Beweglichkeit trotz Querschnittslähmung   

erstellt am
22. 11. 10

Bahnbrechende Ergebnisse liefert die Forschung an der Technischen Universität (TU) Wien für Menschen mit Querschnittslähmung. Ein neues Verfahren verbessert ihre Mobilität - und das ganz ohne Operation.
Wien (tu) - Diagnose "Querschnittslähmung" - das bedeutet für die betroffenen Menschen meist ein Leben im Rollstuhl. Ein junges Forschungsteam der TU Wien hat sich in einem interdisziplinären Umfeld zwischen Neurowissenschaft, Medizin und Technik der Erforschung des menschlichen Rückenmarks und der Entwicklung neuer Rehabilitationsmethoden verschrieben - und erzielte dabei bereits bahnbrechende Resultate. Mit am Körper angebrachten Elektroden können wichtige Nervenbahnen trotz Querschnittslähmung angeregt werden.
Durch die Querschnittsverletzung werden die vom Gehirn ausgehenden Leitungsbahnen zu den einzelnen Muskelgruppen unterbrochen - die Ansteuerung von Muskeln unterhalb der Läsion wird beeinträchtigt oder gänzlich unmöglich. Allerdings ist das Rückenmark kein reines "Leitungsorgan", sondern verfügt als wichtiger Teil des Zentralnervensystems über ein kompliziertes Neuronensystem, über das verschiedene Vorgänge automatisch gesteuert werden. Diese "Prozessoreigenschaft" des Rückenmarks machen sich Dr. Ursula Hofstötter und Dr. Karen Minassian, die am Institut für Analysis und Scientific Computing der TU Wien sowie am Zentrum für Medizinische Physik und Biomedizinische Technik der Medizinischen Universität Wien tätig sind, in ihrer Forschungsarbeit zunutze.

Der Kopf denkt - der Rücken steuert mit
In dem Forschungsprojekt gelang es zu beschreiben, wie das Rückenmark rhythmische, schreitähnliche Beinbewegungen selbstständig steuert und kontrolliert. Menschen mit Querschnittslähmung haben im Rückenmark noch immer Nervenverbände (sogenannte Lokomotionszentren), die durch Aktivität und gegenseitige Beeinflussung den Grundrhythmus für Beuge- und Streckbewegungen beim Gehen erzeugen können. "Durch Implantate kann das Rückenmark derart angeregt werden, dass zyklische Bewegungen in den gelähmten Beinen erzeugt werden", erklären Hofstötter und Minassian.

Schon bisher gab es Versuche, die Bewegungsfähigkeit von PatientInnen durch die Implantation von stimulierenden Elektroden und Pulsgeneratoren zu fördern. Mit der an der TU Wien entwickelten Technik kommt man allerdings nun ganz ohne Operation aus. Durch ihren nicht-invasiven Charakter soll diese neue Methode, die auf einfachen, handelsüblichen Oberflächen-Stimulationselektroden beruht, einem weitaus breiteren Patientenspektrum offen stehen. Der nächste wichtige Schritt ist nun der Transfer der Technologie und basiswissenschaftlichen Erkenntnisse hin zur Anwendung in PatientInnen. Ob dieser Weg in naher Zukunft weiterverfolgt werden kann, hängt noch von der Finanzierung nachfolgender Forschungsprojekte ab, an deren Ende letztlich der Einsatz der Oberflächen-Rückenmarkstimulation im klinischen Alltag stehen soll.

Verbesserte Rehabilitation
Die Trainingseffekte bei der Rehabilitation sollen in Zukunft durch die nicht-invasive Rückenmarkstimulation drastisch verbessert werden können, weil damit auch die Nervenbahnen im Rückenmark direkt angesprochen und ins Training miteinbezogen werden können. Erste Resultate sind äußerst vielversprechend: Die Mobilität der PatientInnen kann gesteigert werden, die Spastizität wird vermindert. Patientengruppen, die aus bisherigen Trainingsmethoden kaum Nutzen ziehen konnten, etwa Personen mit kompletter Querschnittslähmung, sollen von der neuen Technik ganz besonders profitieren.

TU Wien erregt internationales Aufsehen
Durch Fachpublikationen und auf internationalen Konferenzen hat die Rückenmarksforschung an der TU Wien bereits für Aufsehen gesorgt. Die größte Einrichtung für querschnittsgelähmte PatientInnen in den USA, das Shepherd Center (Atlanta), konnte als Partner für klinische Studien gewonnen werden. Auch mit Partnerinstitutionen aus Taiwan und aus Europa sind Ursula Hofstötter und Karen Minassian gut vernetzt. Besonders stolz ist man auch darauf, dass im Rahmen eines Translational Brainpower Projektes des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF mit dem Neurologen Prof. Milan R. Dimitrijevic vom Baylor College of Medicine (Texas, USA) einer der profiliertesten Wissenschaftler auf diesem Gebiet für drei Jahre an die TU Wien gebunden werden konnte.

Maßgeblich unterstützt wurden und werden die beiden in ihrer hochgradig interdisziplinär orientierten Forschungsarbeit vor allem vom Leiter der Forschungsgruppe TU-BioMed an der TU Wien, Prof. DDDr. Frank Rattay, dem Vorstand des Neurologischen Zentrums des SMZ Baumgartner Höhe - Otto Wagner Spital, Prim. Prof. Dr. Heinrich Binder, und Prof. Dr. Winfried Mayr vom Zentrum für Medizinische Physik und Biomedizinische Technik der Medizinischen Universität Wien, sowie durch private Initiativen wie vor allem die in Salzburg beheimatete Wings for Life Stiftung für Rückenmarksforschung und die Foundation for Movement Recovery mit Sitz in Oslo, Norwegen.

Wissenschaftspreis des Landes Niederösterreich für Hofstötter
Für ihre wissenschaftlichen Leistungen wurde Ursula Hofstötter mit dem Wissenschaftspreis des Landes Niederösterreich ausgezeichnet - für sie und das ganze Team ein weiterer Ansporn, ihre Forschungen zur Verbesserung der Therapiemöglichkeiten nach einer Querschnittsläsion voranzutreiben.
     
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