583 Frauen und deren 571 Kinder wurden 2009 in einem der vier Wiener Frauenhäuser stationär
betreut.
Wien (rk) - Sie mussten in ein Frauenhaus flüchten, weil sie in ihren eigenen vier Wänden häuslicher
Gewalt ausgesetzt waren. Gegenüber 2008, wo 557 Frauen und 514 Kinder in einem Frauenhaus Schutz fanden, ist
somit neuerlich eine leichte Zunahme der Aufnahmezahlen zu verzeichnen. Zusätzlich fanden in der ambulanten
Beratungsstelle des Vereins Wiener Frauenhäuser 8.516 Beratungskontakte statt, davon 1.474 persönliche
Kontakte. Hier erhalten die Frauen kostenlos - bei Bedarf auch anonym - Beratung und Begleitung zu Polizei und
Gerichten.
Diese Bilanz präsentierten Wiens Frauenstadträtin Sandra Frauenberger, die Vorsitzende des Vereins Wiener
Frauenhäuser Martina Ludwig-Faymann und die Geschäftsführerin des Vereins Andrea Brem am 17.11.
in einer Pressekonferenz. Anlass der Bilanz sind die bevorstehenden "16 Tage gegen Gewalt", eine internationale
Kampagne für die Anerkennung von Frauenrechten als Menschenrechte. Während dieser Zeit wird Gewalt an
Frauen weltweit mit verschiedenen Veranstaltungen und Projekten thematisiert. Die "16 Tage gegen Gewalt"
starten jährlich am 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen. Sie enden am 10. Dezember,
dem Internationalen Tag der Menschenrechte.
Frauenstadträtin Sandra Frauenberger: "Die Zahlen sind bedrückend, denn jede einzelne Frau, die
Gewalt erleben muss, ist eine zuviel. Die Zahlen zeigen aber auch, dass unsere Bemühungen, die Gewaltschutzeinrichtungen
der Stadt bekannt zu machen, Früchte tragen. Immer mehr Gewaltopfer wagen sich aus der Anonymität und
suchen Schutz und Hilfe." Mit der Kampagne "Standpunkte gegen Gewalt" habe die Stadt mit Unterstützung
zahlreicher prominenter Testimonials zuletzt ihre Gewaltschutzeinrichtungen massiv beworben und Frauen ermutigt,
sich Hilfe zu holen. Sandra Frauenberger: "Die zentrale Botschaft an die Wienerin lautet: Gewalt ist niemals
zu erdulden. Du bist nicht allein. Es gibt Schutz und Hilfe."
Für ihre neue Funktionsperiode als Wiener Frauenstadträtin kündigte Frauenberger den weiteren Ausbau
des Wiener Gewaltschutznetzes an. Auch mit Phänomenen, die zwar nicht körperlicher Gewalt zuzurechnen
sind, diese aber begünstigen - will sich Frauenberger in den nächsten fünf Jahren intensiv beschäftigen.
Als Beispiele nannte sie in diesem Zusammenhang Sexismus in der Werbung oder Pornografie.
Zum Thema "Sexualisierte Gewalt" avisierte die Frauenstadträtin eine eigene Fachkonferenz im nächsten
Jahr. Eine kürzlich vom Verein Wiener Frauenhäuser veröffentlichte Studie zum Thema sexualisierter
Gewalt macht deutlich, dass viele Frauen, die von körperlicher und psychischer Gewalt betroffen sind, auch
sexualisierte Gewalt erfahren, darüber aber kaum sprechen. "Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe
werden kaum angezeigt und es kommt - auch in Folge der in diesen Fällen sehr schwierigen Beweisführung
- kaum zu Verurteilungen. Hier ist noch viel Sensibilisierungsarbeit zu leisten und Frauen müssen ermutigt
werden, sich an Hilfseinrichtungen zu wenden", so Frauenberger.
Stadt Wien investiert laufend in die Aufstockung der Wohnplätze
Die Stadt Wien und der Verein Wiener Frauenhäuser reagieren auf die steigende Nachfrage durch laufende
Ausweitung der Betreuungsplätze. Fand man im Jahr 1999 noch mit 96 stationären Betreuungsplätzen
sein Auskommen, so gibt es derzeit bereits 166 Wohnplätze für Frauen und Kinder. "2012 wird ein
neues Frauenhaus in Betrieb genommen. Es löst ein altes Frauenhaus ab, das nicht mehr den erforderlichen Standards
entspricht. Insgesamt wird es in Wien dann 9 zusätzliche Plätze - insgesamt also 175 Plätze für
von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder geben", so Sandra Frauenberger.
Zusätzlich betreibt der Verein sogenannte Übergangswohnungen, wo Frauen nach dem Aufenthalt im Frauenhaus
eine Zeit lang wohnen können und rechtlich sowie psychosozial betreut werden, um sich eine eigenständige
Existenz aufzubauen. Auch die Zahl dieser Wohnungen wurde in den letzten Jahren kontinuierlich aufgestockt. Waren
es 2005 noch 26 Wohnungen, sind es seit Herbst dieses Jahres bereits 52, zwei davon wurden von der BUWOG zur Verfügung
gestellt. Damit hat Wien ein im europaweiten Vergleich hervorragendes Gewaltschutznetz, das die quantitativen Empfehlungen
von EU und Europarat übererfüllt.
Rund 60 Prozent der Frauen bleiben ein halbes Jahr oder länger
"Rund 41 Prozent der Frauen nutzten das Frauenhaus 2009 für einen kurzen Aufenthalt von bis zu
zwei Wochen, 49 Prozent blieben ein halbes Jahr und etwa 10 Prozent mussten die Sicherheit des Frauenhauses länger
in Anspruch nehmen", berichtet Martina Ludwig-Faymann, die Vorsitzende des Vereins.
In den Übergangswohnungen lebten im Vorjahr 87 Frauen mit ihren 83 Kindern. 36 Prozent der Frauen lebten bis
zu einem halben Jahr in einer der Übergangswohnungen, 44 Prozent nutzten das Angebot bis zu 1,5 Jahren und
20 Prozent blieben länger als 1,5 Jahre.
Rund 76 Prozent der Frauen kamen das erste Mal ins Frauenhaus, 17 Prozent das zweite Mal und 7 Prozent kamen drei
Mal oder öfter. Vor fünf Jahren waren es noch 20 Prozent, die ein zweites Mal kamen und 10 Prozent die
noch öfters Schutz im Frauenhaus suchten.
2009 gaben bei ihrem Auszug 28 Prozent der Frauen an, wieder zu ihrem Mann zurückzukehren. Mehr als zwei Drittel
der Frauen entschieden sich zu einer Trennung.
Mehr als die Hälfte der Klientinnen findet Weg über Behörden und Institutionen
"Auch wenn immer mehr Frauen selbst den Weg in ein Frauenhaus finden, wurden 2009 mehr als die Hälfte
der Frauen von Behörden oder Institutionen an den Verein Wiener Frauenhäuser verwiesen, 14 Prozent sogar
von der Polizei direkt", meint Martina Ludwig-Faymann. Weitere 12 Prozent wurden durch die Interventionsstelle
ans Frauenhaus vermittelt. Dort sind die Frauen in Betreuung, nachdem durch die Polizei gegen den Gewalttäter
eine Wegweisung bzw. ein Betretungsverbot ausgesprochen worden ist. 6 Prozent wurden durch ÄrztInnen oder
Spitäler, weitere 31 Prozent der Gewaltopfer durch andere soziale Institutionen, wie das Jugendamt, vermittelt.
160 Anzeigen wegen Körperverletzung, 101 wegen gefährlicher Drohung
Frauen, die ins Frauenhaus flüchten, tun dies, weil sie zu Hause massiver Gefahr augesetzt waren,
viele von ihnen sind traumatisiert. "Zur Anzeige des Gewalttäters kommt es manchmal erst, wenn die Frauen
im Frauenhaus in Sicherheit sind", so die Vorsitzende Martina Ludwig-Faymann. 2009 haben 160 Frauen im Frauenhaus
Anzeige wegen Körperverletzung erstattet, 101 wegen gefährlicher Drohung, 37 wegen Nötigung und
15 wegen sexueller Gewalt. Einige Frauen hatten darüber hinaus auch schon vor der Aufnahme ins Frauenhaus
Anzeige erstattet. Es gibt aber auch viele Frauen, die, trotzdem sie massive Gewalt erlebten, keine Anzeige erstatten
wollen.
Auch zwangsverheiratete Frauen finden Hilfe
7 Prozent der Frauen, die 2009 aufgenommen wurden, gaben an, dass sie von Zwangsheirat bedroht oder bereits zwangsverheiratet
wurden. Auch für diese Form der Gewalt sind die Frauenhäuser Anlaufstelle. "Diese Frauen sind in
der Regel sehr jung und werden meist auch von ihren Familien bedroht. Sie benötigen daher auch eine spezifische
Form der Betreuung. In Kooperation mit anderen Beratungsstellen, wie dem Verein Orient Express, beraten und unterstützten
wir auch diese Gewaltopfer", so Geschäftsführerin Andrea Brem.
Gewalt ist keine Frage des Alters
Gewalt macht auch vor älteren Frauen nicht Halt. 2009 lebten immerhin 9 Frauen, die älter als
61 Jahren waren, in den Wiener Frauenhäusern. Bei älteren Frauen ist die Scham, Opfer von Gewalt zu sein,
in der Regel noch größer und die Hemmschwelle, sich Hilfe zu holen oft noch höher als bei jüngeren.
Mit dem Gewalttäter verbindet ältere Gewaltopfer oft eine lange gemeinsame Lebenszeit und die Angst,
nach der Trennung keinen Partner mehr zu finden, ist besonders groß. Einige der Frauen gaben auch an, von
ihren Söhnen oder Enkelsöhnen bedroht oder misshandelt worden zu sein. Andere Frauen erzählten,
dass der Mann in Folge von Altersdemenz immer gewalttätiger wurde. "Dies macht deutlich, dass es in der
Arbeit mit älteren Frauen unterschiedlicher Konzepte und Herangehensweisen bedarf, um die Frauen optimal zu
unterstützen. Manchmal benötigt die Arbeit mit älteren Menschen auch mehr Geduld, da sie oft mehr
Zeit benötigen, um Entscheidungen zu treffen. Wir werden uns vermehrt bemühen, auch ältere Frauen
zu ermutigen, sich Unterstützung in der schwierigen Situation zu holen, zum Beispiel auch in Form einer anonymen
Beratung", so Andrea Brem.
Finanzielle Unabhängigkeit entscheidend
Ökonomische Unabhängigkeit ist eine wichtige Voraussetzung für ein unabhängiges Leben.
Frauen bei der finanziellen Absicherung zu helfen, ist daher eine der wichtigsten Aufgaben der Mitarbeiterinnen
des Vereins Wiener Frauenhäuser. 2009 waren beim Einzug ins Frauenhaus 25 Prozent der Frauen berufstätig,
beim Auszug waren es immerhin schon 28 Prozent der Frauen. "Viele Frauen verlieren gerade in Zeiten der Trennung
ihre Arbeit oder können aus Sicherheitsgründen ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen. Daher kann es als Erfolg
gewertet werden, wenn Frauen während ihres Aufenthaltes im Frauenhaus eine neue Arbeit finden bzw. ihre Berufstätigkeit
aufrecht erhalten konnten", erläutert Andrea Brem. "Erfreuliche 68 Prozent der Frauen waren beim
Auszug aus den Übergangswohnungen in einem laufenden Angestelltenverhältnis. Durch die längere Betreuung
im Rahmen unseres Vereins ist es wirklich möglich Frauen auch zu einer gesicherten Existenz zu verhelfen",
freut sich Geschäftsführerin Andrea Brem. |