Warum brechen menschliche Knochen – und was hat Beton damit zu tun? Überraschende Verbindungen zwischen Bauingenieurwesen
und Biomechanik
Wien (tu) - Mit Festigkeit und Belastbarkeit von Materialien beschäftigte man sich im Bauingenieurwesen
schon immer. Die Stabilität einer Brücke wird heute berechnet, lange bevor man überhaupt zu bauen
beginnt. „Dieses Wissen wird an der TU Wien nun weiterentwickelt, um damit auch so komplizierte Strukturen wie
biologisches Gewebe beschreiben zu können“, erklärt Prof. Christian Hellmich vom Institut für Mechanik
der Werkstoffe und Strukturen der TU Wien. Seine Forschung soll es ermöglichen, die individuelle Knochenbruchgefahr
von PatientInnen am Computer abzuschätzen. Näheres über dieses Thema wird auch am Donnerstag um
18:00 beim 8. TU-Forum zu erfahren sein.
Unangenehmes lässt man gerne den Computer erledigen – Knochenbrüche zum Beispiel
Knochen sind für die Materialwissenschaft besonders komplizierte Objekte. Auf den ersten Blick erscheint das
Knochenmaterial gleichmäßig homogen, doch bei näherer Betrachtung erkennt man Poren und kleine
Strukturen. Sieht man sich diese Strukturen näher an, erkennt man wieder andere Unterstrukturen auf noch kleinerer
Skala – bis hinunter zu einzelnen Mineralienkörnchen und den Kollagen-Proteinen, die den Großteil des
organischen Knochenmaterials bilden. „Man muss verschiedene Ebenen dieser hierarchischen Struktur vom ganzen Knochen
bis hin zu den Molekülketten gleichzeitig mathematisch beschreiben“, erklärt Prof. Christian Hellmich
– und genau das macht die Knochen für die Materialwissenschaft so interessant. Ähnliche hierarchische
Strukturen finden sich auch in Materialien, die für das Bauingenieurwesen von zentraler Bedeutung sind: Etwa
in Holz, aber auch in Beton, der ebenso eine Mikrostruktur mit Wasser-, Luft- und Mineralieneinschlüssen aufweist.
Knochenbrüche vorausberechnen
Die Stabilität von Knochen richtig vorherzusagen war schon lange ein wichtiges Ziel der Biomechanik. Der TU-Forschungsgruppe
um Prof. Christian Hellmich gelang es, ein mathematisches Computermodell zu entwickeln, das die Festigkeit von
Knochen aus ihrer mikroskopischen Struktur ableiten kann. „Die Struktur und die Konzentration einzelner Bestandteile
kann man in Messungen untersuchen, etwa durch Computertomographie“, erklärt Prof. Christian Hellmich. Gibt
man diese Daten in das Computermodell ein, lässt sich die Knochenfestigkeit berechnen. Und tatsächlich:
Die berechnete Festigkeit stimmt bei verschiedenen Knochen unterschiedlicher Spezies bemerkenswert gut mit gemessenen
Werten überein. Sogar der genaue Ablauf des Bruches lässt sich so studieren: Mikroskopisch dünne
Wasserschichten zwischen den mineralischen Kristallen im Knochen spielen eine zentrale Rolle. Sie sind für
den Zusammenhalt von Kollagen-Strukturen und den Mineralen von großer Bedeutung.
Bei großer Belastung können aber die mineralischen Kristalle entlang dieser Wasserschichten gegeneinander
verrutschen – dann kann es in weiterer Folge auch zu einem Riss der Collagen-Verbindungen kommen - und letztlich
bricht der Knochen.
„Unser Ziel ist, auf diese Weise die Knochenfestigkeit bei Risikopatienten vorherzusagen“, meint Prof. Hellmich.
Speziell für Menschen, die unter Osteoporose leiden, kann so eine Prognose sehr wertvoll sein. Auch in der
Kieferheilkunde kann das Computermodell angewandt werden: Die Qualität eines Zahnimplantats hängt davon
ab, ob die Kräfte, die im Implantat auftreten, sich richtig in den Kräftefluss des Kiefers einfügen.
Das lässt sich nun schon im Vorhinein berechnen.
Erfolg durch interdisziplinäres Arbeiten
In den Materialwissenschaften wird durch solche Forschungsprojekte die Grenze zwischen den Disziplinen aufgebrochen:
„Die Verknüpfung von Bauingenieurwesen und Biomechanik ist eine faszinierende Entwicklung, die für beide
Seiten spannende Innovationen hervorbringt“, erklärt Prof. Christian Hellmich. „Als Bauingenieur kann ich
mein Wissen über Strukturen und Festigkeit einbringen – und ich lerne bei der mathematischen Beschreibung
von Knochen viel Neues, das uns auch bei Baumaterialien wie Holz oder Beton enorm weiterbringt.“ Im Bauingenieurwesen
gibt es fundiertes Wissen über die mathematische Beschreibung von Festigkeit – und in der Biomechanik kann
man auf reiche Erfahrung mit verschiedensten Messmethoden zurückgreifen, von Ultraschallanalyseanalyse bis
zur Computertomographie. „Diese Kombination aus Messungen und Computerrechnungen scheint ein wichtiger Schlüssel
zum Erfolg zu sein“, meint Prof. Hellmich.
Materialwissenschaft im TU-Forum
Prof. Christian Hellmich wird im Rahmen des 8. TU-Forums über seine Arbeit berichten. Bei dieser Veranstaltung
werden Forschungsthemen aus dem Bereich der Materialwissenschaft der Öffentlichkeit vorgestellt. Das TU-Forum
findet am Donnerstag (18. November) um 18:00 im Kuppelsaal der TU Wien statt, der Eintritt ist frei. |