Wirtschaftsaufschwung in der EU gewinnt an Fahrt, aber Fortschritte sind unausgewogen
Brüssel (ec.europa.) - Die Herbstprognose der Kommissionsdienststellen geht von einer Fortsetzung
des derzeitigen Wirtschaftsaufschwungs aus. Das BIP dürfte in den Jahren 2010-11 um rund 1¾ % steigen
und 2012 bei 2 % liegen. Die bislang über den Erwartungen liegende Wirtschaftsleistung für dieses Jahr
untermauert den bedeutenden Aufwärtstrend beim Jahreswachstum für 2010 im Vergleich zur Frühjahrsprognose.
Vor dem Hintergrund einer Verlangsamung der Weltwirtschaft und dem Beginn der Haushaltskonsolidierung dürfte
sich die Wirtschaftstätigkeit bis Jahresende und im Jahr 2011 verlangsamen, um 2012 aufgrund einer stärkeren
Nachfrage der Privathaushalte wieder anzuziehen. Angesichts der derzeitigen Konjunkturerholung in der EU rechnet
man für den Berichtszeitraum mit einer langsamen Verbesserung der Arbeitsmarktbedingungen sowie der Haushaltslage.
Die Arbeitslosenquote dürfte bis 2012 auf rund 9 % zurückgehen und die öffentlichen Defizite dürften
auf rund 4¼ % des BIP fallen. Die Entwicklungen in den Mitgliedstaaten verlaufen indes sehr unausgewogen.
Dazu Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn: "Der Wirtschaftsaufschwung ist eine Realität.
Ich freue mich insbesondere darüber, dass die Arbeitslosigkeit in Europa im nächsten Jahr endlich zurückgehen
dürfte. Die öffentlichen Defizite sind dank der Konsolidierungsmaßnahmen und des wieder anziehenden
Wachstums rückläufig. Dennoch verläuft der Aufschwung unausgewogen und viele Mitgliedstaaten befinden
sich gerade in einer schwierigen Anpassungsphase. Der feste Wille zur Fortführung der Haushaltskonsolidierung
und angemessene Strategien zur Wachstumsförderung sind von ganz entscheidender Bedeutung, will man eine solide
Grundlage für ein nachhaltiges Wachstum und neue Arbeitsplätze schaffen. Die Turbulenzen auf den Märkten
für öffentliche Schuldtitel unterstreichen die Notwendigkeit solider politischer Maßnahmen."
Bislang sehr ermutigende Entwicklungen
Wie in früheren Aufschwungsphasen nach Finanzkrisen hat die derzeitige Konjunkturverbesserung viele Facetten.
So hat sich die Wirtschaftslage in der EU in jüngster Zeit spürbar erholt und das BIP-Wachstum hat 2010,
vor allem aber im zweiten Quartal, eine erfreuliche Entwicklung genommen. Darüber hinaus scheint die Erholung
immer mehr Länder zu erfassen. Während die Exporte - in der ersten Phase des herkömmlichen Erholungsschemas
– über einen bestimmten Zeitraum ein solides Wachstum verzeichneten, tritt die EU-Wirtschaft nun in die nächste
Phase ein, in der der Exportanstieg die Investitionsnachfrage (nach Anlagegütern) anheizt.
Allmähliche und unausgewogene Erholung
Angesichts der projizierten Verlangsamung der Weltwirtschaft, die das Exportwachstum dämpfen dürfte,
und der auslaufenden vorübergehenden Maßnahmen müssen die kurzfristigen Aussichten für die
EU-Wirtschaft relativiert werden. So dürfte der Beitrag der Nettoexporte zum BIP-Wachstum während des
Prognosezeitraums rückläufig sein, wohingegen der Beitrag der Inlandsnachfrage aufgrund einer allmählichen
Konsolidierung der Investitionen und eines Anstiegs des privaten Verbrauchs steigen dürfte. Was die Investitionen
betrifft, wird von einer Verbesserung der Kapazitätsauslastung und der Gewinnlage der Unternehmen ausgegangen,
die das Wachstum zusammen mit anderen Faktoren unterstützen dürften. Demgegenüber dürften sich
Bilanzberichtigungen und Haushaltskonsolidierungen wachstumshemmend auswirken. Hinsichtlich des privaten Verbrauchs
dürften eine langsame Erholung des Arbeitsmarkts, ein gemäßigtes Wachstum der Löhne und Gehälter
und eine moderate Inflation die projizierte Erholung stützen, während die Konsolidierung und der Schuldenabbau
der Privathaushalte einen wachstumshemmenden Effekt zeitigen dürften.
Während sich die Erholung weltweit immer mehr selbst trägt, verbleiben die Fortschritte zwischen den
Mitgliedstaaten unausgewogen. So zieht die Konjunktur in einigen Ländern relativ schnell an, wohingegen sie
sich in anderen dahin schleppt. Diese Situation macht die Unterschiede zwischen den Anpassungsherausforderungen
der einzelnen Volkswirtschaften und die kontinuierliche Neugewichtung innerhalb der EU und dem Euroraum deutlich.
Allmähliche Verbesserung der Arbeitsmarktbedingungen und der öffentlichen Finanzen
Typischerweise hinken die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt den BIP-Entwicklungen um mindestens ein halbes Jahr
hinterher. Gemäß diesem Schema haben sich die Arbeitsmarktbedingungen in der EU in den jüngsten
Monaten stabilisiert und für den Prognosezeitraum wird mit einer moderaten Verbesserung gerechnet. Für
2011 wird mit einem Beschäftigungswachstum von ½ % und für 2012 von rund ¾ % gerechnet,
während die Arbeitslosenquote allmählich von 9½ % in diesem Jahr auf 9 % bis 2012 zurückgehen
dürfte. Die allgemeinen Bedingungen dürften aber schwach bleiben, was u. a. auf das Auslaufen der infolge
der Rezession ergriffenen politischen Maßnahmen und die aktuellen Strukturanpassungen, nicht zuletzt im öffentlichen
Sektor, zurückzuführen ist.
Auf der Seite der öffentlichen Finanzen werden ebenfalls gewisse Verbesserungen erwartet, denn ungefähr
die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten dürfte 2010 ein niedrigeres gesamtstaatliches Defizit als 2009 ausweisen.
Da die Konjunkturbelebungsmaßnahmen allmählich auslaufen und die Konsolidierung immer mehr greift, wird
im nächsten Jahr von einem Rückgang des Defizits in 24 Mitgliedstaaten ausgegangen. Für die EU insgesamt
dürfte das Defizit 2011 leicht über 5 % des BIP liegen und sich 2012 um rund 1 Prozentpunkt verringern,
wenn die Konjunkturerholung an Terrain gewinnt. Die Schuldenquote dürfte allerdings im Prognosezeitraum weiterhin
steigen.
Inflation bleibt niedrig
Für die nächsten Jahre wird mit einer relativ niedrigen Inflation bei den Verbraucherpreisen sowohl in
der EU als auch im Euroraum gerechnet. Die HVPI-Inflation dürfte in der EU in diesem und im nächsten
Jahr bei durchschnittlich 2 % liegen und sich 2012 um die Marke von 1¾ % bewegen (für den Euroraum
wird ein Wert von 1¾ % für die Jahre 2011-12 erwartet). Die anhaltende Stagnation der Wirtschaft zusammen
mit einem unbedeutenden Wachstum der Löhne und Gehälter sowie der Lohnstückkosten dürften die
Inflation im Zaum halten, auch wenn in einigen Mitgliedstaaten ein leichter Anstieg der Warenpreise und eine Erhöhung
der indirekten Steuern und der reglementierten Preise zu verzeichnen ist.
Große Unsicherheit, aber generell ausgewogene Risiken
Angesichts der nach wie vor hohen Unsicherheit sind die Risiken für die Aussichten des EU-Wachstums nicht
zu unterschätzen, auch wenn sie generell ausgewogen zu sein scheinen. Als vielversprechend sind die Entwicklung
des BIP-Wachstums zugunsten der Inlandsnachfrage und die Aussicht auf mögliche positive Auswirkungen des Konjunkturaufschwungs
in Deutschland auf andere Mitgliedstaaten zu werten. Möglicherweise könnten diese Entwicklungen größere
Wirkung als derzeit erwartet zeitigen. Auch könnten sich politische Maßnahmen zur Begrenzung der hohen
Defizite und der Verschuldung als wirksamer als erwartet erweisen, wenn es um die Zerstreuung von Bedenken der
Märkte und die Stärkung des Vertrauens von Unternehmen und Verbrauchern geht. Nichtsdestoweniger bleibt
die Lage auf den Finanzmärkten nach wie vor besorgniserregend, da mit weiteren Spannungen gerechnet wird,
wie z. B. unlängst auf den Märkten für Staatsanleihen. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen,
dass sich die Auslandsnachfrage schlechter entwickelt als erwartet und die Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen
die Inlandsnachfrage in den betreffenden Ländern stärker als angenommen belasten. Bei den Inflationsaussichten
halten sich die Risiken in etwa die Waage. |