Wien (grüne) - Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk hat die missbrauchsanfällige und daher
umstrittene Briefwahl am 04.11. heftig kritisiert. Er bezeichnete die Regelung bei einer parlamentarischen Diskussionsveranstaltung,
die von der Verfassungssprecherin der Grünen, Daniela Musiol initiiert wurde, wörtlich als eine "Pfusch"-
und "Witz"-Regelung, die "ins Skurrile" gehe. Hauptkritikpunkte sind die tagelange Nachfrist,
binnen der Wahlkarten bei der Wahlbehörde einlangen können sowie die völlig unkontrollierte Möglichkeit,
Wahlkarten zu bestellen und diese auch entgegenzunehmen.
"Züge einer Witz-Regelung"
Auch bei der Ausübung des Wahlrecht selbst gibt es keine Kontrollen. Wenn die auf der Wahlkarte vorgesehene
eidesstattliche Erklärung, wonach der Stimmzettel persönlich, unbeobachtet und unbeeinflusst ausgefüllt
wurde, gefälscht wird, gibt es keine Konsequenzen. Denn eine solche Fälschung sei als Straftatbestand
abgeschafft worden, sagte Funk. Was die Sanktionen betrifft, gehe die Briefwahl-Regelung "ins Skurrile"
und habe "Züge einer Witz-Regelung". "Da wurde gepfuscht", lautete das vernichtende Urteil
des Verfassungsexperten. Er gab zu bedenken, dass es beim Wahlrecht "ins Eingemachte" gehe und riet daher
zu einer der Wichtigkeit dieses Themas angemessenen Reform.
Unerwünschte "Nebenwirkungen"?
Der Leiter der Wahlabteilung im Innenministerium, Robert Stein, begründete die Nachfristen damit,
dass eine Streichung "Nebenwirkungen" hätte. Und zwar könnten dadurch viele Wahlkarten wegfallen,
weil sie zu spät einlangen. Als Grund nannte Stein die Neigung des Menschen, alles auf die lange Bank zu schieben.
Außerdem würde durch eine Streichung der Nachfrist Auslandsösterreichern Zeit weggenommen werden.
Die Betroffenen selbst widersprachen dem: Sowohl Brigitta Blaha von der Abteilung Auslandsösterreicher im
Außenamt als auch Jürgen Em vom Weltbund der Auslandsösterreicher hätten mit einer Abschaffung
der Nachfristen kein Problem, solange die Fristen vor der Wahl - etwa für die Wahlkarten-Bestellung - verlängert
werden. Für Em wäre das sogar wichtiger.
Die von der Regierung Gusenbauer-Molterer als Teil eines "Demokratiepakets" eingeführte Briefwahl
ist seit Bekanntwerden von Missbrauchsfällen heftig umstritten. Auf Parlamentsebene gibt es derzeit Gespräche
über eine Reform, wobei in der Frage der Nachfristen alle Parteien mit Ausnahme der ÖVP für eine
Abschaffung sind.
"Es ist wichtig, für die Briefwahl endlich eine tragfähige Lösung zu finden. Einige Problembereiche
sind ja offensichtlich und auch bei der Gemeinderatswahl in Wien wieder zu Tage getreten. So sind etwa rund um
die Stimmabgabe in Pflegeheimen nachweislich Fehler passiert. Aber auch die Problematik der verspäteten Stimmabgabe
(taktisches Wählen) muss eingehend beleuchtet werden, um eine rechtlich haltbare Lösung zu finden",
erklärt Musiol. |