Garching/München (idw) - Ein internationales Astronomenteam hat das erste Doppelsternsystem entdeckt,
bei dem sich ein pulsierender veränderlicher Stern vom Typ der Cepheiden und sein Begleitstern gegenseitig
bedecken. Ein Jahrzehnte altes Rätsel konnte damit gelöst werden, denn es gab zwei miteinander unverträgliche
theoretische Vorhersagen für die Massen von Cepheidensternen. Die seltene Konfiguration der Bahnen der beiden
Sterne in dem Doppelsternsystem ermöglichte die bisher genaueste Bestimmung der Masse eines Cepheiden. Die
neuen Resultate bestätigen nun die Vorhersage aus der Theorie stellarer Pulsationen, während die Abschätzungen
aus der Theorie der Sternentwicklung mit den Beobachtungen nicht vereinbar sind.
Die neuen Forschungsergebnisse des Teams, das von Grzegorz Pietrzyn'ski (Universidad de Concepción, Chile,
Obserwatorium Astronomiczne Uniwersytetu Warszawskiego, Polen) geleitet wird, erscheinen am 25. November 2010 in
der Fachzeitschrift Nature.
Grzegorz Pietrzyn'ski erläutert die neuen Resultate: “Mit dem HARPS-Instrument am 3,6 Meter Teleskop des Observatoriums
der ESO auf La Silla in Chile und anderen Teleskopen gelang es uns, die Masse eines Cepheiden viel genauer als
in vorangegangenen Studien zu messen. Dieses neue Ergebnis ermöglicht es uns, sofort festzustellen welche
der beiden konkurrierenden Theorien zur Vorhersage der Massen von Cepheiden die richtige ist.”
Klassische veränderliche Sterne vom Typ ? Cephei, oder kurz Cepheiden, sind instabile Sterne, die größer
und viel heller als die Sonne sind [1]. Sie dehnen sich regelmäßig aus und ziehen sich anschließend
wieder zusammen, wobei ein solcher Kreislauf je nach Stern zwischen einigen Tagen und mehreren Monaten dauert.
Die Zeit die der Cepheide braucht, um heller und anschließend wieder dunkler zu werden, ist länger bei
leuchtkräftigeren und kürzer bei leuchtschwächeren Sternen. Dieser Zusammenhang ist erstaunlich
genau bestimmbar. Das macht die Untersuchung von Cepheiden zu einem der besten Werkzeuge zur Vermessung der Entfernungen
naher Galaxien, mit deren Hilfe sich wiederum die Entfernungsskala des gesamten Universums eichen lässt [2].
Trotz ihrer großen Bedeutung versteht man die Cepheiden noch immer nicht vollständig. Vorhersagen ihrer
Massen aus der Theorie der Sternpulsationen liegen 20-30% niedriger als Vorhersagen aus der Theorie der Sternentwicklung.
Dieses drängende Problem ist seit den 60er Jahren bekannt.
Um dieses Rätsel zu lösen, mussten die Astronomen einen Doppelstern finden, der einen Cepheiden enthält
und auf dessen Bahnebene man von der Erde aus von der Seite sieht. Bei einem solchen so genannten Bedeckungsveränderlichen
ändert sich die scheinbare Helligkeit des Sternsystems, wenn einer der beiden Komponenten auf seiner Umlaufbahn
vor der anderen vorbeizieht, und nochmals wenn er hinter seinem Begleiter entlangläuft. Für so ein Doppelsternpaar
können Astronomen die Massen der Sterne sehr genau bestimmen [3]. Leider treten sowohl Cepheiden als auch
Bedeckungsveränderliche nicht besonders häufig auf, so dass die Chance so ein ungewöhnliches Paar
zu finden recht gering zu sein schien. In der Milchstraße ist kein derartiges Sternenpaar bekannt.
Wolfgang Gieren, ein weiteres Teammitglied, greift den Faden auf: “Vor kurzem haben wir tatsächlich in der
Großen Magellanschen Wolke das Doppelsternsystem gefunden auf das wir gehofft hatten. Es enthält einen
Cepheiden der mit einer Periode von 3,8 Tagen pulsiert. Der Begleitstern ist etwas grösser und kühler.
Beide Sterne umkreisen sich einmal alle 310 Tage. Bei der Beobachtung mit dem HARPS Spektrographen auf La Silla
offenbarte sich sofort die wahre Natur des Objekts als Doppelsternsystem.”
Während die beiden Sterne auf ihren Umlaufbahnen voreinander herzogen, vermaßen die Beobachter sorgfältig
die Helligkeitsschwankungen des seltenen Objekts, das die Bezeichnung OGLE-LMC-CEP0227 [4] trägt. Ebenso verwendeten
sie HARPS und andere Spektrografen um die Bewegungen der Sterne auf die Erde zu und von ihr Weg zu messen – und
zwar sowohl die Umlaufbewegung beider Sterne, als auch die Bewegung der Oberfläche des Cepheiden während
er anschwoll und sich wieder zusammenzog.
Der vollständige und sehr detaillierte Datensatz ermöglichte den Beobachtern die Bestimmung der Bahnbewegung,
der Größen und der Massen beider Sterne mit großer Genauigkeit – viel genauer als das jemals zuvor
für einen Cepheiden gelungen war. Dessen Masse ist nun mit einer Unsicherheit von nur etwa 1% bekannt, und
stimmt exakt mit Vorhersagen aus der Theorie der Sternpulsationen überein. Die Vorhersage einer größeren
Masse aus der Theorie der Sternentwicklung stellte sich dagegen als falsch heraus.
Die stark verbesserte Bestimmung der Masse ist nur eines der Ergebnisse der Studie. Das Team hofft, weitere Exemplare
dieser bemerkenswert nützlichen Sternpaare zu finden, um die beschriebene Methode noch mehrfach anwenden zu
können. So glauben die Forscher mit Hilfe solcher Doppelsternsysteme schließlich die Entfernung zur
Großen Magellanschen Wolke mit einer Genauigkeit von 1% bestimmen zu können. Das wiederum wäre
eine äußerst wichtige Verbesserung der kosmischen Entfernungsleiter. |