gesundheitsausgaben Österreichs - immerhin rund 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - nur zu 20 Prozent
die Gesundheit der Bevölkerung mitbestimmen. Der größere Teil wird von anderen Faktoren - die nicht
im Zusammenhang mit dem Gesundheitssystem im engeren Sinn stehen - beeinflusst. Schelling: "Um die Gesundheit
in Österreich nach dem Motto "Länger leben bei guter Gesundheit" nachhaltig verbessern zu können,
braucht es eine Gesundheitsorientierung in allen Politikbereichen ("Health in all politics")".
Sozialminister Rudolf Hundstorfer betonte die Wichtigkeit der Umverteilungsfunktion der öffentlichen Hand
und den aktivierenden Sozialstaat als Startrampe. Ohne Umverteilung des Staates würde das Armutsrisiko drei
Mal so hoch seine als dieses gegenwärtig ist. Hauptmotor für mehr Verteilungsgerechtigkeit ist und bleibt
dennoch der Arbeitsmarkt. Hundstorfer: "In diesem Bereich werden wir auch in Zukunft verstärkt Maßnahmen
setzen, die die Arbeitsmarktintegration von Arbeitslosen verbessern helfen".
Der Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung, Prof. Karl Aiginger, hob in seinem Vortrag hervor, dass
Gesellschaften mit geringeren Unterschieden in der Bildung eine höhere Lebenserwartung, eine höheres
Wachstum und auch mehr Beschäftigung haben. Die Trends zur Globalisierung und neuere Technologien, die qualifizierte
Arbeitskräfte benötigen, sind Kräfte, die eher eine ungleichere Einkommensverteilung zur Folge haben.
Eine politische Gegensteuerung über Bildungs- und Steuerpolitik sowie positive Anreize zur Erwerbsbeteiligung
müssen daher noch gezielter an der Wurzel des Problems ansetzen. Aiginger: "Eine Erhöhung der Bildungschancen
verringert die Einkommensdifferenzen, senkt die Gesundheitskosten, erhöht die Lebenserwartung und sichert
die Beschäftigung. Den dadurch gewonnenen Vorteil hat die gesamte Gesellschaft und langfristig profitieren
davon auch die Bezieher höherer Einkommen".
Prof. Giacomo Corneo von der Freien Universität Berlin zeigte in seinem Vortrag die langfristige Entwicklung
der Einkommensverteilung bzw. Einkommenskonzentration im 20. Jahrhundert. In den ersten sieben Jahrzehnten ist
die Einkommenskonzentration gesunken, in den letzten drei Jahrzehnten blieb die Einkommenskonzentration in Deutschland,
Frankreich, Schweiz und den Niederlanden weitgehend konstant, während sie in Großbritannien stark angestiegen
ist. Aber auch für Kontinentaleuropa gilt, dass das Privatvermögen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt
stärker steigt und die Einkommenskonzentration zunimmt. Corneo: "Erbschaften und Vermögen bestimmen
mehr als das Einkommen aus Beschäftigung über die individuelle Position in der Verteilungshierarchie".
Prof. Corneo sieht die Zunahme der Ungleichheit durch die Entwicklung von Vermögen und Erbschaften zu einem
Großteil mitbestimmt.
Prof. Richard Wilkinson, Co-Autor des Buches "The Spirit Level " zeigte in seiner Präsentation die
Zusammenhänge von gleicher Einkommensverteilung sowie sozialer und gesundheitlicher Situation auf. Wilkinson:
"In jenen Ländern, in denen die Einkommen gerechter verteilt sind (allen voran in den nordischen Ländern),
gibt es weniger psychische Erkrankungen, weniger Alkohol- und Drogensucht, eine geringe Säuglingssterblichkeit,
weniger Fettleibigkeit, weniger Teenager-Schwangerschaften, eine geringere Selbstmordrate und weniger Gefängnisstrafen".
Auch die soziale Mobilität und das Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen ist in diesen Ländern
deutlich höher. Eine gerechtere Einkommensverteilung kommt, so Wilkinson weiter, aber nicht nur jenen zugute,
die sozial und ökonomisch benachteiligt sind, sondern allen Einkommenssichten. Für die Zukunft sprach
er sich für große soziale Veränderungen aus, die nicht ein mehr an Konsum sondern ein mehr Freizeit
bedeutet, und auch eine Verbesserung in der sozialen Umwelt erfordert.
Die Sozialversicherung garantiert unabhängig von Alter, Einkommen, sozialer Herkunft und Bildung hochwertige
Gesundheitsversorgung und eine sichere Pensionsvorsorge. Aktuell sind rund 8,2 Millionen Menschen anspruchsberechtigt
(Versicherte und mitversicherte Angehörige). Der Behandlungsanspruch aus der Krankenversicherung wird beim
Arzt durch das e-card-System angezeigt: Die e-card als Schlüsselkarte enthält keine medizinischen Daten,
ermöglicht dem Arzt aber die Überprüfung des Versicherungsstatus eines Patienten bzw. einer Patientin
und die Nutzung weiterer Services. Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ist
das organisatorische Dach über der solidarischen Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung Österreichs. |