Von der Furcht vor Genetik und Migration bis hin zum Rassismus
Linz (jku) - Ein Team von Sozialpsychologen rund um a.Univ.Prof. Dr. Wolfgang Wagner, Dr. Nicole
Kronberger und Dr. Peter Holtz von der Abteilung Sozial- und Wirtschaftspsychologie haben eine Theorie über
die psychologischen Mechanismen, die "Angst vor Vermischung" (Synkrasiphobie) erzeugen, entwickelt. Dieses
Schema zu durchbrechen wäre eine kulturelle Aufgabe, die auch machbar wäre, so das Fazit dieser Studie.
Die "Angst vor Vermischung" beginnt bereits in der Geschichte der Menschheit, denn diese ist eine Geschichte
der Migration: Nur selten waren die neubesiedelten Regionen menschenleer. In den meisten Fällen wurden Gebiete
friedlich oder gewaltsam besiedelt, in denen bereits andere ethnische Gruppen lebten. Die Folgen dieser Migrationen
waren und sind nicht nur Landnahme sondern auch biologische Mischung durch inter-ethnische Fortpflanzung (Prokreation).
Genauso alt wie die Migration ist für Menschen die Frage, welcher ethnischen oder biologischen Kategorie die
"gemischten" Abkömmlinge zuzurechnen sind. Besonders die Vertreter der dominanten Mehrheiten lehnten
ethnische und biologische Mischung ab, da sie die überlieferte soziale Ordnung und die bestehenden sozialen
Kategorien in Frage stellt. Einen Höhepunkt erreichte diese weitverbreitete Tendenz im "Dritten Reich",
in dem "Rassenmischung" als "Rassenschande" unter Strafe stellte wurde.
Das JKU-Forscherteam entwickelte eine Theorie über die psychologischen Mechanismen, die "Angst vor Vermischung",
wie folgt erklärt: Menschen tendierten schon vor dem Zeitalter der Genetik dazu, allen Lebewesen eine art-bezogene
Wesenhaftigkeit oder Essenz zuzuschreiben. Die Essenz bestimmt, welche Eigenschaften die individuellen Vertreter
einer biologischen Art oder Gattung in der Wahrnehmung des Beobachters besitzen. Denken in Essenzen bedeutet, dass
Lebewesen ihre Essenz nicht wechseln können und dass umgekehrt der "Besitz" einer bestimmten Essenz
die Art-Zugehörigkeit des Individuums eindeutig bestimmt. Da Essenzen als diskret und nicht mischbar vorgestellt
werden, folgt daraus, dass beispielsweise Tiere, denen Gene einer anderen Tierart gentechnisch eingepflanzt werden,
als "monströs" wahrgenommen und affektiv abgelehnt werden. "Genmischung" führt in
der Vorstellung vieler Menschen zu einem "Kollaps der Essenzen", sodass gentechnische Hybride als weder
der einen noch der anderen Art zugehörig erlebt werden. Das ist eine der psychologischen Ursachen für
den weitverbreiteten Widerstand gegen Gentechnik.
Als die JKU-Forscher diese Theorie auf soziale und ethnische Gruppen und soziale Kategorien übertrugen, zeigten
experimentelle Studien dasselbe Phänomen: Vertreter ethnischer Gruppen werden als Träger einer spezifischen
und "naturgegebenen" Essenz wahrgenommen. Da Essenzen aber nicht "mischbar" sind, besitzen
die Kinder ethnisch gemischter Paare in den Augen vieler Menschen - analog zu gentechnisch veränderten Tieren
- keine eigene, durch eine Essenz bestimmte Identität. Daher werden sie gegenüber "reinen"
Kindern der eigenen und der Fremdgruppe abgewertet. Die Tendenz der Zuschreibung von Essenzen korreliert stark
mit der politischen Orientierung: Je "rechter", desto stärker zeigt sich diese Denkform. Teilnehmer
in einem radikal rechtsgerichteten Internet-Forum, das die Forscher unter anderem analysierten, bezeichnen solche
Kinder daher als "Misch-Masch" und als "erbärmliche unnatürliche Kreaturen". Politisch
eher "links-gerichtete" Personen essenzialisieren ethnische Gruppen weniger und zeigen eine umgekehrte
Diskriminierung indem sie "Mischlingskinder" positiver als "reine" Nachkommen beurteilen.
Essenzialistisches Denken ist eine sogenannte kognitive Heuristik oder Denkabkürzung, der viele Menschen unbewusst
folgen. Diese Denkabkürzung hilft uns, schnelle Urteile zu fällen. Die Forscher konnten diese Denkform
in Zusammenarbeit mit KollegInnen auch in Asien und Lateinamerika aufzeigen. "Ob es uns gefällt oder
nicht, die ,Synkrasiphobie' ist auf tiefsitzende Eigenschaften der menschlichen Kognition zurückzuführen",
betont Wagner. Dieses Schema zu durchbrechen wäre deshalb eine kulturelle Aufgabe. Vor allem Kinder haben
natürlich eine besonders starke Neigung zu solchen Heuristiken. "Die Heranwachsenden sollte man dazu
bringen, dieses Denken zu relativieren, da es bei Erwachsenen direkt in Rassismus übergehen kann", sagt
Wagner. Ein wesentlicher Teil unseres essenzialistischen Denkes ist auch in unserem Sprachgebrauch verankert. Die
Sozialpsychologen an der JKU empfehlen deshalb auch, dass Lehrer eine differenzierte Sprache gebrauchen sollten,
um ethnischen Kategorien keine biologische Basis zuzuschreiben. Zum Beispiel sollte eher über individuelle
Menschen und nicht über Menschen als Gruppenmitglieder gesprochen werden. |