Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit bleiben hoch
Wien (wifo) - Die von expansiver Wirtschaftspolitik und dem regen Import der asiatischen Schwellenländer
getragene rasche Belebung der Weltwirtschaft schwächt sich allmählich ab. Die EU profitiert zwar von
der Exportdynamik, die Konjunkturerholung ist allerdings noch labil. Dazu trägt die hohe Unsicherheit in der
Weltwirtschaft, die sich etwa in anhaltender Instabilität auf den Finanzmärkten äußert, ebenso
bei wie die verhaltene Inlandsnachfrage, die auch durch die restriktive Budgetpolitik gebremst wird. Damit entspannt
sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht. Seit dem Herbst 2009 erholt sich die Weltwirtschaft aus der tiefen Rezession,
vor allem dank kräftiger Impulse einer expansiven Budget- und Geldpolitik. Die Belebung der Konjunktur ist
mittlerweile so stark, dass die Wirtschaft 2010 weltweit wieder real um 4% wachsen wird (2009 1%). Allerdings unterscheidet
sich das Tempo der Erholung wesentlich zwischen den Regionen und Ländern.
In Asien überschreiten Außenhandel und Industrieproduktion das Vorkrisenniveau bereits merklich, auch
wenn sich die Zuwachsraten jüngst abschwächten. Den Motor des Aufschwungs bildet die lebhafte Expansion
der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage in China (2010 real etwa +10%). Davon profitiert auch die japanische Wirtschaft,
sie wächst 2010 real um 2¾%, kann aber trotz eines kräftigen Exportauftriebs das Problem der anhaltenden
Deflation nicht überwinden. Die Wirtschaft der lateinamerikanischen Schwellenländer expandiert dank weltweit
reger Nachfrage nach Rohstoffen ebenfalls stark, zunehmend belebt sich auch die Binnennachfrage.
In den USA setzte nach Überwindung der Rezession zunächst dank einer expansiven Wirtschaftspolitik und
des Wiederaufbaus von Lagerbeständen eine kräftige Erholung ein. Das Wirtschaftswachstum wird 2010 bei
real 2¾% liegen. Allerdings schwächt sich die Konjunktur seit Anfang 2010 ab, auch weil sich die Sparquote
der privaten Haushalte merklich erhöht hat und die Lage im Immobilien- und Finanzsektor nach wie vor labil
ist. Die Expansion ist damit zu gering, um die Arbeitslosenquote, die sich infolge der Krise auf knapp 10% der
Erwerbspersonen verdoppelt hat, nennenswert zu senken. Die Wirtschaftspolitik der USA bleibt in der Grundtendenz
expansiv ausgerichtet, die Stabilisierung des Finanzierungssaldos des Staates bei 11% des BIP ist primär auf
das Ende der Rezession zurückzuführen.
In der EU wächst die Wirtschaft 2010 real um 1¾%. Sie holt damit knapp die Hälfte des Einbruchs
in der Rezession des Vorjahres auf. Innerhalb der EU bestehen allerdings erhebliche Unterschiede. Vor allem Deutschland
profitiert dank der Ausrichtung seiner Exportindustrie auf Investitionsgüter und deren hoher preislicher Wettbewerbsfähigkeit
vom Aufschwung der Weltwirtschaft: Das BIP steigt 2010 real um mehr als 3%. Trotz zweistelliger Zuwachsraten im
Export erholt sich die Inlandsnachfrage nur zögerlich. Dies trägt zu einer Ausweitung der außenwirtschaftlichen
Ungleichgewichte bei und macht die Konjunktur stark von der Entwicklung der Weltwirtschaft abhängig. Die relativ
günstige Lage auf dem Arbeitsmarkt könnte die Konsumaussichten allerdings aufhellen. Vor allem aufgrund
einer geglückten Beschäftigungspolitik (staatlich subventionierte Kurzarbeit und tarifvertraglich vereinbarte
temporäre Verkürzung der Arbeitszeit) sank die Beschäftigung in der Krise nur wenig; die Arbeitslosenquote
stieg nicht und war im Herbst 2010 mit knapp 7% der Erwerbspersonen deutlich niedriger als im Euro-Raum (10%).
Auch andere Länder, deren Wirtschaft mit der deutschen Exportindustrie eng verflochten ist, verzeichnen eine
merkliche Konjunkturbelebung. Das gilt für Österreich, die Niederlande, Belgien und die skandinavischen
Länder, aber auch für Tschechien und die Slowakei. In Polen profitiert die Wirtschaft von der kräftigen
Inlandsnachfrage.
Die Budgetpolitik jener EU-Länder, in denen der negative Effekt des Einbruchs der Weltwirtschaft durch eigene
Strukturprobleme etwa im Immobiliensektor oder in der Wettbewerbsfähigkeit verstärkt wurde, musste schon
im Jahr 2010 einen sehr restriktiven Kurs einschlagen. Die Rezession wurde dort noch nicht überwunden. So
schrumpft die Wirtschaftsleistung in Griechenland 2010 real um 4% und wird 2011 neuerlich zurückgehen. Auch
in Spanien, Portugal, Irland und einigen osteuropäischen Ländern wie Ungarn, Bulgarien und Lettland bleibt
die Konjunkturlage angespannt. In diesen Ländern hat die Arbeitslosigkeit ungebrochen steigende Tendenz. In
Spanien überschreitet die Arbeitslosenquote seit Mitte 2010 die Marke von 20% der Erwerbspersonen, in den
baltischen Ländern nähert sie sich ihr rasch. Die Jugendarbeitslosenquote liegt dort wie in Spanien bei
40%
Die erheblichen Unterschiede innerhalb der EU in Bezug auf die Konjunktur, aber auch auf die Leistungsbilanz- und
Budgetsalden sowie die Höhe und Entwicklung der Arbeitslosigkeit stellen die gemeinsame Wirtschaftspolitik
vor erhebliche Schwierigkeiten. In einer besseren Koordination auf EU-Ebene könnten die Bemühungen um
Budgetkonsolidierung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in den Ländern mit Leistungsbilanzdefizit
mit Maßnahmen zur Ausweitung der Inlandsnachfrage in den Ländern mit hohem Leistungsbilanzüberschuss
wie Deutschland, Österreich oder den skandinavischen Ländern verknüpft werden. Die EU steht insgesamt
vor der schwierigen Aufgabe, die umfangreichen Budgetdefizite und die außerordentlich hohe Arbeitslosigkeit
gleichzeitig zu bekämpfen. Entscheidet sie sich dafür, nur ein Ziel anzustreben, dann droht eine Verschärfung
der Zielverfehlung im anderen Bereich. Hingegen bedeutet die Inflation kein drängendes Problem. Der konjunkturbestimmte
Preisauftrieb ist sehr verhalten, die Kerninflationsraten sind niedrig und stabil. Der leichte Auftrieb der Verbraucherpreise
ist primär eine Folge des Anstiegs der Weltmarktpreise für Energie und andere Rohstoffe. In einigen Ländern
bewirkt auch die Anhebung von Verbrauchssteuersätzen einen einmaligen Preisschub.
Im internationalen Finanzsystem herrscht weiterhin erhebliche Unsicherheit. Sie wird in Europa von der Staatsschuldenkrise,
in den USA von der labilen Lage der Immobilienmärkte genährt und kommt in hoher Volatilität von
Wechselkursen, Rohstoffpreisen und Aktienmärkten zum Ausdruck. Der Dollarkurs hat auf einen Abwärtstrend
gegenüber den anderen Währungen eingeschwenkt. In vielen Schwellenländern, aber auch in Japan oder
dem Euro-Raum ist die Währung zunehmend überbewertet.
Die Konjunktur der Industrieländer wird derzeit in erheblichem Ausmaß von der Nachfrageexpansion in
den asiatischen und lateinamerikanischen Schwellenländern getragen. Einerseits kommt den Industrieländern
so der anhaltende Aufholprozess dieser Volkswirtschaften zugute, andererseits bildet diese einseitige Abhängigkeit
ein erhebliches Konjunkturrisiko. |