Gerichtshof sieht darin unverhältnismäßige Verletzung
des Datenschutzes
Wien (bmlfuw/aiz) - Die personenbezogene Veröffentlichung der EU-Agrarbeihilfen ist unzulässig.
Der Datenschutz wurde hierbei nicht ausreichend berücksichtigt, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH)
am 09.11. in Luxemburg entschied. Er sieht in der Transparenzdatenbank eine "unverhältnismäßige
Maßnahme" und folgt damit in zwei Fällen den rechtlichen Bedenken des Verwaltungsgerichts Wiesbaden.
In Deutschland werden die Angaben von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung ins Internet
eingestellt. Nach dem Luxemburger Urteil ist dies nur für die Zukunft, nicht aber rückwirkend angreifbar.
"Wir sehen uns durch den EuGH in unserer Rechtsansicht bestätigt", stellt Anton Reinl, Leiter der
Abteilung Rechts-, Steuer-, Sozial- und Umweltpolitik sowie designierter Generalsekretär- Stellvertreter in
der LK Österreich, gegenüber aiz.info fest. Es sei demnach unzulässig, weitere Daten natürlicher
Personen im Internet zu veröffentlichen. Förderdaten von juristischen Personen (GesmbH, AG, Stiftungen)
könnten weiterhin offengelegt werden, so Reinl. Die bisher veröffentlichen Daten dürften vorerst
im Netz bleiben.
Anlassfall war Klage deutscher Betriebe
"Die Rechtsvorschriften der Union betreffend die Veröffentlichung von Informationen über die Empfänger
von Mitteln aus den europäischen Landwirtschaftsfonds sind teilweise ungültig. Die Verpflichtung zur
Veröffentlichung der Namen natürlicher Personen, die Empfänger einer solchen Beihilfe sind, und
der genauen Beträge, die sie erhalten haben, ist im Hinblick auf das Ziel der Transparenz eine unverhältnismäßige
Maßnahme", stellte der EuGH heute fest.
Anlass für diesen Entscheid waren die Klagen der Volker und Markus Schecke GbR, (landwirtschaftlicher Betrieb
in Deutschland) und von Hartmut Eifert (Inhaber eines Vollerwerbsbetriebs) beim Verwaltungsgericht Wiesbaden. Die
beiden Kläger hatten beantragt, das Land Hessen zu verpflichten, die sie betreffenden Daten nicht zu veröffentlichen.
Da das nationale Gericht in den Rechtsvorschriften der EU über die Pflicht zur Offenlegung dieser Daten durch
die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung einen "nicht gerechtfertigten Eingriff in das
Grundrecht auf Schutz der personenbezogenen Daten" sieht, hat es den Gerichtshof ersucht, die Gültigkeit
dieser Rechtsvorschriften zu prüfen.
Der EuGH stellt nunmehr dazu fest, dass sich die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannte
Achtung des Privatlebens hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten auf jede Information erstreckt,
die eine bestimmte natürliche Person betrifft. Einschränkungen dieses Rechts seien nur gerechtfertigt,
wenn sie "im Rahmen der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten geduldet
werden".
Verletzung des Rechts auf Achtung des Privatlebens
Die Veröffentlichung von Daten mit den Namen der Empfänger von EGFL- und ELER-Mitteln und der genauen
Beträge auf einer Internetseite stellt, wie der Gerichtshof weiter ausführt, "aufgrund der Tatsache,
dass Dritte Zugang zu diesen Daten erhalten, eine Verletzung des Rechts der betroffenen Empfänger auf Achtung
ihres Privatlebens im Allgemeinen und auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten im Besonderen dar". Eine solche
Verletzung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn sie "unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
erforderlich ist", so der EuGH. Außerdem müssten sich die Ausnahmen und Einschränkungen in
Bezug auf den Schutz der personenbezogenen Daten auf das absolut Notwendige beschränken. Genau diese Verhältnismäßigkeit
sei aber im vorliegenden Fall der Transparenzdatenbank nicht gegeben.
Übers Ziel geschossen
Der Gerichtshof stellt in diesem Zusammenhang sehr wohl fest, dass "die Steuerzahler einen Anspruch darauf
haben, über die Verwendung der öffentlichen Gelder informiert zu werden". Gleichzeitig sei hier
aber eine "ausgewogene Gewichtung der verschiedenen beteiligten Interessen" erforderlich. Daher hätten
die betreffenden Organe zuerst prüfen sollen, ob die Veröffentlichung von Daten unter namentlicher Nennung
aller betroffenen Empfänger und der genauen Förderbeträge in jedem Mitgliedstaat auf einer frei
zugänglichen Internetseite "nicht über das hinausging, was zur Erreichung der verfolgten berechtigten
Ziele erforderlich war". Dazu komme, dass bei den Daten nicht nach Bezugsdauer, Häufigkeit oder Art und
Umfang der erhaltenen Beihilfen unterschieden werde.
Der Gerichtshof gelangt somit zu dem Ergebnis, "dass der Rat und die Kommission die durch die Wahrung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorgegebenen Grenzen überschritten haben". Insoweit
erklärt der EuGH daher bestimmte Vorschriften der Verordnung Nr. 1290/2005 und die Verordnung Nr. 259/2008
als Ganzes für ungültig.
Agrarrechtsexperten sehen sich bestätigt
Wie aiz.info berichtete, haben neben landwirtschaftlichen Interessenvertretern in Österreich auch angesehene
internationale Juristen in den vergangenen Jahren Kritik an dieser Art der Fördertransparenz geübt. So
stellte der renommierte Agrarrechtsexperte Prof. Roland Norer von der Universität Luzern in der Schweiz bereits
vor eineinhalb Jahren fest, dass die Veröffentlichung der einzelbetrieblichen Agrarförderungen im Internet
gegen EU-Gemeinschaftsrecht verstoße. Sie sei ein "unverhältnismäßiger Eingriff in die
Privatsphäre und darüber hinaus das falsche Mittel, um die damit verbundenen Ziele zu erreichen",
so Norer.
In Brüssel nimmt man die EuGH-Entscheidung eher gefasst auf und spielt auf Zeit: Das Urteil habe keine unmittelbaren
Folgen, erklärte der Sprecher von EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos. Da erst im März 2011 die nächsten
Veröffentlichungen anstünden, bleibe der Kommission Zeit zu reagieren. An einer möglichst großen
Transparenz sei der Behörde aber weiterhin gelegen, betonte der Sprecher. |