Wohin geht die europäische Agrarpolitik?   

erstellt am
26. 11. 10

Expertenhearing im Landwirtschaftsausschuss
Wien (pk) - Die Zukunft der europäischen Agrarpolitik (GAP) stand am 25.11. im Mittelpunkt eines Hearings im Landwirtschaftsausschuss, in dem sich Expertinnen und Experten mit den Perspektiven für die Landwirtschaft vor dem Hintergrund der Globalisierung und der ökologischen Herausforderungen auseinandersetzten. Anknüpfungspunkt war ein Paket von Anträgen der Grünen und des BZÖ, die Forderungen nach einer klaren Positionierung der Bundesregierung für die Zeit nach 2013 unter Berücksichtigung der Frage der Nachhaltigkeit, aber auch der Marktchancen für die heimischen bäuerlichen Betriebe enthielten. Diese Anträge wurden auf Vorschlag des Abgeordneten Kurt Gaßner (S) mehrheitlich vertagt. Das Thema GAP-Reform wird im Landwirtschaftsausschuss weiterhin auf der Tagesordnung stehen, schon in der nächsten Sitzung in Form einer aktuellen Aussprache und dann auch bei einer Parlamentarischen Enquete, teilte Abgeordneter Gaßner mit.

Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich schickte voraus, das diesbezügliche Kommissionspapier lasse noch viele Fragen offen, so etwa jene der finanziellen Ausstattung des Agrarbudgets und der detaillierten Höhe der Prämien, treffe aber entscheidende Weichenstellungen im Sinne Österreichs. Für die heimische Landwirtschaft sei es wichtig, dass es zu einer Weiterentwicklung der GAP und nicht zu einem Umbruch des Systems kommt, stellte der Ressortchef klar. Die Bauern müssen Sicherheiten hinsichtlich der Rahmenbedingungen vorfinden, öffentliche Gelder seien mit einer Leistungskomponente auszustatten. Berlakovich konnte sich eine Obergrenze für Agrarsubventionen vorstellen und nannte in diesem Zusammenhang einen Betrag von 800.000 Euro.

Er begrüßte es, dass nach dem vorliegenden Papier die Bergbauernförderung in der zweiten Säule verbleibt und Österreichs Politik einer flächendeckenden Bewirtschaftung gerade in schwierigen Regionen dadurch weitergeführt werden könne. Als Erfolg der österreichischen Arbeit in Brüssel verbuchte Berlakovich auch den Umstand, dass es keine Flatrate geben werde.

Leo Steinbichler zeichnete ein pessimistisches Bild der heimischen Landwirtschaft und sprach insgesamt von Fehlentwicklungen. Die Preise seien so hoch wie vor 40 Jahren, die Bauern könnten dadurch nicht mehr kostendeckend wirtschaften, von der Politik des Feinkostladens habe sich Österreich längst verabschiedet. Er beklagte jüngste Lebensmittelskandale wie etwa den Kunstkäse, die zulasten der österreichischen Bauern geführt haben, und kritisierte Versäumnisse bei der Kennzeichnung. Er forderte Ausgleichszahlungen, insbesondere eine Anhebung der Grünlandprämie, und unterstrich mit Nachdruck, Bauerngeld müsse in die Bauernhöfe gehen.

Iris Strutzmann erklärte die Schaffung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum auch im sekundären und tertiären Sektor zum zentralen Ziel einer gemeinsamen Agrarpolitik ab 2013. Wichtig sei es dabei, eine entsprechende Infrastruktur zu errichten, um die Landregionen auch für Frauen und Jugendliche attraktiv zu erhalten und der Abwanderung entgegen zu wirken. Sie forderte weiters eine gerechtere Verteilung der Agrarförderungen und Obergrenzen bei der Auszahlung. Insgesamt meinte sie, die Subventionen müssten verstärkt in die Arbeitsplätze im ländlichen Raum gehen.

Irmi Salzer plädierte für die Förderung der kleineren landwirtschaftlichen Betriebe und eine stärkere Ausrichtung auf ökologische Kriterien sowie eine Umverteilung der Direktzahlungen. Hinsichtlich des Milchbereiches verlangte sie eine effiziente Marktregulierung, die sich am Bedarf der EU zu orientieren habe, insbesondere eine bessere und flexiblere Ausgestaltung der Milchquoten. Auch Salzer drängte auf Maßnahmen zur Erhaltung des ländlichen Raumes und schlug vor, die Auszahlungen der Förderungen verstärkt an den Faktor Arbeitskraft zu koppeln. Die Bundesregierung rief sie dazu auf, als Vorkämpfer für eine Umkehr des Strukturwandels zu agieren.

Edith Klauser sah die gemeinsame Agrarpolitik unter dem Aspekt der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und des Schutzes von natürlichen Ressourcen und räumte ebenfalls der Förderung der ländlichen Wirtschaft hohen Stellenwert ein. Wichtig war für sie, dass die Zahlungen der ersten Säule mit einer ökologischen Komponente verbunden werden, sodass es demnach ein Basiseinkommen und eine Umweltprämie gibt. Auch gelte es, die vorhandenen wirtschaftlichen Potentiale auf lokaler Ebene zu nutzen und darüber hinaus Ausgleich für benachteiligte Regionen zu schaffen.

Ernst Huber warnte vor drastischen Kürzungen für Österreichs Agrarbetriebe nach 2013 und sprach von einer existentiellen Gefahr, insbesondere für die heimischen Bergbauern. Gerade angesichts der großen Bedeutung der Rinderzucht sei es unabdingbar, die Position Österreichs als Zucht- und Exportland aufrecht zu erhalten.

Thomas Schmidthaler nahm zur Lage auf dem Milchsektor Stellung und trat für eine Bündelung der Milchbauern ein, um ihre Verhandlungsposition zu stärken. Auch sollte in der EU eine Monitoring-Stelle eingerichtet werden, die einen kostendeckenden Milchpreis für die Gunstlage ermittelt, benachteiligte Gebiete sollten einen Ausgleich erhalten. Zudem schlug Schmidthaler eine flexible Mengenregelung und die Erstellung eines Preisbandes vor, bei dessen Überschreitung bzw. Unterschreitung die Mengen erhöht oder gesenkt werden können.

Franz Hochegger sah die gemeinsame Agrarpolitik vor allem dazu aufgerufen, ihre Maßnahmen in Richtung des Arbeitseinsatzes im Betrieb zu treffen, sprach sich darüber hinaus für Obergrenzen bei der Förderung aus und verlangte eine wirksame Kennzeichnung der Lebensmittel hinsichtlich ihres Herkunftslandes.

Ewald Grünzweil meinte, Österreich brauche eine völlig andere Agrarpolitik, und forderte eine "Schubumkehr". Ihm ging es vor allem um kostendeckende und gewinnbringende Preise für die Milchbauern, eine flexible Steuerung der Milchmenge und sozialen Ausgleich für die Bergbauern. Die Betriebe sollten seiner Einschätzung nach eher eine überschaubare Größe haben, zumal, wie er sagte, Großbetriebe mit Landwirtschaft oft nichts mehr zu tun hätten.

Adolf Marksteiner beklagte, Österreichs System der Förderabwicklung sei mit viel Verwaltung verbunden. Er konnte sich etwa Vereinfachungen im Bereich der Rinderkennzeichnung oder ein einheitliches Zahlungsmodell bei der Betriebsprämie vorstellen.
   

In der Diskussion plädierte Abgeordneter Harald Jannach (F) für eine Begrenzung der Förderungen und thematisierte überdies die Situation auf dem Milchmarkt. Abgeordneter Ewald Sacher (S) trat ebenfalls für Förderobergrenzen ein und verlangte zudem eine bessere Lebensmittelkennzeichnung. Abgeordnete Rosemarie Schönpass (S) wiederum sah die Agrarpolitik aufgerufen, entsprechende Rahmenbedingungen für gesunde, qualitativ hochstehende Lebensmittel zu schaffen. Die Abgeordneten Gabriela Moser und Wolfgang Pirklhuber (beide G) brachen eine Lanze für Förderungen in den Biolandbau, während Abgeordnete Christiane Brunner (G) Maßnahmen der Agrarpolitik zugunsten des Klimaschutzes einmahnte. Abgeordneter Hermann Schultes (V) wies auf die gute Qualitätsentwicklung in der österreichischen Lebensmittelproduktion hin und erkundigte sich nach der Entwicklung der agrarischen Überschussverwertung. Problematisch sah Schultes die bäuerliche Entwicklung in der Nord-Ost-Region. Abgeordneter Gerhard Huber (B) hielt es für dringend notwendig, agrarpolitische Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Höfe abzusichern und drängte darauf, agrarpolitische Fehler der Vergangenheit in Zukunft zu vermeiden. Huber wandte sich insbesondere gegen die Förderung großer Molkereibetriebe und trat gegen den Import gentechnisch veränderter Futtermittel sowie für eine klare Kennzeichnung der Lebensmittel ein.

Reinhard Mang informierte darüber, dass das Optionenpapier die Fortführung marktregulierender Instrumente ausdrücklich vorsehe. Die Exporterstattung hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung verloren, erfuhren die Abgeordneten, sie werde nur noch bei extremen Marktstörungen eingesetzt, etwa bei der letzten Milchkrise.

Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich legte ein nachdrückliches Bekenntnis für die Fortsetzung des österreichischen Wegs in der biologischen Landwirtschaft aber auch des ökologischen Weges in der konventionellen Landwirtschaft ab. "Da aber auf den Märkten eine andere Musik spielt", sei es notwendig, ökologische Leistungen durch Förderungen abzugelten, hielt der Minister fest. Er unterstütze kleine Molkereien und könne sich nicht vorstellen, die Agrarförderungen in Osteuropa an das Niveau der alten EU-Länder, wo völlig andere Markt- und Produktionsbedingungen herrschen, anzugleichen, sagte Berlakovich.

In einer weiteren Fragerunde beantworteten die Experten und der Landwirtschaftsminister eine Fülle von Detailfragen der Abgeordneten.

Leo Steinbichler warnte vor "PR-Schmähs" bei der Lebensmittelkennzeichnung, die dazu führen könnten, dass die Konsumenten das Vertrauen verlieren, weil Produkte auf denen ein österreichisches Gütezeichen klebe, importierte Waren enthalte.

Ewald Grünzweil erläuterte Abgeordnetem Franz Eßl (V) seinen Vorschlag, dass die Bauern grundsätzlich von Marktpreisen leben können sollten, die Beeinträchtigungen in benachteiligten Gebieten aber durch öffentliche Gelder ausgeglichen werden sollen.

Der Kritik des Abgeordneten Harald Jannach (F) an der Nichtauszahlung von Förderungen für viele tausend Betriebe, bei denen AMA-Kontrollen noch nicht abgeschlossen seien, hielt Minister Berlakovich entgegen, dass vorzeitige Förderungsauszahlungen nicht möglich seien, betroffen seien 4000 Betriebe.

Von Seiten der SPÖ plädierte Abgeordnete Elisabeth Hakel für eine Förderungsobergrenze von 100.000 Euro, was eine "hübsche Summe" an zusätzlichen Förderungsmitteln für Bergbauern und Nebenerwerbsbauern freimachen würde. Abgeordneter Kurt Gaßner (S) fragte, ob es für Österreich sinnvoll sein könne, seine agrarpolitische Position grundsätzlich mit großen Ländern wie Deutschland und Frankreich abzustimmen.

Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich führte aus, dass Österreich, Frankreich und Deutschland gemeinsam an einer Weiterentwicklung der GAP interessiert seien, erläuterte die Notwendigkeit von Marktinterventionen am Beispiel der letzten Milchkrise, die nur durch eine Marktintervention bewältigt werden konnte, und wies auf die Absicht hin, das Risikomanagement der Bauern zu stärken, indem Versicherungsprämien, wie schon bisher in der Hagelversicherung, unterstützt werden.

Mit Abgeordneter Christiane Brunner (G) zeigte sich der Landwirtschaftsminister einig in der Einschätzung, dass den erneuerbaren Energieträgern sowohl in der landwirtschaftlichen Produktion als auch im ländlichen Raum, wachsende Bedeutung zukommt.

Der mehrfach geäußerten Forderung, die Bauern konkreter über die Absichten der Kommission zu informieren, hielt der Minister entgegen, die Kommission selbst habe ihre Pläne noch nicht ausreichend präzisiert. Gegenüber dem Vorschlag des Abgeordneten Wolfgang Pirklhuber (G), in der Landwirtschaft die Vollkostenrechnung einzuführen, zeigten sich sowohl Experte Adolf Marksteiner, als auch Bundesminister Berlakovich ablehnend. Der Minister plädierte dafür, bei kleinen Betrieben das Pauschalierungssystem aufrecht zu erhalten und bürokratische Belastungen zu vermeiden.

Abgeordnete Ann Höllerer unterstrich die zunehmende Bedeutung weiblicher BetriebsübernehmerInnen und betonte die Notwendigkeit von Investitionsförderungen sowie von Bildungsprogrammen für Frauen im ländlichen Raum.

Die von sozialdemokratischer Seite, namentlich vom Abgeordneten Kurt Gaßner (S), angesprochene "Arbeitszeitstudie" problematisierte VP-Abgeordneter Peter Mayer, der die Befürchtung aussprach, ein solches Modell könnte unwirtschaftliche Betriebe begünstigen. Dem gegenüber stellte Expertin Irmi Salzer fest, ein auf Arbeitseinsatz basierendes Förderungsmodell stelle nicht auf individuelle Arbeitszeiten ab, sondern arbeite mit standardisierten Parametern.

Abgeordneter Gerhard Huber (B) erfuhr vom Experten Ernst Huber, dass nach einer Aufhebung der Milchkontingente in den westlichen Bundesländern, wo aus klimatischen und naturräumlichen Gründen nur Viehwirtschaft möglich sei, in den Bergen kaum bäuerliche Betriebe übrig bleiben würden. Das würde die Schutzfunktion, die Erholungsfunktion und die Wohlfahrtsfunktion der Landwirtschaft in den Bergregionen wesentlich beeinträchtigen.

Abgeordneter Harald Jannach (F) problematisierte die Verteilung der Agrarförderungen und kritisierte insbesondere die Auszahlung von Subventionsmitteln an öffentliche Körperschaften.

Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich machte darauf aufmerksam, dass eine Obergrenze von 100.000 Euro an Agrarförderungen pro Betrieb große Betriebe praktisch von der Umweltförderung ausschließen würde. Das könne man nicht wollen, wenn Österreich bei den biologischen und ökologischen Leistungen der Landwirtschaft "Europameister" bleiben will.

Mit Abgeordnetem Wolfgang Pirklhuber (G) zeigte sich der Minister einig, dass die Konsumenten die wichtigsten Partner der Landwirtschaft sind. Gegenüber Pirklhuber aber, der angesichts hoher Konzentration sowie Dumping und Spekulation auf den Lebensmittelmärkten den Begriff "freie Märkte" in Frage stellte, hielt der Minister die Bedeutung der Märkte für die österreichische Landwirtschaft, die immer stärker zum Feinkostladen Europas werde, fest. Angesichts steigender Qualitätsanforderungen an die Lebensmittelproduktion und zunehmender Nachfrage nach europäischen Lebensmitteln - auch aus Ländern wie China - sah der Minister gute Zukunftschancen für die landwirtschaftliche Produktion in Europa. Für die Weiterentwicklung der GAP empfahl Berlakovich einen evolutionären Weg.
     
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